Anzeige
Anzeige

Digitalisierung Wir digitalisieren uns arm

Ein Mann steht vor einem Bestellterminal bei McDonald's
Ein Mann steht vor einem Bestellterminal bei McDonald's
© IMAGO / Arnulf Hettrich
Digitalisierung steht in der Wirtschaft ganz oben auf der Agenda. Doch Automatismen sind nicht grundsätzlich ein Gewinn – vor allem dann nicht, wenn sie den Kunden keinen Nutzen bringen

Die Digitalisierung ist das Megathema der deutschen Wirtschaft. Sie wird als Lösung für alle Probleme verstanden, mit denen Unternehmen derzeit zu kämpfen haben: Arbeitskräftemangel, steigende Kosten, komplexe vernetzte Prozesse. Und tatsächlich haben digital gesteuerte Automatismen auch Vorteile – zumindest für die Unternehmen.

Auf Seiten der Verbraucher oder Kunden sieht das jedoch oft anders aus. Wer heute bei McDonald’s etwas konsumieren möchte, steht nicht mehr an einem Schalter an, sondern an einem Terminal. Eine vierköpfige Familie, die hier und da einen Sonderwunsch hat – den Burger ohne Gurken, die Eiscreme mit Sondertopping – benötigt nicht selten 10 bis 15 Minuten bis zur endgültigen Bestellung, zumal dann, wenn die Erfahrung mit dem Gerät fehlt, an dem auch gleich bargeldlos gezahlt werden kann. Erst dann gehen Burger, Pommes, Eiscreme und Co. in Produktion. Dann heißt es wieder warten.

Vorteile gerecht verteilen

Die Vorteile für den Fast-Food-Giganten liegen auf der Hand: Der Gast macht die Arbeit, und weniger Personal kann effizienter die Menüs zubereiten. Der Gast aber hat keinen Vorteil. Die Schlangen werden nicht kürzer, die Preise nicht niedriger und wenn ein Fehler im Prozess entsteht, ist meist der Gast selbst schuld, zumindest ist er nun in der Beweispflicht. Diese Art Digitalisierung ist kein Win-Win, sondern nur eine einseitige Verschiebung von Aufwand und Risiken. Mit den optimierten Prozessen und gewonnen Daten macht allein das Unternehmen zusätzlichen Gewinn. Es ist die Spitze eines Eisbergs, die schon im Film „The Founder“, der die Gründungsgeschichte von McDonald’s erzählt, als „Sinfonie der Effizienz“ bezeichnet wird.

Falk S. Al-Omary ist Strategieberater rund um die Themen Marke, Medien, Meinungsbildung und Markteinführung sowie erfahrener Krisenkommunikationsmanager. www.al-omary.com
Falk S. Al-Omary ist Strategieberater rund um die Themen Marke, Medien, Meinungsbildung und Markteinführung sowie erfahrener Krisenkommunikationsmanager. www.al-omary.com
© Sylke Gall

Am Ende steht beim derzeitigen Stand der Digitalisierung immer einer am Ende der Kette, der für die Daten sorgt und die Arbeit erledigt, mit denen andere Kosten reduzieren oder Gewinne maximieren. So haben inzwischen nicht wenige Steuerberater papierlose Büros, weil der Mandant die Belege einscannt und damit digitalisiert. Versicherungen haben Apps, Verkehrsbetriebe Fahrkartenautomaten und Energiekonzerne smarte Schnittstellen. Das Prinzip ist überall das gleiche: Der Kunde wird zum Mitarbeiter, ohne dafür entlohnt zu werden. Er hat so gut wie keinen Vorteil, auch wenn ihm dieser vorgegaukelt wird.

Digitalisiert wird aktuell primär zu Lasten des Verbrauchers

Selbstredend gibt es auch positive Beispiele. Amazon wäre nicht derart schnell mit Lieferungen und kulant mit Reklamationen, wenn die Prozesse nicht hart durchdigitalisiert wären. Uber und Sixtride hätten kaum Preisvorteile gegenüber normalen Taxis. Generell funktioniert die sogenannte Plattformökonomie nur durch Daten und die Mitarbeit der Kunden.

Die digitale Wirtschaft ist keineswegs zu verteufeln, im Gegenteil. Sie hat aber nur dann echte Vorteile, wenn auch die Kunden profitieren, wenn sich Produkte individualisieren lassen, das Service-Level steigt, sich die Qualität verbessert, die Preisvorteile gerecht verteilt werden oder komplett neue Geschäftsmodelle entstehen, die dem Verbraucher einen echten Mehrwert versprechen. Das gelingt jedoch nur noch selten. Derzeit gibt es kaum noch echte Revolutionen im Sinne des Kunden. Digitalisiert wird aktuell primär zu Lasten des Verbrauchers.

Digital sein ist kein Wettbewerbsvorteil

An der Frage, wie ein Unternehmen seine Schnittstellen zum Kunden digitalisiert, werden sich zukünftig Geschäftsmodelle und Markenerlebnisse unterscheiden. Digitalisieren kann jeder. Die Tatsache allein, dass Prozesse digitalisiert und automatisiert werden, wird kein Unterscheidungsmerkmal sein. Jedes Unternehmen kann Apps, Schnittstellen, Dashboards zur Verfügung stellen, effektiver und effizienter werden. Das Digitale an sich ist in keiner Weise ein USP. Allein der Kundennutzen, der Service in der digitalen Unternehmens- und Markenwelt wird Unternehmen positiv vom Wettbewerb abgrenzen.

Insbesondere Anbieter im oberen Preissegment sollten dies beachten. Je Premium, desto Service lautet das Gebot auch und gerade in einer digitalen Welt, bei der der Mensch keineswegs überflüssig wird.

Je Luxus, desto Menschlichkeit

Ein Luxus-Label kann kaum erwarten, dass sich die glamouröse Kundschaft bei einem Chatbot beschwert, egal wie gut dieser mittels KI trainiert wurde. Auch, dass Mitarbeiter künftig von Robotern eingestellt werden und sich Check-in-Automaten in Hotels oberhalb des Zwei-Sterne-Standards durchsetzen, scheint unvorstellbar. Echten Service, Empathie, Flexibilität, Gastfreundlichkeit und kreative Lösungskompetenz werden Algorithmen auf absehbare Zeit nicht darstellen können – und selbst wenn, sie würden nicht akzeptiert. Anspruchsvolle Kunden erwarten gerade in einem digitalen Alltag Menschlichkeit da, wo sie hohe Ansprüche stellen.

Und so werden sich für Unternehmen gerade da Wettbewerbsvorteile ergeben, wo sie explizit nicht digitalisieren, wo sie auf den seltenen und damit teuren Faktor Mensch setzen. Der Premiumanspruch eines Unternehmens wird sich auch darin beweisen, sich weiterhin Personal und analoge Prozesse zu leisten. Digital könnte an vielen Stellen zum Synonym für Discount werden.

Verarmung an Service vermeiden

Es lohnt sich für Unternehmen, sehr genau zu überlegen, welche Leistungen und Schnittstellen sie wirklich digitalisieren wollen und müssen, wo der Kunde einen Vorteil hat und wo nicht, wo das Analoge den größeren Unterschied macht und wo die viel gepriesene Digitalisierung eher zu einer Verarmung an Service führt.

Es wird immer Kundensegmente geben, die das Analoge, das Menschliche zu zahlen bereit sind, die das Exklusive zu schätzen wissen. Dies sind auch die besten Kunden. Wer premium sein möchte, muss aufpassen, sich nicht „arm zu digitalisieren“, sich nicht im vermeintlichen digitalen Fortschritt selbst aufzugeben und Ansprüche herunterzuschrauben. Service-Exzellenz und der Premiumgedanke erfordern nach wie vor eine radikale Hinwendung zum Kunden, das Aufsetzen von dessen Brille als alleinigen Maßstab. Was sich aus Kundensicht nicht bewährt, sollte auch nicht digital werden – um keinen Minivorteil der Welt. Das Analoge hat Zukunft, genauso wie der Mensch mit seinen Fähigkeiten – in Unternehmen und im Service.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel