Gastbeitrag Warum erfolgreiche Gründer nicht immer gute Manager sind

Jens Pippig
Jens Pippig
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Manchmal ist es besser, wenn Gründer schnellwachsender Tech-Unternehmen Platz machen für qualifizierte Manager – erst recht, wenn ein Börsengang bevorsteht. Was es dabei zu beachten gilt, erklärt Jens Pippig

Die Shooting Stars der Tech-Szene drängen zurzeit an die Börse: Nach dem erfolgreichen Debüt der Gebrauchtwagen-Plattform Auto1 werden bald der britische Lieferdienst Deliveroo, das KI-Cybertechnik-Unternehmen Darktrace, der schwedische Online-Bezahldienst Klarna und die Trading-App Robinhood folgen. Dem Online-Modehändler About You und dem Vergleichsportal Check24 werden ebenfalls sehr gute Chancen auf einen IPO eingeräumt. Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.

Aber nicht nur die Startups wachsen rasant – auch die Anforderungen an Gründer steigen in sehr hohem Tempo. Der klassische Gründertypus – innovativ, enthusiastisch und besessen von seinem Produkt – muss nicht unbedingt der beste Langfrist-CEO sein; erst recht nicht, wenn das Startup an der Börse unter dem Brennglas von Investoren und Medien penibel seziert wird.

Deshalb setzt sich vermehrt der Gedanke durch, dass auch Gründerteams eine begrenzte Halbwertszeit haben. Nur ganz wenige Gründer bleiben mehr als zehn Jahre zusammen; die beiden Zalando-Gründer David Schneider und Robert Gentz sind da schon eine seltene Ausnahme. Wesentlich häufiger ist es der Fall, dass ein Gründerteam durch qualifizierte Neuzugänge, etwa ein Jahr oder zwei Jahre vor einem Börsengang, ergänzt wird. Natürlich gibt es auch die Situation, dass Gründer ihr Startup verlassen: entweder im besten Einvernehmen oder leider auch unfreiwillig.

Man kann durchaus Parallelen zum Hochleistungssport ziehen: Auch Spitzenteams in der Champions League können nicht ewig zusammen bleiben. Im Hochleistungssport und im Startup-Business geht es um viel Geld, siebenstellige Summen sind keine Ausnahme. Kaum einer käme wohl auf die Idee, einem Champions-League-Fußballer eine unbegrenzte Verweildauer im Team einzuräumen, einfach, weil er sich früher große Verdienste erworben hat – und obwohl er jetzt nicht mehr mithalten kann. Es gilt das Leistungsprinzip: Im Fußball wie bei Startups wird mitunter fürstlich entlohnt, es kann aber auch ziemlich unbarmherzig zugehen. Und eine weitere Parallele ist: Es ändern sich ja unter einem neuen Trainer durchaus auch mal das Spielsystem, so dass es hier zu ebenfalls Anpassungen kommen muss.

Exponentielles Wachstum bringt neue Anforderungen

Folglich wird es für Gründer viel wichtiger, zu erkennen, ob sie den Anforderungen, die ein exponentielles Wachstum mit sich bringt, auch in Zukunft gewachsen sind – und ob sie fachlich, körperlich und auch ethisch mit den gewaltigen Ansprüchen der Öffentlichkeit Schritt halten können, vor allem, wenn sie den Sprung auf den Kurszettel der Börsen geschafft haben oder bald schaffen wollen.

Hakan Koç, Mitgründer von Auto1, hat über seine künftige Rolle intensiv nachgedacht – und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass er den Chefposten aufgibt und in den Aufsichtsrat wechselt. Er will sich künftig um das Thema Diversity kümmern, sagt Koç. Das Aufsichtsgremium wurde folglich von fünf auf sechs Mitglieder erweitert; eine wichtige Maßnahme, da Koç maßgeblicher Anteilseigner ist und Auto1 gar nicht ohne größere Turbulenzen verlassen könnte.

Ethische Gründe spielen für Investoren eine besondere Rolle. Travis Kalanick als CEO von Uber trat zurück, weil ihn fünf Investoren, die zusammen mehr als 40 Prozent Stimmrechte hielten, massiv dazu drängten. Bekannt ist, dass Kalanick Taxifahrer vulgär beschimpfte. Andrew Keen, Autor des Buches „Die Stunde der Stümper“, schrieb über ihn: „Gründer wie Kalanick verkörpern einige der schlimmsten Züge eines Kapitalisten, die schlimmste Sorte Hybris und Arroganz. Kalanick ist ein fieser, furchteinflößender Kapitalist, der die Verbraucher übers Ohr haut und seine Partner irreführt.“

Kurz vor dem IPO ist es zu spät

Man muss solche Aussagen nicht teilen, aber es ist eindeutig, dass in CEO-Positionen auch die Persönlichkeit eines Gründers deutlicher auf den Prüfstand als in anderen Positionen gestellt und soziale Akzeptanz sehr viel wichtiger wird. Das zeigt auch der Fall Adam Neumann, der von 2010 bis 2019 Chef des Unternehmens Wework war. 2018 kamen Vorwürfe sexueller Belästigung ans Licht, nach Angaben des Wall Street Journal charterte Neumann zudem einen Gulfstream-Jet für eine Reise von den USA nach Israel. Während des Fluges rauchten Neumann und seine Begleiter angeblich Marihuana. Im September 2019 musste Neumann als CEO zurücktreten, nachdem ein geplanter Börsengang verschoben und der geschätzte Wert des Unternehmens von Ratingagenturen auf Ramschniveau gesenkt worden war.

Auch bei Deutschlands Vorzeige-Fintech N26 sind Personalveränderungen im Gründerteam zu beobachten. N26 gab bekannt , dass CFO Maximilian Tayenthal zum Co-CEO aufsteigt und Platz für Jan Kemper, den ehemaligen CFO von Zalando und ProSiebenSat.1, macht – um einen möglichen Börsengang vorzubereiten. N26-Gründer Valentin Stalf räsonierte kürzlich auf Clubhouse : „Bin ich der Richtige, um ein börsennotiertes Unternehmen zu leiten – oder wäre das ein guter Zeitpunkt um abzutreten?“ Er hinterfrage sich jedes Jahr neu, so Stalf: „Biete ich der Firma noch einen Mehrwert? Kenne ich mich noch in den Themen aus, die ich mache?“ Aktuell könne er diese Frage auf jeden Fall mit „Ja“ beantworten.

Wenige Monate vor einem Börsengang ist es für größere Veränderungen im Gründer- und Führungsteam meist schon ziemlich spät. Die Eigentümer von Startups sollten sich daher eher zwei Jahre vor einem Börsengang Gedanken machen, ob die Führungsriege gut genug besetzt und die Mannschaft reif für die Champions League ist. Investoren sollten die Gründer besser frühzeitig evaluieren, um entscheiden zu können, ob diese das Zeug zum CEO eines börsennotierten Unternehmens mitbringen oder nicht. Je stärker ein Unternehmen wächst, umso wichtiger ist es auch für die Gründer, sich in der Kunst der Teamführung zu beweisen und vom reinen Produktfokus zu lösen. Über seine eigene Weiterentwicklung sagt Flixbus-Mitgründer Daniel Krauss: „Ich glaube, die Struktur und das Selbstpriorisieren, das musste ich mir hart beibringen. Das ist nichts, was mir in die Wiege gelegt worden ist.“

Wenn ein Gründer aussteigen möchte – oder eben auch muss –, ist von allen Seiten viel Fingerspitzengefühl gefragt. Denn Gründer haben nicht nur eine exponierte Stellung im Unternehmen und sind für den Teamzusammenhalt oft maßgeblich verantwortlich; sie sind auch Mit-Anteilseigner und besitzen erhebliche finanzielle Verantwortung, auch wenn sie operativ nicht mehr mitarbeiten. Kommt es somit zu einer Kündigung, geht es vor allem darum, Mitarbeitende, Stakeholder und Investoren nicht zu verschrecken. Denn im Startup-Business gilt ganz besonders: Abschiednehmen will gelernt sein.

Dr. Jens Pippig ist bei Russell Reynolds Associates, einem international führenden Beratungsunternehmen für Executive Search und Leadership Advisory, als Executive Director tätig. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler kommt von der Mediengruppe ProSiebenSat.1 Media SE, wo er CEO der SevenVentures GmbH sowie Gründer und Geschäftsführer der ProSiebenSat.1 Accelerator GmbH war und das Venture-Capital- und Mediavertriebsgeschäft an Startups verantwortete. Vorher war Pippig acht Jahre bei McKinsey & Company tätig. Pippig gehört zur „Jungen Elite – Top 40 unter 40“ von Capital.

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