Die meisten börsennotierten Unternehmen bekennen sich zu einem „Purpose“: Sie positionieren sich über einen gesellschaftlich relevanten Daseinszweck. Doch den wenigsten gelingt es auch, mit griffigen Formeln, geschärftem Image oder konsequentem Handeln zu überzeugen. Nur etwa jedes zehnte Unternehmen schafft es, seinen Purpose glaubwürdig zu machen: dass es einen positiven Beitrag zu den Krisen dieser Zeit leistet. Das zeigt eine aktuelle Studie der Managementberatung Globeone.
Zwar ist Purpose in aller Munde, doch bleibt er offenbar für viele Unternehmen schwer fassbar – sowohl als Begriff in Abgrenzung zu anderen identitätsstiftenden Themen wie Vision, Mission oder Leitbild, wie auch als klar ausformuliertes Statement. Im Mittelstand gibt sich weniger als die Hälfte der Firmen einen sinngebenden Zweck, fanden die Experten heraus. Im Gesamtbild erreichen, wie sich zeigt, nur die wenigsten Unternehmen das Ziel, ihre gesteckten Ambitionen in den Augen von Kunden und Öffentlichkeit mit authentischer Ausrichtung und Aktionen zu untermauern.
So hat die Managementberatung Globeone mit Deutschlandsitz in Köln nun im Rahmen eines „Purpose-Readiness-Index“ für 130 deutsche Marken gemessen, wie glaubwürdig sie ihren Sinn und positiven Beitrag zu transportieren vermögen. Ausgewählt wurden Unternehmen, Medienmarken und Institutionen, die sich aktiv mit sinnstiftenden Versprechen positioniert haben. Mehr als 4.300 Konsumenten wurden gebeten, die Zukunftsfähigkeit, Nachhaltigkeit, Authentizität und gesellschaftliche Relevanz der Kandidaten zu bewerten.
Nach diesem Maßstab der Deutschland-Studie überzeugen vor allem starke Endverbrauchermarken und erfolgreiche Traditions- und Familienkonzerne damit, ihren Daseinszweck auch zu leben. Die zwölf Top-Platzierten erreichen Indexwerte von mehr als 70 und damit das höchste Level an Glaubwürdigkeit mit Blick auf ihren Unternehmensweck. Sie gelten als voll „Purpose ready“ und können einen am Gemeinschaftswohl orientierten Sinn auch proaktiv kommunizieren. Angeführt wird das Ranking von dm Drogeriemarkt mit einem PRI von 76,5. Zu den Top 5 der vertrauenswürdigsten Unternehmen und Marken gehören zudem das Deutsche Rote Kreuz, die Drogeriekette Rossmann, der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen und der Hausgerätehersteller Miele.

Die zentrale Frage der Studie zeigt aber auch Verlierer auf, denen es unzureichend gelingt, sich glaubwürdig über einen gesellschaftlich relevanten Daseinszweck zu positionieren. Bei Werten unter 60 Punkten fanden sich zum Beispiel Versandhandel und Banken, darunter Commerzbank und Deutsche Bank. Schlusslichter im Ranking mit weniger als 50 Punkten sind die Wohnungsunternehmen und -baugesellschaften LEG, Deutsche Wohnen und Vonovia. Schlechter schneidet nur die Medienmarke Bild Zeitung ab.
Vor allem börsennotierte Unternehmen müssten sich deutlich mehr anstrengen, um die Glaubwürdigkeit von Familien- und Stiftungsunternehmen zu erreichen, kommentiert Simon Aschermann, Managing Partner bei Globeone, das Ergebnis. Nie zuvor seien die Herausforderungen für Unternehmen größer gewesen, wirtschaftlich zu überleben und sich zugleich mit zukunftsfähigen und gesellschaftlich akzeptierten Geschäftsmodellen nachhaltig aufzustellen. „In der wohl größten Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft helfen reine Lippenbekenntnisse von CEOs nicht mehr“, sagt Aschermann.
Zu Lösungen beitragen
Einzelhändler, die Verbrauchern beispielsweise umweltschonende Drogerieartikel oder fair gehandelte Waren präsentieren, wirken seriöser – und landen im Ranking entsprechend weiter vorne. Gleichermaßen erreichen starke Endverbrauchermarken und kundennahe Traditions- und Familienkonzerne wie Miele, Zeiss, Bosch, Kärcher, Nivea, Osram, Siemens oder Dr. Oetker hohe „Purpose“-Werte.
Es sei die Erwartung der Interessengruppen, dass Unternehmen zur Lösung der größten Probleme der Gesellschaft beitragen, ergänzt Managing Partner Niklas Schaffmeister. „Wer sich hier verweigert, keinen tieferen Unternehmenszweck kommuniziert oder ihn nur vorgibt, hat das Nachsehen.“ Mit der Glaubwürdigkeit schwinde auch das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens.
Solche „Kritische Purpose-Lücken“ weisen in dem Ranking insbesondere Unternehmen aus den Branchen Telekommunikation, Finanzen und Verkehr auf. Sie schaffen es nicht, wichtige sinnstiftende Dimensionen ihres Images und Seins positiv in der öffentlichen Wahrnehmung zu transportieren. Den Letztplatzierten im Index attestiert die Studie daher auch handfeste Reputationsprobleme, da sie einen gesellschaftlich relevanten Unternehmenszweck nicht glaubwürdig vermitteln.

Dazwischen – im großen Mittelfeld – tummeln sich Unternehmen mit einem grundsätzlich positiven Image, die in der „Aktivierung und Darstellung“ ihrer Verantwortungsübernahme „noch Luft nach oben“ hätten. Als ein möglicher Grund wird genannt: Zurückhaltung im Topmanagement. Dort begegne man dem Thema „Purpose“ oft noch reserviert, heißt es bei Globeone.
„Intellektuell ist das Thema in seiner Bedeutung in den Chefetagen angekommen“, sagt Aschermann. „Die Bereitschaft von CEOs, einen Unternehmenssinn zu verkörpern, konsequent vorzuleben sowie aktiv nach innen und außen zu kommunizieren, ist aber bei vielen Unternehmen nach wie vor nur schwach ausgeprägt.“ Patriarchen, wie der verstorbene dm-Chef Götz Werner, der seine Kette früh auf Bioprodukte und Nachhaltigkeit einstimmte, oder Dirk Roßmann, der mit zwei Klimathrillern die Bestsellerlisten stürmte, bleiben die exponierten und überzeugenden Ausnahmen.
Dabei sind der Studie zufolge Unternehmen im Angesicht der globalen Multi-Krisen mit Ukrainekrieg, Energiekrise, Inflation und Fachkräftemangel heute noch stärker gefragt, ihren positiven Beitrag gegenüber Mitarbeitenden, Konsumenten und der kritischen Öffentlichkeit nachvollziehbar aufzuzeigen. Die aktuelle Krisenstimmung erweise sich für den „Purpose“ vieler Unternehmen als veritabler Prüfstein.
Dass die kritische und prüfende Wahrnehmung großer Unternehmen wächst, sei klar erkennbar, so die Studie. Sie stehen zunehmend unter Druck, Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) im Unternehmenszweck zu berücksichtigen, danach zu wirtschaften und Nachhaltigkeit sowie verantwortungsbewusste Führung vertrauenswürdig nach außen und innen zu kommunizieren. Fazit: „Mitarbeiter, Konsumenten und die kritische Öffentlichkeit messen CEOs, Unternehmen und Institutionen längst daran, wie glaubwürdig sie einen gesellschaftlich relevanten Daseinszweck aus voller Überzeugung tatsächlich auch leben.“