Kaufen Sie bei Edeka? Soweit ich das in der letzten Zeit mitbekommen habe, ist das nicht nur ihr gutes Recht, sondern geradezu die moralische Pflicht guter Demokraten, bei Edeka einzukaufen. Die Handelskette machte kürzlich von sich reden, indem sie sich im Vorfeld der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen in großformatigen Anzeigen gegen „rechts“ bzw. gegen die AfD positioniert hat. Slogan: „Blau ist keine gute Wahl“. Es kam, wie es kommen musste: Manche Kommentatoren befürworteten die Aktion, die AfD bedankte sich für die Wahlkampfhilfe, einige Edeka-Kaufleute hielten dagegen. Tusch, Vorhang, Ende der Vorstellung.
Edekas Aktion ist ein Symptom des „Woke Capitalism“
Als vor einigen Jahren der American Business Roundtable, eine Art Kaffeekränzchen der 200 mächtigsten Unternehmenslenker Amerikas, die Epoche des „Stakeholder-Kapitalismus“ ausrief, wurde das allgemein als Fortschritt begrüßt. Auf einmal entdeckten US-CEOs angeblich ihr Herz für die Mitarbeiter, die Lieferanten, die Bürger und den Planeten ganz allgemein – eben eine ganze Menge „Stakeholder“, die in und um ein Unternehmen agieren.
Man erinnere sich: Vor längerer Zeit bekannte man sich dort noch zum „Shareholder-Kapitalismus“, also dem unbedingten Vorrang der Aktionäre vor allen anderen Stakeholdern. Darin enthalten war die implizite Forderung eben dieser Aktionäre an die Unternehmen: „The business of business is business.“ Oder um es mit dem Style-König der Freien Demokraten zu sagen: Business first, Haltung second.
Der Fall Edeka zeigt nun sehr schön, dass man sich vom aktuellen Stakeholder-Kapitalismus schon wieder entfernt und in die nächste Stufe eingetreten ist: Wirtschaft mit Haltung und Moral, besser bekannt als „Woke Capitalism“. „Woke“ ist ein bereits in den 1930ern-Jahren geprägter Begriff und bedeutet soviel wie „aufgewacht, wach, aufmerksam“ und hat im Grunde ein ehrenwertes Anliegen: Menschen sollen sich bewusster mit Dingen wie Rassismus, Geschlechterfragen oder der Unterdrückung von Minderheiten auseinandersetzen. Nur im Übertrag dieser Forderungen an Unternehmen knirscht es, und das aus gutem Grund.
Moral und Haltung haben die Wirtschaft ideologisch gekapert
Der Soziologe Max Weber prägte einst den Begriff der „Gesellschaftssphären“. Es gäbe, so Weber, die Sphäre des Politischen, der Wirtschaft, der Kunst, der Religion und so weiter. Dabei strebe jede Sphäre einem Kernwert zu, der sie definiert: in der Politik strebt man nach Macht, in der Wirtschaft nach Geld, in der Kunst nach Ästhetik und in der Religion nach Transzendenz. Das sei gut und richtig so; jede Sphäre habe ihre Berechtigung und alle Sphären sollten sich ausgleichen – keine dürfe zu mächtig werden. Eine Dominanz der Religion endet im Gottesstaat, eine Dominanz der Wirtschaft in ungezügeltem Kapitalismus und so weiter.
Was wir mit dem Einzug des „Woke Capitalism“ erleben, ist nun eben eine solche Sphären-Dominanz: die der Religion. Das mag überraschen, doch letztendlich dient die erdrückende Betonung von Haltung, Moral, Purpose, Diversität, Gender und so weiter den Menschen (und damit den durch sie geprägten Organisationen) im Grunde als Ersatz für überkommende, als nicht mehr zeitgemäß wahrgenommene religiöse Institutionen. Man feiert seine Messe nicht mehr in Kirchen und Kathedralen, sondern vor dem Kühlregal der Handelskette mit der „richtigen“ Haltung oder durch die Setzung des Gendersternchens. Dadurch erkauft man sich – buchstäblich – ein gutes Gewissen und muss nicht einmal auf harten Holzbänkchen knien.
Unternehmen existieren nicht, um Menschen sittlich oder politisch zu erziehen
Wie überall gilt: Die Dosis macht das Gift. Und der „Woke“-Gedanke, so richtig er in seinen Anfängen war, vergiftet inzwischen die Wirtschaftssphäre mit seinem moralischen Absolutheitsanspruch. Sollte ein Unternehmen auf Nachhaltigkeit achten? Ja, das sollte es. Sollte ein Unternehmen seine Mitarbeiter fair bezahlen? Ja, das sollte es. Der Spaß hört dann auf, wenn man als Unternehmen in seinem moralischen Furor glaubt, sich über andere erheben zu können. Der Fall Edeka zeigt deshalb die ganze Arroganz einer auf Moral gepolten Wirtschaft.
Wirtschaft und ihre Unternehmen existieren nicht, um Menschen sittlich oder politisch zu erziehen. Unternehmen sind dafür da, qualitativ gute Produkte zu einem vernünftigen Preis unter annehmbaren Bedingungen für Mensch und Planet herzustellen. Denn Haltung signalisiert nicht nur eine moralische Richtung, sondern kann auch, wie im Falle der „Woke“-Bewegung, eine Gesellschaft spalten. Damit geht sie zu weit und Unternehmen sollten sich gut überlegen, ob sie alles auf diese moralische Karte setzen sollten. Wir erinnern uns an Max Weber: In der Wirtschaft geht es um Geld – und das ist gut so.
Unternehmen täte es gut, einen Schritt zurückzutreten und ihren Haltungsfetisch neu zu prüfen. Sonst müssen wir ihnen wirklich wieder zurufen: „Yes, the business of business is business!“