In einer unserer letzten Intrinsify-Masterclasses kamen wir auf ein Thema zu sprechen, zu dem ich mich schon lange einmal kritisch äußern wollte: In vielen Meetings und Calls deutscher Unternehmen wird inzwischen Englisch wie selbstverständlich gesprochen. Sich ein wenig darüber beklagen – das tun viele. Aber die wenigsten Firmen ahnen, welchen Schaden sie sich damit einhandeln.
Wo ist das Problem?
Wenn Sie als hocherfolgreicher Mittelständler Werke im Ausland aufbauen, liegt es nahe, dass in Ihrem Unternehmen bald Englisch als Verkehrssprache gilt – entweder ganz oder zumindest für wichtige Meetings und sobald auch nur ein Teilnehmer dabei ist, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist. Englisch sollte schließlich jeder können, zumindest unter den Führungskräften. Und selbst wenn es bei dem ein oder anderen hapert, dann holt man eben einmal die Woche eine Englisch-Lehrerin für 90 Minuten ins Haus.
Wenn das gemeinsame Kommunikationsniveau aber zum erfolgskritischen Faktor wird, dann ist das kein triviales Verständigungsproblem mehr.
Was ist das Problem?
Die Hauptaufgabe von Managementrunden besteht aus meiner Sicht darin, gemeinsam Probleme des Unternehmens zu lösen. Dabei geht es nicht um die einfachen Absprachen, die zwischen zwei Kollegen oder Teams ablaufen. Es geht um die komplexen Wertschöpfungsprobleme, die für das Unternehmen höchst relevant sind und die eine tiefgreifende Lösung erfordern.
Diese tiefgreifende Lösung lassen sich erst dann entwickeln, wenn Ihre Entscheider das Problem an sich sowie alle relevanten Einflussgrößen sehr gut verstanden haben. Um dieses profunde Verständnis zu erlangen, brauchen sie stets mehr als eine Perspektive.
Genau das ist das Problem!
Daher treffen sich ja die Manager aus unterschiedlichen Bereichen: Jeder bringt einen eigenen Blickwinkel auf das Problem ein. Die Herausforderung dabei ist, die Worte, mit denen jeder seine Perspektiven schildert, nicht nur zu hören, sondern in aller Klarheit zu verstehen. Das setzt ein gemeinsames Verständnis voraus, welche Bedeutung welches Wort in diesem Kontext hat.
Anders ausgedrückt: Das gemeinsame Kommunikationsniveau muss sehr hoch sein, damit das komplexe Problem zunächst weitestgehend verstanden und anschließend bestmöglich gelöst werden kann. Dieses Niveau gemeinsamer Kommunikation muss über das Alltagsniveau weit hinausgehen. In einer heterogenen Runde muss es daher erst einmal entwickelt werden, bevor eine anspruchsvolle Lösungsfindung gelingen kann.
Zwiebelprobleme
Ich will Ihnen ein Beispiel für ein hohes Kommunikationsniveau geben: Stellen Sie sich vor, Sie belauschen eine Unterhaltung unter Spitzenköchen. Diese Spitzenköche tauschen sich gerade über Zwiebelsorten und deren Verwendung aus. Wahrscheinlich verstehen Sie als Außenstehender nur Bahnhof. Selbst ich als ausgemachter Foodie würde wohl höchstens oberflächlich verstehen, worum es geht. Die tiefere Bedeutung der Worte oder gar die Nuancen der Unterhaltung jedoch würde ich nicht einmal erahnen. Das Kommunikationsniveau dieser Spezialisten in Sachen Zwiebeln wäre einfach zu hoch für mich. Ein solches Niveau ist jedoch nötig, um anspruchsvolle Gerichte in der Haute Cuisine zu kreieren und dem Gast zuverlässig zu servieren.
Denn es kommt nun mal auf die Nuancen an, wenn man einem komplexen Problem auf den Grund gehen will.
Verständigungsprobleme
Indessen treffen in Managementrunden naturgemäß verschiedenste Disziplinen aufeinander: Am Tisch sitzt der IT-Fachmann neben der Einkäuferin, dem General Manager und dem Kundenbetreuer. Das Kommunikationsniveau ist daher von Haus aus niedriger als in Spezialisten-Zirkeln: Nicht jeder versteht unter demselben Wort exakt dasselbe, selbst wenn alle Deutsch sprechen. Jeder greift zudem auf unterschiedliche Erfahrungshintergründe zurück, die der Kommunikation niemals vollständig zur Verfügung gestellt werden können. Sie können ja nicht alles aussprechen, was Sie wissen und was unter Umständen relevant sein könnte.
Dieses mittelmäßige Kommunikationsniveau allein erschwert und verlängert die Lösungsfindung bereits erheblich, aber damit muss jedes Unternehmen klarkommen. Diese Situation verschärft sich jedoch meiner Erfahrung nach um Potenzen, wenn die Teilnehmer in einer anderen als ihrer Muttersprache miteinander sprechen müssen.
Oberflächenprobleme
Wenn bei einem Meeting die deutsche Führungsriege dem zugeschalteten italienischen Werksleiter zuliebe Englisch spricht, dann wechseln sie oft im Grunde nur Worte. Diese Worte verstehen sie zwar, aber die Bedeutung, die ihr Gegenüber damit kundtun möchte, verstehen sie in aller Regel nicht oder sogar falsch.
Das Kommunikationsniveau fällt entsprechend drastisch ab und damit auch das Niveau der Lösungsfindung. Die Beteiligten reden nur auf der Oberfläche herum. Das wird auch nicht besser, wenn englische Muttersprachler dabei sind. Oft wird es sogar dadurch noch schlimmer, weil die Natives gekonnt Sprachbilder verwenden, die alle anderen nicht im Ansatz verstehen.
An diese Konstellation muss ich oft denken, wenn ich mit meinem Spanisch – über das ich nicht glücklich bin –, in Barcelona auf dem Markt gehe, um nach Zwiebeln Ausschau zu halten.
Küchenprobleme
Einfach nur Zwiebeln kaufen, funktioniert noch. Sobald mir die Marktfrau jedoch wortreich etwas über die verschiedenen Sorten, deren Zubereitung und andere Finessen erzählt, bin ich raus. Leider. Mein Kommunikationsniveau reicht nur für Braten oder Kochen, also eine oberflächliche Problemlösung.
Das ist für meine Küchenprobleme noch tragbar, aber für die Problemlösung auf Unternehmensebene kommt der Sprachwechsel einem Spontanabstieg von der Bundesliga in die 3. Liga gleich.
Der Schalke-04-Effekt
Der rasante Qualitätsverlust tritt in diesem Fall nicht deshalb ein, weil die einzelnen Fußballer mit einem Schlag das Spielen verlernt haben. Es werden ihnen nur quasi Brillen aus Milchglas aufgesetzt. Sie erkennen ihre Mitspieler kaum noch, ihr Zusammenspiel ist massiv gestört.
Also nicht die Individuen werden schlechter, sehr wohl aber ihr Zusammenspiel. Und ist eine Mannschaft erst auf diesem Level angekommen, ist es sehr fraglich, ob sie sich dort je wieder herausarbeiten kann. Ich sage nur: Schalke 04.
Diese drastische Verlust an Problemlösungskompetenz wirkt sich übrigens nicht sofort aus. Der Effekt stellt sich schleichend ein. Mit ein bisschen Glück machen die Wettbewerber denselben Mist, dann fällt das noch nicht einmal auf. Nur wehe, wenn nicht …
Aus gegebenem Anlass
Meine Beobachtung bestätigt sich leider immer wieder: Je niedriger das Kommunikationsniveau ist, desto langsamer und schwieriger gestalten sich Erkenntnisgewinn und Lösungsqualität. Das lässt sich sicher nicht immer verhindern, doch sollten sich alle Beteiligten dessen bewusst sein.
Ich jedenfalls wünsche Ihnen aus gegebenem Anlass nun lieber „Frohe Weihnachten“ statt „Merry Christmas“ oder „Feliz navidad“. Welche Erkenntnis Sie daraus gewinnen und welche Lösung Sie daraus entwickeln, überlasse ich gerne Ihnen.