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Markus Väth Besser kleine Probleme lösen als an großen verzweifeln

Markus Väth
Markus Väth
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Jeder kennt spontan empfundene Hilfslosigkeit aus Extremsituationen. Es gibt aber auch Hilfslosigkeit, die man sich selbst heranzüchtet. Und das geht leider schneller als man denkt, meint unser Kolumnist

Erlernte Hilflosigkeit beschreibt einen Zustand, in dem man mit allen möglichen Problemen konfrontiert ist, man aber von sich aus nichts dagegen machen kann. Herausgefunden hat man das bereits vor vielen Jahren – und zwar durch Versuche an Hunden. Heute würde man das nicht mehr durch den Ethik-Ausschuss kriegen, aber Mitte des 20. Jahrhunderts nach Millionen von Toten im Zweiten Weltkrieg sah man Versuche an Hunden (bei denen sie überlebten) nicht so eng. 

Der Versuch geht so: Dem Hund wird ein Kunststück beigebracht. Sobald er das macht, bekommt er ein Leckerli. Irgendwann jedoch bleibt das Leckerli aus, mehr noch: Der menschliche Versuchsleiter reagiert gar nicht oder bestraft den Hund sogar. Irgendwann kennt sich der Hund nicht mehr aus und legt sich winselnd in die Ecke. Er ist mit einem Problem konfrontiert, das er nicht mehr durchschauen und daher auch nicht mehr passend darauf reagieren kann. 

Ukraine, Gaza, Job-Angst

Und heute? Bei uns geht es nicht um Leckerli, aber um große Probleme, deren Komplexität wir weder durchschauen noch als einzelne Menschen etwas dagegen tun können. Stichworte fallen einem sofort ein: Ukraine-Krieg, Gaza, Inflation, Migration, Wohnungsnot, Job-Kahlschlag. All diese Probleme werden uns täglich, stündlich durch Nachrichten und Social Media serviert. Wir konsumieren diese Probleme – und wissen doch, dass wir in unserem Alltag (fast) nichts dagegen tun können. Das alles erzeugt in uns enorme Spannung und Frustration. 

Dieser Mix aus ständig präsenten, riesigen Problemen und der eigenen Handlungsunfähigkeit lähmt bis in den beruflichen Alltag hinein. Wenn eine Gesellschaft erst einmal entmutigt genug ist, fällt die arbeitsrelevante Mobilisierung von Energie schwer, die nötig wäre, um Bürokratie abzubauen, den digitalen Wandel herbeizuführen oder Innovationen zu erschaffen. Was also tun?

Resilienz: konzentrieren wir uns auf das, was möglich ist

Wir bleiben nur dann mutig und handlungsfähig, wenn wir die Probleme angehen, die wir tatsächlich beeinflussen können. Wie bereits der berühmte Franz von Assisi wusste: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ 

Konkret bedeutet das: Reduzieren Sie Ihren Nachrichten- und Social-Media-Konsum. Nüchtern Sie sich aus von den unerreichbaren Problemen der großen Welt. Das hat nichts mit Ignoranz zu tun, sondern mit mentalem Überleben. Wer sich ständig durch die Konfrontation mit unlösbaren Problemen überfordert, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, zuerst in eine erlernte Hilflosigkeit und dann in eine Angststörung beziehungsweise in eine Depression abzugleiten. Damit ist keinem gedient. 

Richten Sie Ihren Blick nicht auf den Horizont, sondern auf das, was vor Ihren Füßen liegt. Identifizieren Sie Dinge, die machbar sind, Probleme, die lösbar sind. Das sind vielleicht kleine Dinge. Aber besser kleine Probleme lösen als an großen verzweifeln. 

Hilflosigkeit lässt sich wieder verlernen

In Deutschland leben über 80 Millionen Menschen. Stellen Sie sich vor, jeder würde beginnen, kleine Probleme zu lösen, die direkt vor seinen Füßen liegen: Unser Land wäre nach vier Wochen ein anderes. Hören wir auf, uns mental zu überfordern und lassen uns von Franz von Assisi leiten. Lösen wir die Probleme, die wir lösen können – jeder für sich, jeden Tag, Schritt für Schritt. 

Markus Väth ist Arbeitspsychologe und Schöpfer des Begriffs „Radikal Arbeiten“. Dahinter verbirgt sich eine Philosophie, die Arbeit wieder zu ihrem Kern zurückführen soll: weniger Sinnlosigkeit und Demotivation, mehr Wirksamkeit und Freude. Er ist mehrfacher Buchautor und arbeitet unter anderem als Vortragsredner und Organisationscoach.  

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