#Kirchner Papers Wir sind Steueroase

Die Jungferninseln sind bekannt als Steueroase
Die Jungferninseln sind bekannt als Steueroase
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Steueroasen sind was für Superreiche? Ach was, wir sind alle dort! Unser Finanzkorrespondent Christian Kirchner hat nachgeforscht, wo seine Altersvorsorge wächst

Meine Karriere als Steuertrickser beginnt am 5. November 2007 in der Mittagspause. Bei der Sparda-Bank am Marktplatz in der Düsseldorfer Altstadt habe ich einen Termin mit meinem Bankberater. Endlich will ich meine geförderte Altersvorsorge abschließen, 100 Euro pro Monat für einen Riester-Fondssparplan. Keine Riesensumme, aber Disziplin und ein langer Atem zählen ja. Darüber schreibe ich schließlich jeden Tag als Finanzredakteur.

Zudem, auch das weiß ich qua Beruf, belohnt der Staat meine private Vorsorge, indem ich meine Einzahlungen von der Steuer absetzen kann. Aber damit geht die ganze Sache mit der Steuervermeidung auch schon los: Denn ohne diesen Steuervorteil – immerhin rund jeden dritten Euro meiner Beiträge bekomme ich so zurück – hätte ich mich kaum für einen Riester-Fonds entschieden.

Bin auch ich deshalb schon ein Steuertrickser?

Diese Frage geht mir durch den Kopf, als ich Anfang November die Zeitungen aufschlage. Alles voll von den „Paradise Papers“, von Promis und Unternehmen, die ihre Millionen in sogenannten Steuerparadiesen angelegt haben, um so die Steuerlast zu drücken. Ein internationales Netzwerk von Journalisten, allen voran die „Süddeutsche Zeitung“, haben zig Millionen Dokumente zugespielt bekommen, haben sie ausgewertet und sind um die halbe Welt gereist, zu Inseln, von denen man noch nie gehört hat, um herauszufinden, wie sich die Superreichen vor der Steuer drücken.

Zum Glück tauche ich in den „Paradise Papers“ nicht auf. Denn was ich mit meinem Geld mache, hat keinen Nachrichtenwert. Aber ich könnte, sagt mir mein Gefühl. In den zehn Jahren seit meinem Besuch in der Sparda-Bank habe ich viel über die Anlagepolitik von Banken und Fondsgesellschaften gelernt.

Ich weiß auch, wo ich nachgucken muss. Und dafür muss ich nicht mal um die Welt fliegen, mein Büro und Computer in Frankfurt-Bockenheim tun es auch. Alles, was ich brauche, sind ein Internetzugang sowie die jährlichen Übersichten meines Sparplans und ein paar Geschäftsberichte – die Kirchner-Papers.

1,73 Euro auf Tortola

Heute beläuft sich mein Riester-Vermögen auf genau 30.302,35 Euro. Diese liegen vollständig in einem Investmentfonds namens Uniglobal. Ich kann das quasi sekündlich online nachsehen. Millionen andere Kunden der Union ebenfalls. Sie sind auch im Uniglobal oder im Uniglobal Vorsorge, der die gleichen Wertpapiere enthält, aber mit leicht anderer Gewichtung.

Der Uniglobal ist ein Aktienfonds , knapp zehn Prozent des Fondsvermögens liegen aber in liquiden Anlagen wie Anleihen und Cash. Dafür nutzt er andere Investmentfonds wie den Uniopti4. Dies ist ein Investmentfonds in Luxemburg für festverzinsliche Anleihen. Laut dem letzten Halbjahresbericht des Uniglobal liegen genau 5,19 Prozent seines Fondsvermögens im Uniopti4, also auch 5,19 Prozent meiner gut 30.000 Euro. Macht genau 1572,69 Euro, auch wenn sich die Gewichtungen seit dem letzten Bericht marginal hätten verändern können. Bis hierher alles öffentlich und einsehbar in jeder Sparda-Filiale oder im Netz.

Der Uniopti4 heißt nicht zufällig Uniopti4, sondern wurde bei seiner Auflage im Jahr 2006 als risikoarmes Steuersparvehikel für kurzfristige Geldanlagen konzipiert: Statt für Anleger steuerpflichtige Zins­erträge sollte er seinerzeit noch steuerfreie Kursgewinne generieren.

Auch der Uniopti4 investiert in alles Mögliche. Zum Beispiel in eine Anleihe des chinesischen Ölkonzerns Sinopec. Genau 0,11 Prozent seines Vermögens stecken in dieser Anleihe, mein Anteil daran: ganze 1,73 Euro.

Und jetzt haben sie mich!

Denn die Sinopec-Anleihe mit der Wertpapierkennnummer XS 122 087638 4 wurde nicht direkt von der Konzernmutter, der Sinopec Group in Peking, ausgegeben, sondern von der Sinopec Group Overseas Development Limited, einer Tochter mit Sitz am Wickhams Cay, Hausnummer 1 in Road Town auf Tortola. Einer der Britischen Jungferninseln in der Karibik. Luft 26 Grad, Wasser 28 Grad, sagt eine Wetterseite im Internet. Das klingt besser als die nasskalten sechs Grad draußen vor meinem Büro.

Wie aber kommen 1,73 Euro meiner Altersvorsorge, auch noch bezuschusst vom deutschen Steuerzahler, nach Tortola?

Nicht wegen des Wetters. „Steuerfreiheit für alle örtlichen Unternehmen“, klärt der von mir ergoogelte „International Tax“-Ratgeber der Prüfungsgesellschaft Deloitte auf, zwei PDF-Seiten mit allen wichtigen Informationen im Telegrammstil: Steuern auf Zinsen? NEIN. Auf Dividenden? NEIN. Auf Kapitalgewinne? NEIN.

Wäre dies eine wuchtige Reportage, würde hier nun stehen, dass ein Team von Journalisten wochenlang die ihnen zugespielten Tausenden Seiten und Gigabytes an Daten durchforstet habe, ehe man mich festgenagelt und mit einer Frist von ein paar Stunden um Stellungnahme gebeten habe.

Doch so kompliziert ist das alles gar nicht. Die Sinopec Group Overseas Development Limited wurde am 2. April 2015 gegründet. Vermögenswerte: keine. Mitarbeiter: keine. Geschäftszweck: keiner, außer die Erlöse aus einem Anleiheverkauf von 850 Mio. Euro „an ein anderes von uns kontrolliertes Unternehmen außerhalb Chinas weiterzuleiten“, wie es im 293-seitigen Emissionsprospekt der Anleihe auf Seite 10 heißt.

0,5 Prozent Zinsen zahlt die bis 2018 laufende Anleihe, garantiert wird die Rückzahlung von der namensgebenden Sinopec-Gruppe in Peking. Alle Geldtransfers übernimmt die ­Citigroup in London. Und mit dem Geld, so im Anleiheprospekt, verfolge man „generelle Unternehmensziele in unserem Auslandsgeschäft“.

In den Unterlagen zu meiner Riester-Rente steht die ganze Geschichte der Finanzglobalisierung und der Niedrigzinsen: Eine Düsseldorfer Sparda-Bank verkauft einen Riester-Vertrag und zieht monatlich 100 Euro von meinem Konto ein. Sie überweist sie der Fondsgesellschaft Union Investment in Frankfurt. Die wiederum legt einen Teil des Geldes in einem hauseigenen Fonds mit Sitz in Luxemburg an, der wiederum auf der Suche ist nach irgendwas, was überhaupt noch Rendite bringt. So kauft der Fonds die Anleihe eines chinesischen Ölkonzerns mit einem Zinskupon von 0,5 Prozent pro Jahr. Die Anleihe wiederum wurde von einer Briefkastenfirma auf den Jungferninseln begeben und die Zahlungen anschließend von einer US-Bank in London abgewickelt.

Zahlen die Chinesen zum nächsten Zinstermin der Anleihe am 27. April 2018 über ihre Tochter in Tortola die versprochenen 0,5 Prozent Zinsen, wird mein Alters­vor­sorge­ver­mögen Stand heute an diesem Tag um 0,8 Cent steigen. Sind sie morgen hingegen pleite, wird es um eben jene 1,73 Euro sinken.

Es gibt noch mehr, viel mehr

Nun sind die 1,73 Euro natürlich ein überschaubarer Betrag. Ich habe aber noch mehr Geld in der Karibik. Und zwar anteilig 2,20 Euro in einer Anleihe der Eastern Creation Investment II Holdings, einer der von örtlichen Dienstleistern am Fließband erstellten Firmenhüllen ohne operatives Geschäft ebenfalls auf den Jungferninseln. Dieses Mal steht das Unternehmen Beijing Infrastructure Investment dahinter.

Ich hoffe, dass es nichts zu bedeuten hat, dass es beim Briefkasten für die Eastern Creation Investment II Holdings nicht für die erste Reihe am Meer wie bei der Sinopec-Anleihe gereicht hat; denn sein Sitz ist laut dem 792 Seiten dicken Emissionsprospekt die Main Street Nummer 171. Das ist etwa 100 Meter weiter im Hinterland als der Briefkasten der Sinopec-Hülle.

Zugegeben: Selbst eine China-Doppelpleite in der Karibik würde meine Rentenpläne vermutlich nicht über den Haufen werfen. Zumal es an anderen Stellen in meinem Riester-Vertrag sehr ordentlich läuft.

Nehmen wir etwa das hierzulande wenig bekannte Unternehmen Thermo Fisher Scientific. Klingt wie ein Heizdeckenhersteller, ist aber ein Medizintechnikspezialist mit Präsenz in über 50 Ländern auf der ganzen Welt und Sitz in den USA.

0,34 Prozent des Fondsvermögens hat der Uniglobal in Thermo­ Fisher Scientific investiert. Das waren, ich habe es genau nachgerechnet, zu Jahresbeginn 90 Euro meines Riester-Vorsorgevermögens. Heute sind es hingegen 120 Euro, denn die Aktie hat im Jahresverlauf kräftig zugelegt: knapp 40 Prozent. Abzüglich von einigen Währungsverlusten bleibt ein anteiliges Plus von etwa 30 Euro, immer unterstellt, dass sich die Fondsgewichtungen nicht wesentlich verändert haben. Das sind selbst nach Abzug der Inflation ein paar Stücke Schwarzwälder Kirschtorte und Kännchen Kaffee, die ich in 20 Jahren werde extra bestellen können, wenn es dabei bleibt, alleine dank Thermo Fisher Scientific.

Kein Wunder, das Unternehmen floriert. Umgerechnet rund 17 Mrd. Euro Umsatz peilt man im Jahr 2017 nun an, verkündete Thermo Fisher Scientific im Quartalsbericht Ende Oktober, davon sollen gut 3 Mrd. Euro Gewinn übrig bleiben. Dem Unternehmen geht es also blendend und damit erfreulicherweise auch meinem Riester-Vertrag.

Vor den Steuerbehörden ist Thermo Fisher Scientific allerdings eher eine Kirchenmaus. „Das Unternehmen erwartet für das Geschäftsjahr 2017 eine effektive Steuerquote von unter drei Prozent auf Basis der aktuellen Vorhersagen der Profitabilität in den Ländern, in denen wir Geschäfte machen (…)“, so Thermo Fi­sher Scientific in seiner sogenannten „10Q-Form“, in der sich das Unternehmen zu solchen Dingen äußern muss. Auch diese Dokumente sind nicht allzu schwer zu finden, sie sind auf der Webseite von Thermo Fi­sher Scientific ebenso wie bei der US-Wertpapieraufsicht SEC einsehbar.

Drei Prozent? Das geht, denn die Geschäfte hat Thermo Fisher ­Scientific so geschickt unter anderem nach Singapur geschoben und viel Geld für Übernahmen bezahlt, dass die Steuerrate Jahr für Jahr extrem niedrig ausfällt.

Tortola, Singapur, Dublin

Das ist längst nicht der einzige Steuerkönig in meinem Riester-Vertrag. Immerhin 0,86 Prozent Gewichtung oder anteilig aktuell 260 Euro meines Vorsorgevermögens entfallen auf den Medizintechnikkonzern Medtronic. Der hatte über die Jahre so viele Gewinne in Europa erwirtschaftet und wenig Lust, sie in den USA mit 35 Prozent zu versteuern, dass er mit der Übernahme eines irischen Unternehmens 2015 gleich auch seinen Firmensitz nach Dublin verlagerte.

Zwar arbeiten in Irland auch nach der Übernahme nicht einmal drei Prozent der 84 000 Mitarbeiter weltweit für Medtronic, und es wird auch nur ein Bruchteil der Wertschöpfung dort erwirtschaftet. Dennoch vollzog Medtronic eine sogenannte „Steuerinversion“: Die Geschäfte bleiben, wie sie sind, aber der Unternehmenssitz wandert ab.

Praktisch: In Irland beträgt die Unternehmenssteuer auf Ge­winne 12,5 Prozent, in den USA 35 Prozent. Betrug die effektive Steuerquote nach Unternehmensangaben 2015 noch 23,3 Prozent, waren es 2016 noch 18,4 Prozent und nunmehr noch 12,6 Prozent, in manchen Quartalen inzwischen auch weniger – bei zuletzt 25 Mrd. Euro Umsatz und knapp 8 Mrd. Euro Jahresgewinn.

Alles Einzelfälle? Mitnichten. 0,15 Prozent oder anteilig 45 Euro meines Riester-Vorsorgevermögens liegen in Aktien des Ölkonzerns Schlum­ber­ger, Firmensitz: Curaçao auf den Niederländischen Antillen. 0,51 Prozent oder 155 Euro sind in sogenannte Aktienzertifikate der chinesischen Alibaba Group mit Sitz auf den Kaimaninseln investiert – ein bei vielen Wertpapieren übliches Vorgehen, mit denen Investoren das chinesische Verbot umgehen, strategisch wichtige Vermögenswerte an Ausländer zu verkaufen.

Insel Jersey: Auch das zu Großbritannien gehörende Eiland gilt als Steueroase
Insel Jersey: Auch das zu Großbritannien gehörende Eiland gilt als Steueroase

0,41 Prozent oder anteilig 124 Euro meines Riester-Vermögens liegen in Aktien von Shire, einem Unternehmen, das die meisten Mitarbeiter in den USA beschäftigt, 2008 seinen operativen Hauptsitz von Großbritannien nach Irland verlagerte, aber rechtlich gesehen auf der Kanalinsel Jersey sitzt. Laut jüngstem Ausblick rechnet Shire in diesem Jahr mit einer Steuerquote nach US-Bilanzregeln von sieben Prozent – und damit rund einem Viertel meiner privaten.

Und da ist natürlich noch Ap­ple, in das ich anteilig 1,57 Prozent oder knapp 500 Euro investiert habe – ein Unternehmen, das in Deutschland trotz Milliardenumsätzen zuletzt gerade mal 25 Mio. Euro Steuern zahlte und inzwischen seine irischen Tochterfirmen, wo die steuerlichen Fäden zusammenlaufen, von der Kanalinsel Jersey aus verwaltet.

Eine Win-win-win-Situation

Die Liste ließe sich fortsetzen: Auch ich bin ein Offshore-Steuertrickser. Mit meiner ganz normalen Riester-Rente profitiere ich direkt davon, dass sich Unternehmen winden, wie sie nur können, um ihre Steuerlast zu optimieren. Und der Staat fördert meinen Vermögensaufbau fürs Alter an diesen Unternehmen auch noch.

Kann man ihm das vorwerfen? Eher nicht. Die steuerliche Riester-Förderung ist zunächst eine Steuerstundung, im Alter muss ich die Auszahlungen versteuern. Je höher mein Vorsorgevermögen wächst, desto besser für mich, den Anbieter (er kassiert dann höhere Verwaltungsgebühren) und auch für den Staat, der vielleicht später mehr Steuern einnimmt, als er mir vorher erlässt.

Es ist eine Win-win-win-Situation mit einem Verlierer: Jenen Bürgern, in deren Ländern Unternehmen produzieren und die Infrastruktur nutzen, aber kaum Steuern zahlen.

Kann man meinem Anbieter, der Sparda-Bank, einen Vorwurf machen, oder der Union Investment? Auch das eher nicht. Zu keinem Zeitpunkt haben mir die Bank oder der Fondsanbieter in Aussicht gestellt, bei der Wertpapierauswahl Aktien von Unternehmen zu meiden, die besonders kreativ Steuern vermeiden. „Das Expertenteam von Union Investment analysiert ständig die internationalen Kapitalmärkte, um die für Sie optimale Mischung aus den aussichtsreichsten Aktien auszuwählen“, heißt es zum Fonds. Und das handhaben die meisten Gesellschaften so – mein Fonds ist nur einer unter Tausenden. Ich frage trotzdem bei Union Investment nach – doch weiter möchte sich die Fondsgesellschaft nicht äußern.

Aber wer weiß: Schlösse die Gesellschaft Aktien oder Anleihen von Unternehmen aus, die ihre Steuerlast so gut es geht drücken, wäre das Geschrei wohl groß, wenn der Wertzuwachs nicht stimmt und das Vermögen kaum vom Fleck kommt.

Und was ist mit mir? Wahrscheinlich habe ich anteilig mehr Geld in Steueroasen angelegt als die meisten Prominenten aus den „­Paradise Papers“. Kann man mir da­raus einen Vorwurf machen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls kann ich kaum behaupten, ich hätte davon nichts gewusst.

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