Bis Ende 2028 könnte die erste grenzüberschreitende Pipeline zwischen Deutschland und Dänemark in Betrieb gehen. Die Importstrategie der Bundesregierung für Wasserstoff sieht einen schrittweisen Ausbau der Einfuhren bis zu 70 Prozent des Bedarfs vor. Das hält sie für erforderlich, um den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben. „Ein Großteil des deutschen Wasserstoffbbedarfs wird mittel- bis langfristig durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden müssen“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Der Beschluss im Kabinett von dieser Woche hat einen langen Vorlauf benötigt. Kritiker halten die Strategie dennoch für unzureichend – zu unpräzise, zu wenig priorisiert. So betont der Industrieverband BDI die Bedeutung von Einfuhren für eine kosteneffiziente Deckung des heimischen Bedarfs; richtigerweise umfasse die Strategie dafür technologieoffen sowohl grünen wie kohlenstoffarmen Wasserstoff. Das wiederum wird von der Umweltorganisation Greenpeace bemängelt: „Wer die Klimakrise aufhalten will, darf nicht mit Wasserstoff aus Erdgas planen.“
Der BDI wiederum kritisiert, das Papier enthalte „nichts grundlegend Neues“. Für eine ambitionierte internationale Marktentwicklung brauche es mehr als „eine Ordnung bestehender Instrumente“. Vielmehr müssten Leitmärkte auf nationaler und europäischer Ebene gestärkt und mit ausreichend Mitteln ausgestattet werden. Will heißen, es müsse mutiger und in größeren Mengen von staatlicher Seite eingekauft werden – möglichst im EU-Verbund. Zügig erforderlich seien international anschlussfähige Zertifizierungssysteme und eine europäische Infrastruktur.
Signal nach innen und außen
Die Bundesregierung will mit der Strategie ein „Signal“ an die deutsche Wirtschaft für eine verlässliche Versorgung des Industriestandorts mit ausreichenden Mengen an Wasserstoff senden. Vor allem grüner Wasserstoff soll eine Schlüsselrolle für Deutschlands Klimaziele bis 2045 spielen. In der Industrie – zum Beispiel in der Grundstoff-, Stahl- und Chemieindustrie – soll er die Basis sein für die Umstellung auf klimaneutrale Verfahren. H2 ist speicherbar und kann in manchen Industrieprozessen Kohle oder Öl ersetzen, was mit Strom nicht möglich wäre. Zum Einsatz kommen soll er aber auch im Schiffsverkehr, im Schwerlastverkehr sowie in Gaskraftwerken, die auf Wasserstoff umgerüstet werden, um die schwankende Produktion von Wind- oder Solarstrom auszugleichen.
Für die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Kerstin Maria Rippel, bleiben indes „entscheidende Fragen offen“. So sei unklar, wie schnell der Wasserstoff komme und was er koste. Dabei seien Geschwindigkeit und Bezahlbarkeit wesentlich. Dazu brauche es Importstrukturen und passende Absicherungsinstrumente entlang der Lieferkette. Die Einkaufsplattform H2Global, die einen Markt schaffen soll, müsse besser finanziert werden.
Entscheidend ist auch das Signal, das Deutschland mit der Strategie an potenzielle ausländische Lieferanten sendet: E will in der Zukunft ein zuverlässiger Abnehmer und Zielmarkt des Energieträgers sein. Schließlich fußt die Strategie auf einem strategischen deutschen Interesse, eine „nachhaltige, stabile, sichere und diversifizierte“ Versorgung mit ausreichend H2 und H2-Derivaten sicherzustellen. Infrastruktur in internationaler Dimension, das heißt Pipelines, Schiffe und Terminals, in die ohne sicheren Planungshorizont nicht investiert wird.
Die Bundesregierung sollte sich nun auf ihr Kernziel konzentrieren, sagte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Und zwar „in kurzer Zeit große Mengen Wasserstoff und Derivate zu möglichst wettbewerbsfähigen Preisen importieren zu können“.
Das sind die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Wasserstoffstrategie:
Woher soll der grüne Wasserstoff kommen?
Grüner Wasserstoff wird mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen wie Windkraftanlagen und Photovoltaik gewonnen. Er gilt als zentraler Hoffnungsträger, den Ausstoß von CO2 deutlich zu verringern. Daneben gibt es auch blauen Wasserstoff – produziert mit Erdgas und der unterirdischn Speicherung des anfallenden Klimagases CO2. Rund um den Globus ist das Potenzial erneuerbarer Energien für die Gewinnung von H2 gut verteilt, erläutert Andreas Löschel, Energieexperte an der Ruhr-Universtität Bochum. So könnten neue Abhängigkeiten wie vom billigen russischen Erdgas verhindert werden. Wo der Weg über Pipelines unwirtschaftlich oder technisch unmöglich ist, soll Wasserstoff verschifft werden.
Wie groß wird der Bedarf von Wasserstoff?
Der Bedarf ist immens. Die Bundesregierung erwartet laut Strategie im Jahr 2030 für Deutschland einen Bedarf an Wasserstoff und Derivaten in Höhe von 95 bis 130 Terawattstunden (TWSt). Das entspricht gut der Hälfte der 2023 laut Bundesnetzagentur hierzulande erzeugten erneuerbaren Energien. Die Wasserstoffnachfrage soll dann weiter steigen, bis zum Jahr 2045 auf etwa 360 bis 500 Terawattstunden für Wasserstoff sowie 200 Terawattstunden für Wasserstoffderivate. Das sei aber abhängig von Faktoren wie der Preisentwicklung und der Verfügbarkeit. Bedarfe gibt es laut Strategie vor allem in der Stahlindustrie, der Grundstoff- und Petrochemie, in der Mobilität und Logistik sowie bei Kraftwerken.
Wie viel muss importiert werden?
Das Wirtschaftsministerium sieht die benötigten Importmengen für Wasserstoff 2030 schon bei 50 bis 70 Prozent des Bedarfs. „Damit wird Deutschland künftig weltweit zu den größten Wasserstoffimporteuren zählen.“ Es wird davon ausgegangen, dass langfristig etwa ein Drittel des Bedarfs heimisch produziert werden kann. In der Anfangsphase wird übergangsweise kohlenstoffarmer Wasserstoff und seine Derivate mit einbezogen, weil eine verlässliche Versorgung mit grünem H2 aus erneuerbaren Quellen in ausreichenden Mengen so schnell nicht zu gewährleisten ist. Finanzielle Förderung der Wasserstofferzeugung soll es aber nur für grünen Wasserstoff und seine Derivate wie Ammoniak und Methanol geben.
Wie soll der Wasserstoff importiert werden?
Geplant ist der parallele Aufbau von Importinfrastrukturen für Pipeline- und Schiffstransporte. Dabei sollen auch bestehende Gaspipelines umgestellt werden, was laut Strategie zu Kostenersparnissen führen kann. Über Pipelines sind vor allem Wasserstoffimporte aus Europa geplant – die mittelfristig einen Großteil des Bedarfs decken sollen. Mindestens vier an eine Pipeline gebundene Importkorridore sollen im Nord- und Ostseeraum, Südwesteuropa und Südeuropa entstehen. Entlang dieser Korridore soll die Kooperation mit den jeweiligen Anrainerstaaten aufgebaut und vertieft werden, heißt es in der Strategie.
Welche Wege führen nach Deutschland?
Die erste Pipeline ist zwischen Deutschland und Dänemark für 2028 geplant. Ab 2030 könnte eine Pipeline H2-Importe aus Norwegen ermöglichen, auch der Bau einer Röhrenverbindung mit Großbritannien wird geprüft. Daneben sieht der Südkorridor eine direkte und größtenteils aus umgewidmeten Erdgaspipelines bestehende Verbindung zwischen Algerien, Tunesien, Italien, Österreich und perspektivisch der Schweiz nach Deutschland vor. Für den Schiffstransport sollen geplante landseitige Terminals an den deutschen Küsten zum Import von Flüssiggas (LNG) so konzipiert werden, dass diese nach der LNG-Nutzung Wasserstoffderivate anlanden können. An Import-Terminals kann Ammoniak aus Wasserstoff wieder in seinen Urzustand umgewandelt werden.
Welche Lieferanten stehen bereit?
Die Bundesregierung hat bereits zahlreiche bilaterale Wasserstoff-Kooperationen geschlossen. Darunter sind Länder wie Australien, Chile, Großbritannien, Namibia, Saudi-Arabien, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate. In vielen dieser Länder gibt es großes Potenzial für den Ausbau der Solarenergie. Länder wie Saudi-Arabien aber gelten wegen der Menschenrechtslage als schwierige Partner. Mit Blick auf Entwicklungs- und Schwellenländer heißt es in der Strategie, der Aufbau von Wasserstoffmärkten gehe mit Chancen für die Entwicklung lokaler Wertschöpfungsketten und qualifizierten Arbeitsplätzen einher. Die Bundesregierung setze sich für die Einhaltung von Umwelt-, Sicherheits- sowie Sozialstandards ein.
Gibt es schon erste Verträge?
Ebenfalls mit Verzögerung hat Deutschland vor kurzem seinen ersten Einkaufsvertrag zur Einfuhr von grünem Wasserstoff abgeschlossen. Der „Beginn eines Markthochlaufs“, wie es hieß. Von 2027 bis 2032 sollen mindestens 259.000 Tonnen des Derivats Ammoniak per Schiff aus Ägypten geliefert werden. Liefern will die Firma Fertiglobal, hinter der Adnoc aus Abu Dhabi stehen soll. Der Produktionspreis des Ammoniaks soll bei gut 800 Euro pro Tonne liegen, zuzüglich Transportkosten. Der Wert der Lieferung dürfte so bei etwa 300 Mio. Euro liegen. Ursprung der erneuerbaren Energie sind in Ägypten noch zu bauende Solar- oder Windkraftwerke. Um in größerem Stil einkaufen zu können sind auch gemeiname Ausschreibungen mit den Niederlanden und Kanada geplant.
Wie wird der Handel aufgebaut?
Eigentlich hatte die Regierung auf erste Lieferungen Ende 2024 gehofft. Die für den Import von Wasserstoff gegründete staatliche Stiftung „H2Global“ übernimmt als Handelsplattform eine Scharnierfunktion zwischen Produktionsländern vor allem im globalen Süden und Abnehmerstaaten. Die erste Pilotausschreibung für den günstigsten Anbieter war Ende 2022 gestartet. Auf der anderen Seite können jetzt Unternehmen für den Brennstoff bieten. Hier bekommt den Zuschlag, wer den höchsten Preis aufruft. Die erwartete Lücke zwischen Angebots- und Verkaufspreis wird über Fördergeld ausgeglichen. Die Stiftung ist mit insgesamt 4,4 Mrd. Euro ausgestattet.
Mit der Pilot-Ausschreibung hat die Regierung erstmals einen konkreten Hinweis zu den Kosten der grünen Wasserstoff-Produktion gegeben. Auf Basis des Ammoniak-Preises aus Ägypten komme man auf etwa 4,50 Euro Produktionskosten pro Kilo Wasserstoff, so das Wirtschaftsministerium mit. Das ist niedriger als in Marktstudien vorhergesagt. Als wettbewerbsfähig gilt grüner Ammoniak ab 4,40 Euro. Beim Einsatz von Erdgas für herkömmlichen grauen Wasserstoff, sind es etwa 3 bis 4 Euro. In Ägypten gelten zugleich die Verhältnisse vor Ort und die relativ kurze Entfernung als kostengünstig.
Mit dpa