Man könnte es Nessie nennen. Immerhin taucht es in der deutschen Wirtschaft mit genauso schöner Regelmäßigkeit auf wie das berühmte Ungeheuer von Loch Ness in der Boulevardpresse: das Gerede von einer „Fusion unter Gleichen“. Kaum vermeldete die österreichische AMS AG Anfang Dezember den Erwerb einer Aktienmehrheit beim Lichtkonzern Osram, da ließ sich der Chef des deutschen Traditionsunternehmens bereits mit der einschlägigen Nessie-Formel zitieren: „Wir streben eine Fusion unter Gleichen an.“
Man konnte sie in den vergangenen Jahren immer wieder hören: Beim Deal zwischen Praxair und Linde, bei der Fusion von Kaufhof und Karstadt und natürlich bei der berüchtigten „Hochzeit im Himmel“, die Daimler-Chef Jürgen Schrempp vor 21 Jahren mit Chrysler angebandelt hatte. Beim amerikanischen Autokonzern, der mittlerweile zum Fiat-Reich gehört, fällt die Vokabel sogar schon zum zweiten Mal: bei den laufenden Gesprächen mit dem französischen Konkurrenten PSA.
In Wahrheit funktionierte die Nessie-Formel jedoch nie. Am Ende übernahm immer einer der Fusionspartner die Regie. Und in der Regel war das intern auch von Anfang an klar – wurde aber nicht kommuniziert, um die Mitarbeiter des unterlegenen Unternehmens nicht zu verunsichern. Nirgendwo werde „so hemmungslos gelogen wie bei der Frage nach der Integrationsstrategie“, schreibt der erfahrene Berater und Buchautor Winfried Berner. Am Ende geht es bei Zusammenschlüssen immer um Tempo, klare Entscheidungen und das schnelle Heben von Synergien.
Genauso wird es auch bei Osram kommen – gerade bei Osram. Nach Jahren des Verzettelns unter CEO Olaf Berlien ist eine neue Strategie überfällig. Viele Bereiche verfehlen regelmäßig ihre Gewinnziele. Und die Österreicher können sich umgekehrt kein langes Zögern leisten: Sie saßen schon vor dem Deal auf hohen Schulden und finanzieren den Einstieg bei Osram mit neuen Krediten in Höhe von fast 4 Mrd. Euro. Sie müssen auf Gedeih und Verderb Tempo machen.
Osram muss sich von Geschäftssparten trennen
Die Osram-Betriebsräte und Funktionäre der IG Metall kritisieren lauthals das Fehlen „rechtssicherer“ Jobgarantien. Die AMS-Manager haben zwar alle möglichen blumigen Erklärungen abgegeben, sich aber nicht vertraglich festnageln lassen. Das zeigt langfristig die notwendige Einsicht in das Unabwendbare: Osram muss sich, abermals, von Teilen seines Geschäfts verabschieden, um sich mit dem Sensorspezialisten AMS auf wenige, aber profitablere Hightech-Bereiche zu konzentrieren.
Sollten sie sich dagegen auf langwierige Diskussionen einlassen, um das „Beste aus beiden Welten“ zusammenzuführen, wie es Osram-Chef Berlien suggeriert, wäre das Scheitern des Deals programmiert. Denn auf Rückenwind durch Konjunktur, Welthandel oder die wichtigen Kunden in der Autoindustrie sollten die Manager nicht zählen.
Berlien fiel zuletzt immer wieder durch sonnigen Optimismus auf, die Macher der AMS gelten hingegen als Realisten: Mit dieser Einstellung glaubt man gemeinhin weder an Nessie im Loch Ness noch an das Monstrum der deutschen Industrie: die Fusion unter Gleichen.
Bernd Ziesemer war Chefredakteur des „Handelsblatt“. In der Kolumne „Déjà-vu“ greift er jeden Monat Strategien, Probleme und Pläne von Unternehmen auf – und durchleuchtet sie bis in die Vergangenheit.