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Western von gestern Warum Hannsheinz Porst seine Firma den Mitarbeitern schenkte

Cadillac-Fahrer, FDPler, Sozialromantiker: Hannsheinz Porst
Cadillac-Fahrer, FDPler, Sozialromantiker: Hannsheinz Porst
© Jindrich Novotny
Hannsheinz Porst ist kein gewöhnlicher Unternehmer. Der Sozialromantiker und Marxist verschenkt seine Fotofirma an die Mitarbeiter. Doch das Experiment geht schief

Die Gewerkschaft ist auf den Barrikaden, als Hannsheinz Porst seine Firma an die Mitarbeiter verschenkt. „Dieses Experiment ist weder ein Gewinn für die sozialwissenschaftliche Diskussion noch für die Arbeitnehmer“, heißt es beim Verdi-Vorgänger HBV. Ziemlich überraschend hatte Porst seinen rund 1600 Angestellten im November 1971 auf einer Betriebsversammlung in der Nürnberger Meistersingerhalle erklärt, er verabschiede sich „endgültig als Arbeitgeber“ und empfehle sich „aufs Wärmste als neuer Arbeitnehmer“.

Die Ladenkette Photo Porst ist eine Vorzeigefirma, ihr Chef ein expansiv denkender Visionär – und ein Mann der Gegensätze. Er mag Eintopf und Austern, preist Arbeiterrechte und fährt Cadillac, ist Mitglied der FDP und – heimlich – der ostdeutschen SED. Als Porst in seinem Betrieb die „totale Mitbestimmung“ schafft, will er eine Utopie verwirklichen: Mitarbeiterausschüsse entscheiden über Lohn, Arbeitszeit, Urlaub, die Beschäftigten können sogar den Chef absetzen.

Die neue Capital
Die neue Capital erscheint am 20. Juni

Das Experiment beginnt gut: Der Markt wächst weiter, die Fotokette behauptet sich. Erst als das Umfeld schwieriger wird, beginnen die Probleme. Die Löhne liegen 20 Prozent über dem Branchenschnitt. Es wird endlos diskutiert, wie Buchautor Günther Kadlubek berichtet. „Freiheitsgrade wurden maßlos ausgenutzt“, so Porst-Manager Dietger Hamacher. Die Firma ist unterkapitalisiert, die Gewerkschaftsbank BfG stellt die Zahlungen ein.

Hannsheinz Porst ist Sozialromantiker und Marxist . In den 1960ern wird er zunächst wegen Steuerhinterziehung verurteilt, dann folgt ein Prozess wegen Landesverrats. Trotz Urteils und Kontakten zu Stasi-Chef Markus Wolf bestreitet er bis zum Schluss, für die DDR spioniert zu haben. Er muss nur einige Monate absitzen, findet im Gefängnis aber die Zeit, sein Mitbestimmungsmodell zu entwerfen. Das Ziel: „Bewusstseinsbildung der Massen, die sich letzten Endes systemverändernd auswirken muss.“

Photo Porst, jahrzehntelang der weltgrößte Fotohändler, geht nach langem Taumeln an die Schweizer Gruppe Interdiscount und meldet 2002 schließlich Insolvenz an. Porst zieht sich in seine fränkische Heimat zurück und bereist die Welt. Die Zeit sei noch nicht reif gewesen für sein Modell, sinniert er später, enttäuscht darüber, dass Menschen am Ende mehr an sich denken als an die Gemeinschaft.

Hauptperson

Hannsheinz Porst, geb. 1922, Lehre bei Kodak, tritt 1948 in den väterlichen Fotohandel ein und schafft eine erfolgreiche Ladenkette. 1969 als Spion verurteilt, überträgt er 1972 die Kette der Belegschaft. Bis zu seinem Tod 2010 lebt er als Rinderzüchter im heimischen Franken.

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