In unserer Reihe Capital erklärtgeben wir einen komprimierten Überblick zu aktuellen Wirtschaftsthemen. Diesmal: Die Airline-Branche in der Corona-Krise – mit Redakteur Claus Hecking,der bei Capital unter anderem über EU-Themen schreibt.
Wie schlägt sich die EU bis jetzt in der Corona-Krise?
Die EU hat Probleme, in der Corona-Krise überhaupt Gehör zu finden. Gerade in den Wochen, in denen viele der Lockdowns in den europäischen Ländern beschlossen wurden, haben viele nationale Regierungen nur das getan, was sie gerade für richtig hielten – ohne sich groß mit den Nachbarn oder Brüssel abzustimmen. Das sorgte teilweise für Chaos – vor allem in der dritten Märzwoche, als plötzlich Grenzen geschlossen wurden. Die Folge waren Dutzende Kilometer lange Staus vor den Übergängen; LKWs mit Gütern standen stundenlang still, wichtige Lieferungen verzögerten sich. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen schritt dann ein und versuchte, die Staaten zu besseren Absprachen und einheitlichen Regelungen zu bringen. Mittlerweile hat das im Großen und Ganzen auch funktioniert.
Nichtsdestotrotz gibt die EU ein schlechtes Bild ab. So haben Deutschland und andere Mitgliedsländer die Ausfuhr von Schutzmasken aller Art verboten – auch in EU-Nachbarländer. Und ein permanenter Streitpunkt ist die Finanzierung von schwer getroffenen Staaten wie Italien und Spanien. Den EU-Institutionen wie der Kommission oder dem Parlament kann man all das nur begrenzt vorwerfen. Denn sie sind letztlich nur so stark, wie es die Mitgliedsstaaten erlauben. Aber die Regierungen in den nationalen Hauptstädten haben zuletzt lieber ihr eigenes Süppchen gekocht.
Wie gefährlich sind auf längere Sicht solche nationale Alleingänge?
Die nationalen Alleingänge offenbaren einen Egoismus, der die EU massiv schwächt. Die Union hatte in den letzten Jahren große Probleme zu bewältigen: die Euroschulden-Krise etwa oder den Brexit. Die EU ist geschwächt ist - gerade weil sich viele Politiker aus Mitgliedstaaten nicht großartig um den europäischen Zusammenhalt scheren. Das halte ich für sehr gefährlich. Nehmen wir zum Beispiel unser Land: Nach zwei begonnenen und verlorenen Weltkriegen ist Deutschland heute ein Kernland dieser Europäischen Union. Wir leben in Frieden mit unseren Nachbarstaaten, und wir profitieren wirtschaftlich massiv von der EU und dem Euro. Deutschland setzte 2018 fast 60 Prozent seiner Exporte in EU-Ländern ab, sollte also großes Interesse haben an einer starken EU.
Zuletzt gingen jetzt einige gute Signale von Deutschland aus: etwa, dass deutsche Intensivstationen schwer erkrankte Corona-Patienten aus anderen EU-Staaten aufgenommen haben. Die Bundesregierung hat dem EU-Hilfspaket zugestimmt, dass ein europäisches Kurzarbeitergeld, Kredite der Europäischen Investitionsbank und Milliarden aus dem Euro-Rettungsfonds ESM für die besonders hart getroffenen Staaten vorsieht. Aber Italien will die ESM-Hilfskredite jetzt nicht in Anspruch nehmen. Insgesamt ist in Italien und anderen südeuropäischen Staaten das Misstrauen gegenüber den Nordeuropäern groß. Es wird mangelnde Solidarität beklagt.
Droht nach der unmittelbaren Corona-Krise die nächste Euro-Schuldenkrise?
In den ersten Tagen der Lockdowns haben wir gesehen, dass die Spreads – also die Risikoprämien – für italienische oder griechische, aber auch spanische oder französische Anleihen gegenüber Bundesanleihen gestiegen sind. Das heißt: Investoren haben teils erheblich höhere Kapitalmarktrenditen für diese südeuropäischen Anleihen verlangt. EZB-Chefin Christine Lagarde hat darauf mit dem Pandemie-Notfall-Kaufprogramm für europäische Staatsanleihen reagiert. Dieses umfasst 750 Mrd. Euro. Und vor allem hat Lagarde erklärt, dass so viele Wertpapiere wie nötig aufgekauft würden. „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliches Handeln“ , sagte sie dazu. Damit hat sie mich an ihren Vorgänger Mario Dragi erinnert, der 2012 in der Euroschulden-Krise in seiner „Whatever it takes“-Rede sagte, die EZB sei bereit, alles in ihrer Kraft stehende zu tun, um den Euro zu retten. So will die Notenbank sicherstellen, dass sich alle Euro-Staaten weiterhin über die Kapitalmärkte finanzieren können.
Funktioniert das?
Bislang funktioniert es, der Ausverkauf der südeuropäischen Staatsanleihen ist erst mal zu Ende. Es kann aber durchaus passieren, dass wieder Zweifel aufkommen: etwa wenn es neue Lockdowns gibt oder sich zeigen sollte, dass die wirtschaftlichen Schäden noch schwerwiegender sind als erwartet. Gerade Italiens Fundamentaldaten sind miserabel. Das Land hat bereits jetzt Schulden in Höhe von 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Experten halten es für möglich, dass diese Quote durch Corona auf 180 Prozent hochschießen könnte. In Spanien sieht es etwas besser aus.
Seit Wochen streiten Süd- und Nordeuropäer um Corona-Bonds, also gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten zur Finanzierung der Krisenfolgen. Wird es sie geben?
Zumindest nicht auf die Schnelle. Vier wichtige Euro-Staaten sind vehement gegen die Corona-Bonds, neben Deutschland auch die Niederlande, Finnland und Österreich. Sie haben alle eine gute Bonität und wollen nicht jahrelang für hochverschuldeter Staaten mithaften. Auch innenpolitisch gibt es massive Vorbehalte gegen solche Gemeinschaftsanleihen. In den Niederlanden etwa warten mit Geert Wilders und Thierry Baudet zwei EU-feindliche Rechtsaußen nur auf einen Anlass, gegen das vereinte Europa und den Euro zu polemisieren. Vergessen wir nicht: Bei uns in Deutschland wurde die AfD im Zuge der Euro-Krise groß.
Außerdem gibt es in Europa noch gar keine Institution, die solche Bonds überhaupt ausgeben könnte. Die müsste man erst aufbauen. Für eine kurzfristige Finanzierung dauert das zu lange. Die nordeuropäischen Staaten wollen daher lieber wohl auf bewährte Institutionen setzen wie den ESM. Die Südeuropäer hingegen werden wieder und wieder auf die Corona-Bonds zurück kommen. Das Thema ist auf beiden Seiten emotional aufgeladen - und wird noch für viel Streit sorgen.
Was kann Deutschland jenseits von Corona-Bonds tun?
Deutschland geht es in der Corona-Krise vergleichsweise gut. Unsere Todeszahlen durch Covid-19 sind im Verhältnis zu anderen Staaten niedrig. Es sieht so aus, als würde uns der Zusammenbruch des Gesundheitssystems erspart bleiben. Tausende Intensivbetten hier sind unbelegt, und diese Kapazitäten werden wohl in den nächsten Tagen plötzlich auch nicht in Anspruch genommen werden müssen. Als Geste des guten Willens könnten wir also noch viel mehr Menschen aus unseren Nachbarländern in unseren Krankenhäusern aufnehmen, sofern Bedarf besteht. Das ist Solidarität, die wir unmittelbar leisten können und sollten.
Wird die EU im Vergleich zu China und den USA gestärkt oder geschwächt aus der Krise hervorgehen?
Alle haben in der Corona-Krise große Schwächen gezeigt. China hat anfangs versucht, den Ausbruchs in Wuhan zu vertuschen – und später drakonische Maßnahmen beschlossen. Glaubt man nun den offiziellen Statistiken, ist die Infektion jetzt eingedämmt. Allerdings musste die Regierung gerade die Todeszahlen in Wuhan massiv nach oben korrigieren. Und der Überwachungsstaat weitet sich immer weiter aus. Die USA haben viel mehr Corona-Tote als alle anderen Staaten zu verzeichnen, die Infektionszahl wächst noch immer deutlich. Und Donalds Trumps Umgang mit dem Virus ist desaströs. Das Land erlebt gerade eine Katastrophe. Wie groß wird sie am Ende sein, welche Schäden wird sie hinterlassen?
Die EU hat sich nach dem Debakel der ersten Tage etwas gefangen. Nun müssen wir Europäer zeigen, dass wir doch zusammenhalten können: vor allem dann, wenn Wiederaufbau der Wirtschaft nach den Lockdowns ansteht.
Schon Monate vor der Corona-Krise hat Ursula von der Leyen ihren Green Deal präsentiert, also die Umgestaltung der europäischen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität. Der Green Deal sollte unbedingt weiterverfolgt werden – gerade jetzt. Wenn die Corona-Krise hoffentlich eines Tages überwunden ist, müssen wir achtgeben, nicht in die nächste große Krise zu schlittern: die Klimakrise. Wir brauchen eine starke, aber auch eine nachhaltigere Wirtschaft als bisher. Von der Leyen sollte alles versuchen, den Green Deal in die Tat umzusetzen. Aber das wird nur gelingen, wenn Deutschland und die anderen großen Mitgliedstaaten mitmachen.

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