In unserer Reihe Capital erklärt geben wir einen komprimierten Überblick zu aktuellen Wirtschaftsthemen. Diesmal: Die Short Squeezes von Gamestop, AMC und Silber mit Redakteur Stefan Schaaf, der bei Capital über Finanz- und Invest-Themen schreibt.
Short Squeezes sind kein neues Phänomen, aber warum sind Gamestop und AMC zwei besondere Fälle?
Short Squeezes gibt es immer wieder, allerdings standen dahinter bislang Profi-Anleger. 2008 gab es zum Beispiel eine Kursexplosion bei der Volkswagen-Aktie, weil einige institutionelle Investoren leerverkauft hatten und nach einem Kursplus Deckungskäufe in großem Umfang vornehmen mussten. Im Fall von Gamestop waren dagegen Kleinanleger die zentralen Akteure, die die Kurse von Gamestop und AMC gezielt hochgetrieben haben. Gleichzeitig waren die betroffenen Aktien aber auch besonders geeignet für eine solche Aktion, weil es sich um relativ kleine Unternehmen und einen entsprechend engen Markt handelt. Das zeigt sich auch im Vergleich zum „Silver Squeeze“ am Wochenanfang, der deutlich zurückhaltender ausgefallen ist.
Wann kommt es denn typischerweise zu einem Short Squeeze?
Short Squeezes passieren in der Regel bei Aktien mit hohen Leerverkaufsquoten. Wenn der Kurs dann wider Erwarten deutlich steigt und sich viele Shortseller spontan mit Aktien eindecken müssen, kommt es zu Short Squeezes. Allerdings sind die Erwartungen von Leerverkäufern an fallende Kursen oft gut begründet, weil sie auf einer genauen Betrachtung der Unternehmen beruhen. Das hat auch der Fall Wirecard gezeigt, als Leerverkäufer schon weit vor dem Bekanntwerden des Bilanzbetrugs mit fallenden Kursen gerechnet haben.
Die Kleinanleger haben Hedgefonds unter den Leerverkäufern zum Gegner erklärt. Welche Rolle spielen sie an der Börse?
Ein Teil der Hedgefonds arbeitet zwar mit Leerverkäufen, allerdings sind nicht alle Leerverkäufer Hedgefonds und nicht alle Hedgefonds Leerverkäufer. Es gibt auch klassische Privatanleger-Fonds, die Aktien oder Indizes shorten. Leerverkäufer haben allerdings oft keinen guten Ruf, weil sie auf die Verschlechterung von Unternehmen und deren Aktien setzen. Allerdings muss man ihre Rolle differenzierter sehen. Bei Wirecard haben Leerverkäufer beispielsweise gezeigt, welche wichtige Funktion sie an den Kapitalmärkten haben können – nicht müssen –, indem sie Überbewertungen und Betrug aufdecken.
Wer sind die Kleinanleger hinter dem Wall-Street-Flashmob?
Im Prinzip lassen sich drei Gruppen erkennen: Ein Teil der Anleger sind Zocker, die in dem Short Squeeze Potential gesehen haben, ein Teil ist auf den fahrenden Zug aufgesprungen und wollte Profit machen, und ein Teil hat ideologisch motiviert gehandelt und wollte sich gegen die Hedgefonds positionieren. Um letztere zu verstehen, muss man die enorme finanzielle Ungleichheit in den USA berücksichtigen. Denn der Graben zwischen einigen wenigen Superreichen und Leuten, die trotz guter Jobs ihre College-Kredite kaum zurückzahlen können, hat ein enormes Wutpotential entfacht – das in Teilen auch anti-kapitalistische Züge trägt und sich gegen die Wall Street richtet.
Wer sind die Gewinner der Aktion?
Die klaren Gewinner sind die Trading-Apps , die noch einmal ordentlich an Zulauf gewonnen haben. Robinhood hat in dieser Woche sogar noch eine Kapitalerhöhung vorgenommen und über die Kreditlinie seiner Banken und Geldern von Investoren 1 Mrd. Dollar Kapital eingesammelt. Auch die Unternehmen, die mit ihnen zusammenarbeiten, und deren Aktionäre haben davon profitiert. So haben zum Beispiel Lang & Schwarz, die für Trade Republic die Orders der Nutzer abwickeln, für Januar gigantische Zuwächse mit einer Handelstätigkeit in Höhe von 20 Mio. Euro ausgewiesen . Einige Hedgefonds wie Melvin Capital haben deutlich an Geld verloren, auch wenn die Aktion in der Summe nicht alle getroffen hat. Bei den Kleinanlegern zeigt sich dagegen ein Nullsummenspiel. Heißt: Diejenigen, die diesen Flashmob angestoßen und rechtzeitig ihre Aktien eingecasht haben, haben profitiert. Die Gierigen und die Idealisten, die auf den Zug aufgesprungen sind, sind dagegen abgezockt worden. In der Summe sind die Gewinne einiger Kleinanleger, die Verluste anderer Kleinanleger. Ich vermute, nur wenige Kleinanleger konnten ihre Gamestop-Aktien zu Höchstpreisen an Hedgefonds losschlagen un diesen damit richtig weh tun.
Was sollten Anleger bei einem solchen Short Squeeze beachten?
Es ist keinem Privatanleger zu empfehlen, seine Anlage allein auf Short Squeezes auszurichten. Stattdessen sollte man beim Vermögensaufbau zuerst auf die eigene Absicherung bei Versicherungen und Altersvorsorge und auf das langfristige Sparen setzen. Wer zusätzlich noch etwas spekulieren will, kann ein festes Risikobudget aufstellen, das man notfalls komplett verliert, ohne dass es zu sehr schmerzt. Gleichzeitig gilt es, nicht nur auf eine Aktie zu setzen, sondern das Risiko breiter zu streuen. Bei einem Short Squeeze sollte man dann sehr früh einsteigen – und unmittelbar einen Stop-Loss setzen, um rechtzeitig zu verkaufen, bevor die Aktie unter den Kaufpreis fällt. Wenn die Kurse steigen, ist es wichtig, rechtzeitig auszusteigen und nicht zu gierig zu werden. Dann verpasst man nämlich oft den richtigen Moment für den Absprung und muss mit Verlusten rechnen. Außerdem ist es besser, bei den Kurserwartungen nicht zu optimistisch zu sein. Wer in kürzester Zeit den eingesetzten Betrag verdoppelt, hat einen glücklichen Zufallstreffer – mehr nicht.
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