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Timo Pache Viessmann ist kein Beispiel für den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft

Wärmepumpe vor einem Viessmann-Gebäude in Castrop-Rauxel
Wärmepumpe vor einem Viessmann-Gebäude in Castrop-Rauxel
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Martin Meissner
Der Verkauf des Viessmann-Kerngeschäfts in die USA zeugt von unternehmerischer Weitsicht – und ist für die Kunden eine gute Nachricht

Manchmal funktioniert die Politik wie eine riesengroße Wärmepumpe: Sie filtert aus ihrer Umgebung kleinste Spuren einer diffusen Stimmung, verdichtet sie und speist dieses Stimmungskonzentrat dann in ein anderes System wieder ein, um dort richtig einzuheizen. Das kann bisweilen toxisch sein. So geschehen diese Woche rund um den geplanten Verkauf des Heizungsbauers Viessmann an das US-Unternehmen Carrier Global.

Seit Jahren wurde die Übernahme eines deutschen Mittelständlers durch einen ausländischen Investor nicht mehr so emotional begleitet. Der Fall zeige, wie sehr die „hastige und komplizierte“ Heizungswende der Bundesregierung die deutsche Wirtschaft belaste, sagte etwa der Generalsekretär der FDP. Und der CDU-Wirtschaftspolitiker Jens Spahn verstieg sich gar zu der Klage, jetzt drohe der „Ausverkauf der deutschen Wärmepumpe“. 

Im kleinen nordhessischen Örtchen Allendorf, am Hauptsitz des Familienunternehmens, verdichtete sich in dieser Woche das ganze monatelange Gezerre und Gezeter um die Energie- und Klimapolitik der Ampelkoalition. Binnen weniger Stunden wurde der Heizungshersteller zu einer Projektionsfläche für praktisch alles, was schiefläuft in diesem Land – tatsächlich oder vermeintlich. Dieselben Leute, die die Wärmepumpe vor wenigen Tagen noch als Quatsch-Gimmick auf dem Niveau eines Um-die-Ecke-Fernrohrs aus vergangenen Yps-Zeiten veralbert hatten, warnten plötzlich vor dem Verlust einer glänzenden Hightech-Industrie. Und die Bereitschaft eines US-Konzerns, 12 Mrd. Euro für einen deutschen Familienbetrieb zu bezahlen, wurde zum Signal der Schwäche und des Ausverkaufs der deutschen Wirtschaft umgedeutet.

Daher, zum Ende einer ziemlich verdrehten Woche, kommt hier der Versuch, ein paar Dinge zu sortieren:

Die Motivation der Familie

Man darf Firmenchef Max Viessmann und seinem Vater durchaus abnehmen, dass ihnen die Entscheidung zum Verkauf nicht leichtgefallen ist. Seit mehr als 100 Jahren befindet sich das Unternehmen in Familienhand – das Eingeständnis, dass es in den alten Strukturen nicht weitergeht, fällt keinem Unternehmer leicht. „Das war und ist ein sehr emotionaler Schritt“, sagte Max Viessmann, als er vor den Mitarbeitern den Verkauf der wichtigsten Sparte des Unternehmens erklärte – und dabei sichtlich um Fassung rang. Es gibt nicht mehr allzu viele Unternehmen in Deutschland, in denen eine Familie so sehr mit den Mitarbeitern und ihrer Arbeit verbunden ist wie Viessmann: In einer großen Geschichte hat Capital vor vier Jahren nachgezeichnet, wie symbiotisch Familie und Unternehmen funktionieren.  

Die Entscheidung war sicher schmerzhaft, aber der Heizungsmarkt in Deutschland und Europa verändert sich auf so dramatische Weise, dass das alte Geschäft mit Öl- und Gasheizungen schon in wenigen Jahren keine große Rolle mehr spielen wird. Für die Alternativen, vor allem die berühmt-berüchtigte Wärmepumpe, sind neue Fabriken und neue Zulieferwege notwendig, die aufzubauen viel Geld und Kenntnis erfordern wird. Gegenüber großen Weltkonzernen aus Südkorea, Japan oder China wie Samsung, LG, Daikin und Huawei hinkt Viessmann hier deutlich hinterher.

Dies erkannt zu haben und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen, ist bewundernswert und sogar mutig. Dass die Familie im Unternehmen bleiben wird, dass sie künftig Ankeraktionär des neuen Mutterkonzerns in den USA sein wird, zeigt: Dies ist kein Rückzug ins Private, kein simples Auscashen. Es war tatsächlich eher ein Zeichen der Verantwortung für mehr als 14.000 Mitarbeiter – und so wurde die Entscheidung in Allendorf größtenteils auch aufgenommen.

Die Folgen für den Standort Deutschland

Einen großen Partner mit Zugang zum Kapitalmarkt zu finden, war und ist richtig. Dass dieser Partner mit Carrier Global nun aus den USA kommt und nicht aus China, sollte die deutsche Standortdiskussion eigentlich entspannen und nicht befeuern. Interessanterweise war der Kauf eines kleinen US-Chipherstellers durch den deutschen Bosch-Konzern in dieser Woche für immerhin 1,4 Mrd. Euro kein Anlass für aufgeregte Diskussionen: Dabei fließt für diesen Deal Geld aus Deutschland in die USA, und ganz offen begründete Bosch den Schritt auch mit den attraktiven Subventionen, die die USA gerade der Branche bieten. Das wäre doch mal ein Anlass, kritisch über die Attraktivität des deutschen Standorts zu diskutieren!

Natürlich hat der Viessmann-Verkauf einen Beigeschmack: Ein deutsches Traditionsunternehmen wird ins Ausland verkauft, weil es in den bisherigen Strukturen und in einem sich ändernden Markt als zu klein und schwach erschien. Aber der Kaufpreis von 12 Mrd. Euro spricht nicht gegen, sondern für die Attraktivität des Unternehmens und des Geschäfts, das sich die Amerikaner von dieser Investition erwarten. Sie gehen dafür ein großes unternehmerisches Risiko ein, immerhin werden Koreaner, Japaner und Chinesen mit ihren günstigeren Produkten trotzdem auf den europäischen Markt drängen und Marktanteile erobern wollen. Was für Viessmann spricht, ist vor allem die starke Stellung im Vertrieb: zehntausende Heizungsbetriebe in ganz Europa, die den Amerikanern einen privilegierten Marktzugang versprechen. Das ist ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz aus Asien.

Dass viele deutsche Mittelständler Gefahr laufen, in großen Marktumbrüchen nicht schnell genug reagieren zu können – weil ihnen trotz exzellenter Produkte oft die finanziellen Möglichkeiten und der Kapitalmarktzugang fehlen –, ist ein altes Thema. Viessmann ist kein Beispiel für den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft, sondern für einen klugen Umgang mit einem Strukturwandel, und das aus einer Position der Stärke heraus. Manchmal wundert man sich, wie Deutschland bei solchen wirtschaftspolitischen Reflexen eine so offene, exportorientierte und erfolgreiche Volkswirtschaft werden konnte.

Der Einfluss der Politik

Natürlich spielt die Politik keine glückliche Rolle. Der lange parteipolitische Streit verunsichert Verbraucher und Unternehmen, die Hast des Umstiegs erzeugt zusätzlichen Druck und Ärger. Hätte Viessmann ohne diesen Druck des schnellen Umstiegs länger in Familienhand bleiben können? Vielleicht. Wäre es besser und klüger gewesen? Eher nein, denn der große Wandel kommt eben doch. Und ebenso die übermächtige Konkurrenz aus Asien, deren Wärmepumpen günstiger und teils auch effizienter sind. Die deutschen Hersteller tun also so oder so gut daran, sich abzusichern und Partnerschaften einzugehen.

Übrigens, auch hier ist der hohe Kaufpreis von 12 Mrd. Euro kein Zeichen der Schwäche oder der Unattraktivität, sondern im Gegenteil: Gerade weil der Umstieg auf neue Heizsysteme jetzt mit Tempo und aller Macht kommen soll, ist der Wert von Viessmann für die Amerikaner so immens hoch.     

Die Folgen für die Verbraucher

Für die Kunden ist der Verkauf eine gute Nachricht. Heute kostet eine Luftwärmepumpe zwischen 7.000 und 18.000 Euro, plus die hohen Kosten für die Installation. Eine moderne Gastherme kostet nur einen Bruchteil davon – aber es gibt keinen Grund, warum Wärmepumpen so teuer bleiben sollen. Sie sind im Moment eben schwer gefragt, der Markt gibt diese Preise her. Mit neuen Werken, die gerade überall in Osteuropa hochgezogen werden (übrigens auch von Viessmann, und schon lange vor dem Verkauf an Carrier), werden Angebot und Auswahl an Geräten steigen (und die Margen für die Produzenten sinken).

Die Idee und Technik der Wärmepumpe gibt es schon seit mehr als 200 Jahren, und in dieser Zeit ist sie immer ausgefeilter, effizienter und massentauglich geworden. Nichts spricht dagegen, dass die Entwicklung weitergehen wird – damit Forschung und Innovation aber auch in Europa stattfinden, wird es auch hier viel Geld und Know-how brauchen. Viessmann ist dafür nach dem Verkauf an die Amerikaner in einer sehr viel besseren Position als vorher. Das ist eigentlich eine gute Nachricht, für Hausbesitzer ebenso wie für den Standort Deutschland.

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