Kolumne US-Geldpolitik im Schneckentempo

Gebäude der Federal Reserve in Washington
Gebäude der Federal Reserve in Washington
© IMAGO / Xinhua
Trotz aktuell hoher Inflation haben es die USA nicht eilig mit der Straffung ihrer Geldpolitik. Man darf aber davon ausgehen, dass die Fed eine härte Gangart einschlagen wird, sollte sich der Preisauftrieb als hartnäckig erweisen

Die US-Währungshüter lassen sich Zeit. Zwar liegt die Inflation in den USA mit derzeit 5,4 Prozent weit höher, als eine stabilitätsbewusste Notenbank normalerweise hinnehmen sollte. Sie überschreitet zudem alle früheren Vorhersagen der amerikanischen Federal Reserve. Dennoch hat Fed-Präsident Jerome Powell am Freitag in seiner Rede auf dem virtuellen „Jackson Hole“ Symposium die Gefahren eher klein geredet.

US-Inflationsrate in Prozent

source: tradingeconomics.com

Selten hatten die Finanzmärkte so gespannt auf eine Rede gewartet, selten haben sie so wenig daraus gelernt. Sofern die in den USA sichtbar anschwellende „Delta-Welle“ der Pandemie der Konjunktur nicht einen unerwartet herben Schlag versetzt, wird die US-Notenbank wohl kurz vor Jahresende beginnen, ihre umfangreichen Anleihekäufe von 120 Mrd. Dollar im Monat langsam zurückzufahren. Aber das Band für ihren Leitzins will die Fed noch für längere Zeit auf dem Rekordtief von 0,0-0,25 Prozent belassen. So viel ahnten die Märkte auch schon vorher.

Kein zweites „Taper tantrum“

In gewissem Sinne macht Powell es richtig. Er bereitet Wirtschaft und Märkte in geradezu homöopathischen Dosen darauf vor, dass die Fed eines Tages aus dem pandemiebedingten Notfallmodus aussteigen und zu einer etwas normaleren Geldpolitik zurückschleichen wird. Er vermeidet damit das Risiko von Marktturbulenzen, wie es sie 2013 gegeben hatte. Damals hatte die Fed die Finanzwelt zeitweilig in Unruhe versetzt mit der unerwarteten Ankündigung, bald weniger Anleihen zu kaufen. Die Episode ging als „Taper tantrum“ in die Finanzgeschichte ein. Allerdings dämpfte der kurzzeitige Rückgang der Aktienkurse damals die Konjunktur nicht spürbar.

Für die Europäische Zentralbank wäre Powells Schneckentempo angemessen. Schließlich ist die Inflation in der Eurozone nicht einmal halb so hoch wie in den USA. Zudem ist die Euro-Inflation durch den Basiseffekt der deutschen Mehrwertsteuer, also den Vergleich der heutigen Preise mit ihrem vor einem Jahr künstlich abgesenkten Niveau, um etwa 0,3 Prozentpunkte nach oben verzerrt. Aber für die USA mit ihrem ausgeprägteren Inflationsdruck birgt dieser Ansatz doch gewisse Risiken.

Seit dem zweiten Quartal dieses Jahres liegt die Wirtschaftsleistung in den USA bereits wieder höher als vor der Pandemie. In der Eurozone dürfte dies erst ein halbes Jahr später, also im Schlussquartal 2021, wieder der Fall sein. Zudem ist in den USA die Finanzlage der meisten Haushalte dank der überaus großzügigen Geldgeschenke aus der Staatskasse (den Stimulus-Schecks von März 2020 bis April 2021) noch besser als bei uns. Ebenso wie bei den Unternehmen sind die Konten der meisten Haushalte gut gefüllt.

Wachstumsrate in den USA (vierteljährlich in Prozent)

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Die Zusatzersparnisse, die die US-Haushalte von März 2020 bis Mai 2021 bilden konnten, betragen etwa 24 Prozent ihres Konsums in einem normalen Jahr. Sie können also künftig mehr ausgeben. Wann genau und in welchem Maße sie dies tun, hat wenig mit den Details der Geldpolitik zu tun. Kurzfristig kommt es in den relativ impfmüden USA noch weit mehr als bei uns darauf an, ob und wann sich genügend Menschen impfen lassen, damit die aktuelle Infektionswelle wieder ohne große wirtschaftliche Einschränkungen abebben kann.

Auch in den USA dürfte die Inflation im kommenden Jahr wieder rückläufig sein. Es zeichnet sich kein neuer kräftiger Anstieg der Ölpreise ab. Die globalen Lieferengpässe, die derzeit Kosten und Preise nach oben treiben, dürften sich wieder entspannen. Aber auf dem US-Arbeitsmarkt zeichnet sich ein weit kräftigeres Anziehen des Lohndrucks ab als in der Eurozone. Diesseits des Atlantiks ist die Arbeitslosigkeit insgesamt höher. Zudem reagieren bei uns die Löhne zumeist langsamer auf die ohnehin noch nicht so weit fortgeschrittene Konjunktur. Anders als in der Eurozone könnte der Lohn- und Kostendruck in den USA den Anstieg der Verbraucherpreise auf absehbare Zeit deutlich über der Marke von zwei Prozent halten. Wenn sich dies auch in den Inflationserwartungen niederschlagen sollte, würde dies die Risiken noch einmal erhöhen.

Natürlich lebt die US-Fed nicht in einem Elfenbeinturm. Die wichtigste Notenbank der Welt schaut immer wieder genau und mit großem Sachverstand auf die Daten. Sollte sich die US-Inflation als hartnäckiger erweisen, als die Fed es erwartet, wird sie darauf schließlich reagieren. Deshalb rechnen wir – im Gegensatz offenbar zur aktuellen Sicht Powells – damit, dass die Fed bereits im Sommer und im Herbst 2022 ihren Leitzins um jeweils 25 Basispunkte anheben wird, gefolgt von mindestens zwei weiteren solchen Schritten im Jahr 2023. Der Konjunktur dürfte das kaum schaden, die Märkte dürfte es allerdings durchaus beschäftigen.

Im Nachhinein stellt sich womöglich heraus, dass Powell die Anleger jetzt etwas zu sehr eingelullt hat. Dann könnte es sein, dass er in einem Jahr doch einen schnelleren Politikwechsel vollziehen und dadurch zeitweilige Unruhe an den Finanzmärkten auslösen muss. Fundamental gesehen bleibt der Ausblick für Aktienmärkte zwar positiv. Aber zu gewissen Schwankungen kann es ausgehend von den USA immer mal wieder kommen, gerade auch im kommenden Jahr.

Holger Schmiedingist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen. Weitere Kolumnen von Holger Schmieding finden Sie hier

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