Jerome Powell hat als Chef der US-Notenbank schon weniger herausfordernde Zeiten erlebt. Bei der ersten Zinssenkung in diesem Jahr im September räumte er ein, dass die Meinungen innerhalb der Federal Reserve über den weiteren geldpolitischen Kurs weit auseinandergehen. Gut die Hälfte seiner Kollegen befürworte Zinssenkungen um mindestens 0,5 Prozentpunkte, während der Rest vorsichtiger sei. Man müsse „von Sitzung zu Sitzung“ und „auf Grundlage der aktuellen Daten“ vorgehen, sagte Powell. Doch was ist, wenn diese Informationen fehlen?
Kaum noch Behördenarbeit wegen „Shutdown“
Seit vergangener Woche Mittwoch sind die Regierungsgeschäfte in den USA teilweise lahmgelegt. Der Kongress konnte sich nicht auf einen Übergangshaushalt einigen. Kern des Streits bleiben seither von Republikanern angestoßene Einsparungen im Gesundheitsbereich – diese wollen die Demokraten zurückgenommen sehen. Damit fehlt die Grundlage für die weitere Finanzierung von Behörden und Ämtern, der „Shutdown“ trat ein.
Nicht als systemrelevant eingestufte Institutionen mussten etliche ihrer Mitarbeiter in den Zwangsurlaub schicken – unter ihnen: die Arbeitsmarktstatistik. Die Behörde könnte in diese Kategorie eingestuft worden sein, nachdem US-Präsident Donald Trump die Glaubwürdigkeit der Zahlen infrage gestellt und die Leiterin der Behörde entlassen hat.
Die längsten „Shutdowns“
Der mit 35 Tagen längste Stillstand der US-Verwaltung begann am 22. Dezember 2018 während der ersten Amtszeit von Präsident Donald Trump. Die Demokraten im Kongress verweigerten die Zustimmung zu einem Haushaltsgesetz, das 5,7 Milliarden Dollar für den von Trump geforderten Bau einer Grenzmauer zu Mexiko vorsah. Am 25. Januar 2019 unterzeichnete Trump schließlich ein Haushaltsgesetz ohne die Mittel für die Mauer und beendete damit den „Shutdown“.
Am 16. Dezember 1995 wurden Teile der Regierung heruntergefahren. Grund war ein Streit zwischen dem von den Republikanern kontrollierten Kongress und dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton über einen ausgeglichenen Haushalt. Clinton unterzeichnete am 6. Januar 1996 ein Gesetz zur Wiederaufnahme der Regierungsgeschäfte.
Der Stillstand begann am 1. Oktober 2013, nachdem die Republikaner Kürzungen oder eine Verschiebung der von dem demokratischen Präsidenten Barack Obama vorangetriebenen Gesundheitsreform gefordert hatten. Der "Shutdown" war Teil eines Streits über die Staatsverschuldung, bei dem den USA ohne eine Anhebung der Schuldengrenze durch den Kongress ein Zahlungsausfall drohte. Am 17. Oktober 2013 unterzeichnete Obama ein Gesetz, das die Regierung wieder öffnete und eine weitere Kreditaufnahme genehmigte.
Der derzeitige Stillstand ist mit sieben Tagen der viertlängste in der Geschichte. Die Demokraten blockieren im von den Republikanern kontrollierten Kongress die Haushaltsgesetze. Sie fordern, dass jedes Finanzpaket auch eine Verlängerung der Ende Dezember auslaufenden Gesundheitshilfen aus der Zeit der Corona-Pandemie enthalten müsse. Die Republikaner sind der Ansicht, dass dieses Thema getrennt behandelt werden sollte
Als Vorspiel für den längeren Stillstand Ende 1995 legte Präsident Clinton am 14. November 1995 sein Veto gegen ein von den Republikanern unterstütztes Haushaltsgesetz ein. Am 19. November wurde eine Einigung erzielt, die den „Shutdown“ beendete. Nur wenige Wochen später folgte jedoch der nächste Stillstand.
Der republikanische Präsident George H. W. Bush legte im Streit um den Abbau des Haushaltsdefizits sein Veto gegen ein Gesetz ein. Dies führte am 6. Oktober 1990 zu einem teilweisen „Shutdown“, bei dem Nationalparks und andere Sehenswürdigkeiten geschlossen wurden. In den frühen Morgenstunden des 9. Oktober verabschiedete der Kongress eine Maßnahme zur Wiederaufnahme der Regierungsgeschäfte.
Die Demokraten im von den Republikanern kontrollierten Kongress blockierten ein Haushaltsgesetz und lösten damit am 20. Januar 2018 einen „Shutdown“ aus. Sie wollten damit unter anderem den Schutz von Einwanderern vor Abschiebung durchsetzen, die als Kinder ohne Papiere in die USA gekommen waren. Der Kongress verabschiedete am 22. Januar ein Gesetz zur Beendigung des Stillstands, ohne jedoch das Schicksal der jungen Einwanderer zu klären.
Für die Behörde sahen die Pläne des Arbeitsministeriums vor, dass von den 2055 vollbeschäftigten Menschen nur eine Person weiterhin im Dienst bleibt. Alle anderen sollten in den Zwangsurlaub geschickt werden, wie aus Regierungsdokumenten hervorgeht. Doch auch bei anderen Behörden zeichnete sich ein ähnliches Bild ab.
Experten: „Shutdown“ wirkt sich negativ aus
In der Folge entfiel der monatliche Arbeitsmarktbericht. Bei anderen Daten wie den Inflationsdaten ist unklar, ob sie wie geplant veröffentlicht werden. Dabei wäre es essenziell für die Fed, vor ihrer nächsten Leitzinsentscheidung mehr Einblicke auf die aktuelle Entwicklung der US-Wirtschaft zu haben. Marktbeobachter gehen zwar generell nicht davon aus, dass der anstehende Termin für den Zinsentscheid durch die fehlenden Daten gefährdet ist. Sie zweifeln aber an der Qualität der Fed-Entscheidung.
Solange der „Shutdown“ andauert, dürfte die Erhebung und Veröffentlichung weiterer wichtiger Wirtschaftsdaten behindert werden – darunter auch die Inflationsdaten, warnte Chef-US-Ökonom Eric Winograd von der Vermögensverwaltung AllianceBernstein. Mit Blick auf den anstehenden Fed-Zinsentscheid Ende Oktober sagte er weiter: „Gerade an einem potenziellen wirtschaftlichen Wendepunkt ist eine fundierte Datenlage entscheidend.“
Commerzbank-Ökonom Bernd Weidensteiner kommentierte jüngst: „Die Fed stochert womöglich im Nebel.“ Es stünden kaum aktuelle Daten zur Verfügung, die das Gremium heranziehen könnte. „Dies erhöht in jedem Fall das Risiko einer falschen Entscheidung.“
Fed hat auch an anderen Fronten zu kämpfen
Dabei hat die Entscheidung der US-Notenbank weltweit Bedeutung. Die Zentralbank der Vereinigten Staaten setzt sich zum Ziel, zur Finanzstabilität der USA beizutragen. Die Fed legt etwa Zinssätze fest, was einen großen Einfluss auf Kreditkosten hat. Die Auswirkungen sind auch in Deutschland zu spüren – beim Wirtschaftswachstum und auf den Finanzmärkten im Euroraum.
Ohnehin sieht sich die Fed seit Monaten dem Vorwurf von Trump ausgesetzt, zu spät die Zinsen zu senken. Wenn es nach ihm gehen würde, hätte Fed-Chef Powell schon längst seinen Hut nehmen müssen. Der US-Präsident macht ihn persönlich dafür verantwortlich, dass die Fed den Leitzins über Monate hinweg stabil hielt, anstatt diesen wie von Trump verlangt zu senken. Dabei entscheidet ein zwölfköpfiges Gremium über den Leitzins und es ist ohnehin unklar, ob ein Präsident den Fed-Chef entlassen darf.
Auf dem Weg zu einem weniger unabhängigen Fed-Vorstand knöpfte sich Trump auch die Fed-Gouverneurin Lisa Cook vor: Er will sie wegen des Vorwurfs des Hypothekenbetruges loswerden. Cook bestreitet ein Fehlverhalten. Der Fall liegt mittlerweile vor dem obersten Gericht der USA. Dort kassierte Trump zuletzt einen Dämpfer bei seinem Entlassungsversuch, doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Fed vor heiklem Zinsentscheid
Für Fed-Chef Powell heißt es nun, eine Lösung zu finden. Geplant ist der nächste Zinsentscheid für den 29. Oktober - bis dahin hätte die Fed eigentlich Zeit, um anhand vorliegender Wirtschaftsdaten die zentrale Frage zu beantworten: Wird der US-Leitzins weiter gesenkt oder bleibt er in der Spanne von 4,0 bis 4,25 Prozent?
Es wird nicht das erste Mal sein, dass Powell während eines „Shutdowns“ eine Zinsentscheidung leiten wird. Bereits während des rund fünfwöchigen Stillstands zwischen 2018 und 2019 in Trumps erster Amtszeit musste er den Balanceakt bewältigen. Die Frage bis Ende Oktober ist, ob bis dahin die Regierungsgeschäfte wieder aufgenommen werden - und die wichtigen Konjunkturdaten noch in die Fed-Entscheidung einfließen können.