Capital: Herr Raue, wo erwische ich Sie gerade?
TIM RAUE: Ich sitze im Taxi auf dem Weg zum wahrscheinlich meinem letzten Flug über Berlin-Tegel zum nächsten „Kitchen Impossible”-Dreh.
Das geht noch trotz des neuen Lockdowns?
Ja, auf jeden Fall und man merkt jetzt auch: Das Fernsehen braucht Inhalte, und da geht im Moment eigentlich relativ viel. Das heißt, auch wenn Restaurants, in denen wir jetzt kochen, geschlossen haben, sind dort Dreharbeiten genehmigt und erlaubt.
Im ersten Shutdown im Frühjahr hatten Sie einen Lieferdienst „Fuh Kin Great“ gestartet. Sterneessen für die Mikrowelle. Fahren Sie den jetzt wieder hoch?
Ich gehe fest davon aus, dass diese vier Wochen der Anfang sind und nicht das Ende. Das hat sich ja schon abgezeichnet, auch über den Sommer. Es wurde viel zu sorglos mit dem Virus umgegangen. Und die Maßnahmen – die ich sehr clever und smart fand – wurden in keinster Weise durchgesetzt. Dass es also Strafgelder gab, dass klargemacht wurde: bis hierhin und nicht weiter. Und ich habe genug Kontakt gehabt zu Virologen, zu Menschen in der Regierung, die gesagt haben: Es wird diese zweite Welle geben. Und dann einen Lockdown oder Shutdown. Und deswegen waren wir vorbereitet, wir hatten das Konzept ja schon. Wir haben das vor mehreren Wochen rausgekramt, damit wir an dem Tag in der Lage sind zu reagieren. Denn wir wollten weiterhin unternehmerisch frei arbeiten, ohne uns davon abhängig zu machen, welches Zuckerl uns die Regierung da jetzt hinhält.
Das heißt, Sie haben Verständnis für die Maßnahmen? In Ihrer Branche gibt es seit Anfang des Monats ja viel Geschrei und Klagen.
Ich bin grundsätzlich jemand, der glaubt, dass unsere Regierung das Beste für uns Menschen machen möchte. Man kann mit Sicherheit immer etwas kritisieren. Das ist immer einfach. Man kann auch Frau Merkel kritisieren. Ich sehe sie positiv: Ihr geht es tatsächlich um das Humanitäre, um die Menschen. Für Sie ist das Materielle sekundär. Das ist die Frage, die wir uns in unserer heutigen Welt stellen müssen. Was ist für uns entscheidender? Wenn man aber die Möglichkeit hat, sich zu schützen, dann halte ich das Leben für schützenswert. Von der Feierei halte ich sowieso herzlich wenig. Und Jammern ist auch nicht meins.
Im Frühjahr hat Tim Raue schon einmal im Podcast „Die Stunde Null“ über die Folgen der Corona-Krise für die Branche und sein eigenes Sterne-Restaurant gesprochen. Hören Sie sich hier das Interview an:
Wie war ihr Sommer nach dem Neustart? Lief das Geschäft wieder auf Vorkrisenniveau?
Wir haben definitiv gemerkt, dass es Veränderungen im Businessmodell gab. Durch das extreme Home Office war unser Geschäft nahezu inexistent. Wir sind mit vielleicht 25 Prozent im Vergleich zum Vorkrisenniveau gestartet und haben uns dann hochgearbeitet, bis zum September auf 80 Prozent. Im September haben wir ein bisschen das Träumen wieder angefangen. Die ersten Menschen sind wieder gereist, vor allen Dingen innerhalb Europas. Wir hatten wieder englischsprachige Gäste, und da war so ein bisschen das Gefühl: Wir sind fast wieder da! Und dann kam der jähe Absturz, jetzt ist es im Endeffekt schlimmer als je zuvor. Das Reisen ist nicht mehr möglich. Mein Restaurant in der Schweiz kann ich gar nicht betreiben, weil ich jedes Mal, wenn ich in die Schweiz einreise, zwei Wochen in Quarantäne müsste.
Viele Restaurants beklagen, Sie hätten die Hygienestandards teuer eingeführt und Geld investiert. Andererseits gibt es Kritik am laxen Umgang. Wie ist Ihre Wahrnehmung?
Ich finde es ganz wichtig, dass man Vorgaben nicht nur einhält, sondern auch ausbaut. Wir haben zum Beispiel ein mobiles Waschbecken vorne hingestellt. Wir haben zwei große Luftfilteranlagen gekauft. Wir haben zudem darauf geachtet, dass die Regeln gnadenlos durchgesetzt werden. Bei uns gab es keine Diskussion. Wenn jemand meinte, er habe keine Maske, möchte aber auf die Toilette gehen, dann haben wir ihm eine Maske gebracht. Nicht oberlehrerhaft, sondern ganz klar. Es geht darum, solidarisch zu sein, sich gegenseitig zu schützen, auf sich zu achten. Und ich bin selber sehr gerne Gast und habe auch in Restaurants, in die ich oft gehe, Momente erlebt, in denen die Kellner keine Masken getragen haben, die Köche sowieso nicht. In denen sich keiner um die 1,50 Meter Mindestabstand geschert hat. Ich habe dann gesagt: Ich komme hier nicht mehr her. Das hat sich ja keiner ausgedacht, weil er es lustig findet, sondern weil es sinnvoll ist.
Viele Gastronomen argumentieren, dass Restaurants keine Orte der Ansteckung sind.
Da gibt es unglaublich viele Tabellen und Zahlen, das kann man diskutieren. Es stimmt, in der Gastronomie gibt es nur wenige Daten über Infektionen. Und wir haben viel investiert, wie wahrscheinlich in keiner anderen Branche. Aber nichtsdestotrotz sind das Orte der sozialen Zusammenkunft. Und das ist es, was nach meinem Verständnis unterbrochen werden muss. Und dafür habe ich auch Verständnis. Wir würden die Restaurants auch ganz schließen, wenn ich sicher bin, dass wir 75 Prozent des Umsatzes bekommen. Bis dahin möchte ich das Heft des Handelns für unser Unternehmen, für unsere Mitarbeiter, die wir weiterhin zu hundert Prozent bezahlen wollen, erst einmal selber in der Hand halten. Also starten wir jetzt wieder mit Take Away und Lieferservice.
Auf welches Szenario stellen Sie sich derzeit ein? Bis Weihnachten?Bis Ende März?
Ich lebe immer im Worst-Case-Szenario, das ist für mich ganz elementar. Kaum einer erwartet, dass vor Weihnachten dieser Lockdown aufgehoben wird. Und dann ist natürlich Weihnachten. Wenn man dann anfängt, sich mit Familien zu treffen und fünf, sechs, sieben Haushalte zusammenkommen, dann haben wir genau das, was wir nicht wollten. Ich sehe tatsächlich die Krisenzeit. Jetzt bis Ende Februar, Anfang März nächsten Jahres. Und genau so stellen wir uns darauf ein. Sollte es besser kommen, freuen wir uns.
Das Gespräch mit Tim Raue wurde vergangene Woche für den Podcast „Die Stunde Null“ geführt und ist eine leicht gekürzte Fassung.
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