Wie abhängig Unternehmen von funktionierender IT-Infrastruktur sind, zeigt das aktuelle Beispiel Volkswagen eindrücklich. Doch weitaus problematischer wäre es, wenn die Kommunikation in viel größerem Ausmaß gestört wäre. Das Bundesministerium für Inneres will deshalb die Regelungen für Mobilfunknetze deutlich verschärfen, mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes. Allein das Digitalministerium hat Bedenken – hinter den Kulissen wird rege debattiert. Dabei geht es um nicht weniger als die Umsetzung des De-Risking-Ansatzes – und die Telekommunikationsfirmen sind nur der Auftakt der Debatte.
Schon heute gilt: Im sogenannten Kernnetz ist der erste Einsatz von kritischen Komponenten anzeigepflichtig. Drei Monate hat das BMI dann Zeit, den Einsatz zu verbieten. Diese Regelung des BSI-Gesetzes wurde 2021 eingeführt und sollte die Debatte um Huawei und ZTE, die beiden großen chinesischen Komponentenhersteller, vorläufig beenden.
Insbesondere die USA hatten vor deren Einsatz gewarnt, die EU hatte mit ihrer sogenannten 5G-Toolbox reagiert, mit der Mitgliedstaaten ihre Netze der Zukunft sicherer gestalten sollen: Möglichst einheitlich sollen die Staaten vorgehen, fordert die EU-Kommission. Sie wolle einheitliche Regeln auf dem Binnenmarkt – doch die innere und äußere Sicherheit ist kein vergemeinschafteter Bereich.
BMI erweitert Prüfungen kritischer Komponenten
Die bisherigen deutschen Regelungen weisen dabei massive Lücken auf: Sie wirken in der Praxis bislang nicht – was selbst das Bundesinnenministerium indirekt einräumt. Es hat die drei großen Mobilfunkbetreiber Telekom, Vodafone und Telefónica seit Frühjahr gleich mehrfach zu Stellungnahmen aufgefordert.
Bisher hat das BMI noch keine einzige Komponente wirklich verboten. Aber es ist weder mit den jetzigen Regeln noch mit dem derzeitigen Maß an Abhängigkeit von chinesischen Lieferanten zufrieden. Weshalb der Blick nun geweitet wird. „Verfahrensgegenstand dieser ex-post Prüfungen sind – im Gegensatz zu den bereits erfolgten ex-ante-Prüfungen – alle in den jeweiligen öffentlichen 5G-Mobilfunknetzen der Betreiber bereits im Einsatz befindlichen kritischen Komponenten“, sagte eine Sprecherin. Damit wird jetzt die Lage evaluiert und anschließend soll eine Neuregelung erfolgen.
Dabei geht es um viel: die Angst vor China auf der einen Seite, Kosten auf der anderen Seite. Im Kernnetzwerk setzt Vodafone in Deutschland keine Huawei-Hardware ein. Auch Telefónica hat im Jahr 2020 bereits entschieden, im Kernnetz auf den schwedischen Anbieter Ericsson zu setzen. Die Deutsche Telekom setzt auf Ericsson und zusätzlich den US-Softwareanbieter Avenir.
Ausweitung auf das Antennennetz geplant
Doch das BMI will offenbar auch im Antennennetz, dem RAN, nachsteuern. Und hier spielt Huawei noch eine große Rolle. Alle drei Anbieter setzen Technologie der Firma ein, neben anderen Herstellern. „Im Antennennetz kam es nie zu Auffälligkeiten einzelner Hersteller“, teilt Vodafone auf Table.Media-Anfrage mit.
Auch Telefónica und die Telekom betonen, sich stets an alle Vorgaben gehalten und auf Multi-Vendor-Strategien gesetzt zu haben, um einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Einen Fürsprecher haben die Anbieter im Bundesdigitalministerium, das auf bereits heute hohe Sicherheitsstandards verweist. Netzbetreiber fordern ausreichend Zeit
Die Netzbetreiber warnen vor den Folgen eines Verbots, das Regierungskreise für 2026 überlegt hatten. Vollkommen unrealistisch sei das, meint etwa die Deutsche Telekom: „Mit Blick auf Genehmigungsverfahren, verfügbare Kapazitäten bei alternativen Lieferanten, verfügbare Kapazitäten bei Bauunternehmen und dem von Kundschaft und Politik gewünschten weiteren Mobilfunkausbau ist ein Zieldatum für den RAN-Austausch bis 2026 realitätsfern.“
Und Telefónica warnt: „Sollte es zu einem Ausschluss von Komponenten kommen, muss entsprechend ein ausreichend langer Zeitraum für deren Austausch gegeben werden. Dies ist zur Aufrechterhaltung von Netzqualität und -leistung essenziell.“ Wie viele Antennen- und zugehörige Bauteile tatsächlich getauscht werden müssten, wenn chinesische Anbieter unter staatlicher Kontrolle aus dem Netz verbannt würden, ist dabei unklar. Branchenschätzungen sprechen von etwa 25.000 Standorten mit in der Regel drei Antennen und zugehöriger Technik.
Röttgen: Mobilfunkfirmen sind selbst schuld
Telefónica kündigt deshalb an: „Für einen rückwirkend notwendigen Umbau des Netzes würde Telefónica zudem Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland prüfen.“ Außerdem würde man Untersagungen auch von Gerichten prüfen lassen wollen, wenn das adäquat erscheine. Für CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sind die Provider selbst schuld. Es sei seit Jahren klar, wohin die Reise gehe: „Diese Warnungen wurden ignoriert.“
Dann würden die Anbieter eben auf den Kosten sitzen bleiben. Auch Staatshilfen beim Umbau sieht er kritisch: „Ich sehe keinen Grund, warum der Steuerzahler nun für die Profitgier einzelner Unternehmen aufkommen sollte, die bei vollem Bewusstsein auf niedrige Preise statt Sicherheit gesetzt haben.“
Dass ein Huawei-Verbot massive Folgen hätte, zeigt sich derzeit in Portugal. Die dortige Regierung hat durch Anpassungen an technische Sicherheitsrichtlinien aus Sicht des chinesischen Anbieters ein De-Facto-Verbot erlassen – die Firma hat deswegen am 31. August in Lissabon gegen den Sicherheitsausschuss der Aufsichtsbehörde Klage eingereicht. Zugleich halten Firmen der Volksrepublik Beteiligungen an wichtigen portugiesischen Unternehmen – als viertgrößter ausländischer Investor. Portugiesische Zeitungen berichteten, dass China mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht habe.
Eine andere Wirkung gibt es im Vereinigten Königreich: Wo die chinesischen Anbieter aus den Netzen heraus müssen, geht der Ausbau der 5G-Netze vergleichsweise langsam voran. Der benötigte Ersatz für Huawei-Produkte ist keineswegs leicht zu beschaffen und teuer.
Den Kunden drohen Offline-Löcher
Davor warnen auch deutsche Anbieter. Wenn flächendeckend die RAN-Elemente ausgetauscht werden müssten, würde das zudem an anderer Stelle Ausbaukapazitäten verringern. Wenn ausgetauscht würde, müssten dafür zudem temporär komplette Mastverbünde vom Netz gehen, heißt es von den Anbietern. Sprich: Die Nutzer in einem größeren Gebiet wären offline. „Uns erschließt sich nicht, warum den deutschen Mobilfunkkunden, die von einem der besten 5G-Netze in Europa profitieren, vom BMI ohne Not wesentliche Qualitätsverluste zugemutet werden sollen“, teilt die Telekom mit.
Und Vodafone betont: Man müsse „einen Weg finden, der Deutschlands digitale Infrastruktur optimal schützt, der aber nicht zulasten von Millionen Smartphone-Nutzern geht“. Das BMDV betont, dass es eine ausgewogene Lösung brauche: Es müsse dabei berücksichtigt werden, „dass die flächendeckende Versorgung mit stabilem, schnellem und bezahlbarem mobilen Internet gesichert bleibt, die Netzbetreiber die Herrschaft über ihr eigenes Netz behalten und keine Abhängigkeiten entstehen“.
Der nächste Schritt könnte daher sein: Die Antennen dürfen vorerst bleiben – aber die Technik im Antennennetz dahinter müsste bis 2026 ausgetauscht werden. Das wäre zwar ebenfalls nicht im Sinne der deutschen Anbieter, als Kompromiss aber einfacher und immerhin etwas kostengünstiger.
Deutsche-Bahn-5G-Netz fällt nicht unter Regelung
Die Debatte um die chinesischen Anbieter bei Telekommunikationsunternehmen wird auch in anderen Branchen intensiv verfolgt. So will derzeit etwa die Deutsche Bahn, ihrerseits Teil der kritischen Infrastruktur, ihr 5G-Netz unter anderem mit Technologie von Huawei errichten. Mit dem Netz soll unter anderem das vor Jahresfrist mit zwei Kabelschnitten im Norden Deutschlands außer Gefecht gesetzte Bahnfunk-System GSM-R ersetzt werden.
Die Bahn schreibt derartige Leistungen aus – und muss als Unternehmen in öffentlicher Hand das günstigste Angebot nehmen. „Dass die Deutsche Bahn als 100-prozentiges Eigentum des Bundes und unter Aufsicht von Mitgliedern der Bundesregierung ihr IP-Netz mit chinesischen Komponenten bauen möchte, halte ich für skandalös“, zürnt Röttgen. „Hier wurde aus der 5G-Debatte nichts gelernt.“
Doch die Bahn fällt zwar unter Regelungen für kritische Infrastrukturen. Aber nicht unter die Sonderregelungen für Telekommunikationsnetze, mit denen chinesische Anbieter aus dem Netz verschwinden sollen. Das gilt auf europäischer Ebene, wie eine Kommissionssprecherin auf Anfrage von Table.Media bestätigt: Campusnetze könnten zwar höchst relevant sein. „Aber solche Netzwerke sind nicht Gegenstand des EU-Telekommunikationsrahmens.“ Und auch in Deutschland gibt es rechtlich bislang keine wirksame Handhabe. Denn diese sei in der „derzeitigen Fassung ausschließlich auf öffentliche 5G-Mobilfunknetze anwendbar“, wie das BMI auf Anfrage mitteilt. Und als öffentlich gelten sogenannte Campusnetze wie bei der Bahn eben nicht.
Weitere Betreiber Kritischer Infrastrukturen im Fokus
Mit dem Dachgesetz für kritische Infrastrukturen (Kritis) will das Bundesinnenministerium aber noch viel mehr ändern. Kritische Komponenten könnten in allen Anlagen künftig strenger reguliert werden – von Spezialschrauben über Chips und Campusnetze bis hin zu kompletten Anlagen.
Ein Sprecher des Verbands der Kommunalen Unternehmen sagt: „Dem VKU liegen aktuell keine Daten vor, die große Abhängigkeiten kommunaler Unternehmen von chinesischen Herstellern oder Lieferanten begründen.“ Doch so ganz genau wisse man es eben nicht: „Abhängigkeiten in Teilbereichen lassen sich nicht ausschließen, beispielsweise im Glasfaserbereich aufgrund des relativ übersichtlichen Anbieterangebots bei aktiven Komponenten.“ Wie viel China in kritischer Infrastruktur in Deutschland steckt, ist oft nicht einmal den Betreibern bewusst.
Die eigentliche Debatte um das praktische De-Risking hat also gerade erst begonnen. Für Norbert Röttgen ist es dafür höchste Zeit. Er mahnt: „Im Konfliktfall wird China jede Einflussmöglichkeit nutzen, um zugunsten der eigenen Interessen Druck auf die Bundesregierung auszuüben.“