War 2020 gut oder schlecht für die Start-up-Welt? Die Experten waren sich bis zum Schluss nicht einig. Viele Gründer berichteten stolz, die Coronapandemie hätte für ihre Unternehmen zu einem regelrechten Hype geführt. Denn die Menschen hätten endlich ihr Verhalten verändert, sie würden mehr online einkaufen – und sich daran gewöhnen, zum Beispiel mit dem Smartphone zu bezahlen. Andere Beobachter waren eher besorgt : Sie befürchteten, dass Investorengelder nicht mehr fließen würden, aus Angst vor den Konsequenzen der Pandemie – von einer möglichen „Eiszeit“ war die Rede. Die Bundesregierung stellte Coronahilfen auch für Start-ups bereit.
Am Ende hatten vermutlich beide recht. Gerade in den letzten Wochen vor Jahresende gab es einen regelrechten Finanzierungsrun für deutsche Start-ups, doch viele Gründer berichten im Vertrauen auch von schwierigen Verhandlungen mit ihren Geldgebern. Und das Geschäft entwickelt sich in einige Branchen tatsächlich extrem gut, etwa bei den Geldanlage-Apps. Doch für andere sind die Aussichten auch in den kommenden Monaten schlecht.
Was wird es der deutschen Start-up-Szene im kommenden Jahr ergehen? Capital traut sich an einige Vorhersagen:
Deutschland wird keine „IPO-Manie“ erleben
In den USA drängen gerade mehrere Digital-Stars an die Börse, eine regelrechte „IPO-Manie“. Der Kurs der Übernachtungsplattform Airbnb explodierte am ersten Tag nach dem Initial Public Offering. Der Gaming-Anbieter Roblox verschob seinen IPO sogar erst einmal, weil er die Preisfindung im stark aufgehitzten Markt für als zu schwierig befand.
In Deutschland steht die Autohandelsplattform Auto1 in den Startlöchern. Auch Celonis aus München ist ein Kandidat, das Software-Unternehmen ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und Software-Anbieter werden zurzeit hoch bewertet. Auch beim Online-Händler About You gibt es Berichte über einen möglichen Börsengang.
Die große IPO-Manie wird aber ausbleiben, weil eine Reihe von deutschen Hoffnungsträgern aus der Reisebranche kommt: der Fernbus-Anbieter Flixbus, die Reiseplattform Omio, die Tourenplattform Getyourguide und Tourlane. Sie müssen nun zeigen, dass die Nachfrage nach der Pandemie wieder anzieht, bevor ein Börsengang sinnvoll ist. Für andere Digital-Stars ist es noch zu früh: etwa die Personalsoftware Personio, den Fernwartungsanbieter Anydesk oder das Banking-Start-up N26. Dessen Gründer Valentin Stalf hat kürzlich signalisiert, dass er noch einige Jahre bis zu einem Börsengang warten will.
Reise-Start-ups werden weiter Probleme haben
Gerade die mittelgroßen Start-ups, die von der Reise-Branche abhängig sind, werden auch im kommenden Jahr keine leichte Zeit haben. Investoren schrecken zurzeit zurück, wenn sie nur das Wort „Travel“ hören, erzählt ein Insider. Brauchen diese Firmen nun in den kommenden Monaten Geld, bevor sie eine Erholung nachweisen können, haben sie ein Problem. Daraus ergibt sich eigentlich für Geldgeber durchaus die Chance, in gute Firmen zu investieren, die nun mit ihren Unternehmensbewertungen herunter gehen müssen. Doch Start-up-Investoren setzen stark auf Trends – und viele wollen abwarten, ob sich das Reiseverhalten nachhaltig verändern wird.
Ein neuer Online-Handel wird entstehen
Das Thema E-Commerce hatten viele Start-up-Investoren schon abgeschrieben. Denn die großen Geschäftsfelder waren von Playern wie Amazon oder Zalando besetzt. Nun gibt es eine nächste Welle: Getrieben vom Vorbild Gopuff aus den USA macht sich in Europa ein neuer Trend breit, bei dem Lebensmittel nach Hause geliefert werden – und das innerhalb von einem sehr kurzen Zeitfenster. Das Berliner Start-up Gorrilas hat gerade 36 Mio. Euro dafür bekommen, etwa ein halbes Jahr nach der Gründung.
Vor einigen Jahren gab es schon einmal einen Hype um ein ähnliches Geschäftsmodell, vor allem befeuert durch die Berliner Firma Gobutler. Einer der Gobutler-Gründer mischt nun auch bei dem neuen Angriff wieder mit. Damals ließ sich das Geschäft nicht profitabel betreiben, Gobutler musste aufgeben. Ähnlichen Fragen stellen sich nun wieder. Die hohe Nachfrage wird nach der Coronapandemie sicherlich wieder weniger werden. Es bleibt offen, ob die Liefermodelle sich dann noch rechnen. Zu oft hat sich gezeigt, dass Geschäftsmodelle, die in den USA funktionieren, in Europa nicht unbedingt durch die Decke gehen.
Es wird mehr Moonshot-Funding geben
2021 werden sich mehr Start-up-Gründer an die ganz großen Themen herantrauen. Beim Flugtaxi-Start-up Volocopter etwa dürfte eine große Finanzierungsrunde bevorstehen. Der Raketenbauer Isar Aerospace hat gerade 75 Mio. Euro bekommen, von ganz traditionellen deutschen Start-up-Investoren. Marvel Fusion arbeitet mit Geld von Susanne Klatten und dem Wagniskapitalgeber Blueyard an einem Fusionskraftwerk. Ähnlich ambitionierte Projekte werden im kommenden Jahr große Finanzierungsrunden verkünden können.
Female Finance wird boomen
Lange hat die Finanzbranche Frauen als Zielgruppe vernachlässigt, eine Mehrheit der Aktieninvestoren ist noch immer männlich, in Deutschland sind es fast zwei Drittel. Neue Start-ups drängen auf den Markt, die mit Marketing und Aufmachung Frauen erreichen wollen. Fina aus Berlin und Jefa aus New York sind nur zwei Beispiele. Start-up-Investoren sprechen von einem der großen Fintech-Trends des kommenden Jahres. (Ein ausführlicher Bericht erschien bei Finance Forward. )
Der Trading-Aufwind wird vorüber sein
In der Coronapandemie haben Millionen von Menschen angefangen mit Aktien zu handeln. Apps wie Robinhood oder Trade Republic aus Berlin sind durch die Decke gegangen – bei den Anbietern sind Kauf und Verkauf per Smartphone möglich und die Gebühren entfallen fast komplett. Experten sind sich aber uneinig, ob der Boom anhalten wird. Wahrscheinlich ist, dass die Aktivität zurückgehen wird. Trotzdem steigt die Zahl der Aktienhändler, auch in Deutschland. Sie werden vermehrt Produkte wie ETF-Sparpläne verwenden. Das wird für Aufwind in der jungen Branche sorgen.