Herr Kohle, die europäische Photovoltaikbranche befindet sich in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu China. Die Politik will das ändern und die Produktion wieder stärker nach Europa holen. Auch Sie kaufen mit ihrem Unternehmen Enpal vor allem in China ein. Überlegen Sie schon, ihre Lieferketten neu auszurichten?
MARIO KOHLE: China dominiert ganz klar die Produktion von Solaranlagen – bei einem Teilprodukt, den Wafern, sind es zum Beispiel 97 Prozent. Das heißt, 97 Prozent der Solaranlagen sind einmal durch China gegangen. Wir sind extrem zufrieden mit unseren chinesischen Partnern. Gerade durch die jüngsten Krisen ist das Vertrauen noch einmal gestärkt worden. Ich glaube aber, dass das, was China produzieren kann, gar nicht ausreichen wird. Der Bedarf ist gigantisch, denn wir müssen unser Stromsystem weltweit komplett auf erneuerbare Energien umstellen. China kann das auch nicht alleine schaffen. Also ja, auch wir gucken uns natürlich immer um.
Wo liegen denn noch Wachstumspotenziale?
Die Solarenergie erlebt einen weltweiten Boom. Die USA haben das begriffen. Und mein Wunsch ist, dass auch die EU das begreift. Es gibt gerade eine wahnsinnige Chance für Europa und die Unternehmen. Herbert Diess hat ja zum Beispiel schon angekündigt, 15 bis 20 Solarwerke in Europa zu errichten. Auf solche und andere Projekte bin ich sehr gespannt.
Steigt Enpal auch ein?
Nein, für uns ist die Herstellung selbst eher nichts. Wir kümmern uns um alles, was nach der Produktion geschieht. Aber wir freuen uns über Partnerschaften und sind hier in intensiven Gesprächen mit den führenden Unternehmen.
Zuletzt haben 26 Unternehmen einen Plan vorgestellt, um die europäische Solarindustrie zu neuem Leben zu erwecken – darunter Enpal, aber auch Energiekonzerne wie Eon. Spüren Sie politischen Rückenwind für Ihr Thema?
Ja, das spüre ich auf jeden Fall. Wir haben in Europa erkannt, dass es gewisse Schlüsselindustrien gibt, die wir hier brauchen – zum Beispiel Batterien. Da sind wir auf einem guten Weg. Jetzt geht es immer mehr in Richtung Photovoltaik.
Finden wir denn dafür genügend Leute – Stichwort: Fachkräftemangel?
Ja, Produktion ist wieder sexy, gerade in der jungen Generation. Das spüre ich ganz eindeutig. Außerdem gibt es ganz andere Vorzeichen als vor 20 Jahren. Da waren wir in Europa schon einmal führend bei PV, wir haben sie sogar erfunden. Mittlerweile ist die Automatisierung so weit fortgeschritten, dass wir deutlich weniger Personal für den Bau von PV-Modulen benötigen. Die Arbeitskosten fallen also gar nicht mehr so ins Gewicht wie damals. Wenn wir jetzt dank mehr erneuerbarem Strom auch noch geringe Energiekosten haben, und die Skaleneffekte zunutze machen, können wir auch günstiger PV-Anlagen herstellen. Der vermeintliche Fachkräftemangel sollte aber eigentlich nicht Kern der Debatte sein.
Sondern?
Wir sollten endlich loslegen und uns nicht immer mit irgendwelchen Bedenken rumschlagen. Mich nervt das extrem. Wie oft habe ich schon gehört: Das klappt nicht, das ist viel zu ambitioniert – und am Ende hat es eben doch funktioniert. Henry Ford hat mal gesagt: „Ob du denkst, du kannst es oder du kannst es nicht: Du hast in beiden Fällen recht.“ Und genau so mutig sollten wir auch die Produktion von Solarmodulen in Europa angehen. Da finde ich es zum Beispiel sehr inspirierend, wenn sich Leute wie Herbert Diess nach vorne stellen und sagen: So, wir machen das jetzt.

Sind denn die Rahmenbedingungen in Europa mittlerweile dafür gegeben, um loszulegen?
Die USA machen es vor: Der Inflation Reduction Act garantiert dort staatliche Anschubfinanzierung für die heimische Solarindustrie. Darauf brauchen wir eine europäische Antwort. Wenn ich mit Produzenten spreche, dann sagen die mir ganz klar: „Wenn ich die Wahl habe, und kann starke Subventionen in den USA oder Indien bekommen – dann gehe ich dahin und nicht nach Europa.“ Eine europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act muss dem Ganzen vorweg gehen, denn das alles ist auch in Europa machbar. Deshalb haben wir in einer Gruppe mit 26 führenden Unternehmen einen Vorschlag erarbeitet, wie die Politik die Solarindustrie stärken kann. Enpal war hier intensiv beteiligt und hat die Erarbeitung des Vorschlags federführend mit koordiniert. Dieser Vorschlag wird am heutigen Dienstag mit Robert Habeck und den Spitzen der Erneuerbaren-Branche beim BMWK-Produktionsgipfel diskutiert, um die Renaissance der deutschen Solarindustrie einzuleiten.
Daran arbeitet die EU bekanntermaßen. Was wären Ihre Wünsche an ein solches Paket?
Eigentlich nur zwei Dinge: Schnell und einfach. Denn: alle Gelder bringen nichts, wenn sie wegen praxisferner Antrags- und Genehmigungsverfahren nicht beansprucht werden können. Wenn ein LNG-Terminal nur zehn Monate braucht, dann muss diese „Deutschlandgeschwindigkeit“, wie von Olaf Scholz ausgerufen, auch für Solarfabriken gelten. Europa darf nicht länger zaudern. Jetzt müssen wir vom Wollen zum Handeln kommen. Und zwar schnell. Der amerikanische Inflation Reduction Act ist deshalb so gut, weil er so unbürokratisch ist. So etwas brauchen wir hier auch, und zwar schnellstmöglich.
Ihr Unternehmen Enpal hat in den vergangenen drei Jahren offensichtlich von der geopolitischen Lage profitiert. Erst durch Corona, als viele Menschen ihre Häuser renoviert haben, dann durch den Ukrainekrieg, als fossile Energien unglaublich teuer wurden. Jetzt scheinen sich die Krisen etwas zu stabilisieren. Wie geht es Ihnen damit?
Corona war in erster Linie ein ziemlicher Albtraum für die Lieferketten. Und auch wir wussten ehrlich gesagt nicht direkt, ob wir das überleben werden. Wir haben zum Glück mitten in dieser Zeit ein Büro im chinesischen Shenzhen eröffnet. Wenn wir das nicht getan hätten, dann wären wir mehrfach lieferunfähig geworden. So waren wir das nicht einen Tag. Der Ukraine-Krieg war dann ein Schlüsselmoment für viele Menschen, die plötzlich gemerkt haben, wie wichtig Energieunabhängigkeit ist. Insofern stimmt die Analyse zwar – aber wir schauen bei Enpal eigentlich immer nur darauf, was für uns richtig ist und machen uns nicht von Krisen abhängig.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel das Thema „Fachkräftemangel“. Den gibt es bei uns nicht. Wir haben festgestellt, dass wir den Großteil der Arbeitsschritte in wenigen Wochen anlernen können. Dafür haben wir eine Akademie gegründet, die bereits für mehrere Monate ausgebucht ist.
Sie haben im Januar erfolgreich eine Series-D-Finanzierung abgeschlossen und sind dort mit 2,4 Mrd. Dollar bewertet worden. Enpal ist also immer noch ein sogenanntes „Einhorn“. Von vielen Start-up-Gründern hört man derzeit, dass es schwer sei, an Risikokapital zu kommen. Wie kompliziert liefen die Gespräche bei Ihnen?
Ich habe 2008 meine erste Firma gegründet, drei Monate vor der Finanzkrise. Das war im Nachhinein eine sehr gute Schule für mich. Wir haben daher Enpal ziemlich schnell profitabel gedreht. Für uns waren die Gespräche deshalb jetzt angenehm.
Bei Enpal waren schon vorher prominente Investoren an Bord – zum Beispiel Leonardo di Caprio oder Peter Rive, der Cousin von Elon Musk. Jetzt kommen noch U2-Sänger Bono und Jeff Skoll, der erste Präsident von ebay, dazu. Wieso zieht Enpal so viele Prominente an?
Das können die Personen wohl nur selbst beantworten. Wahrscheinlich ist es unsere Idee, die Gesellschaft zu einer erneuerbaren Community zu verbinden – indem wir jedem Haus eine Solaranlage, Speicher, eine Elektroladesäule und irgendwann auch eine Wärmepumpe vermieten. Mir persönlich gibt das ein sehr gutes Gefühl, jeden Tag aktiv etwas gegen die Klimakrise zu tun. Und ich glaube, anderen bei uns geht das genauso. Außerdem wachsen wir sehr stark, im letzten Jahr haben wir uns fast vervierfacht. Das dürfte sicher auch ein Grund sein.
Viele Start-ups kommen auch ohne Series-D-Finanzierung aus und gehen nach der Series-C-Runde direkt an die Börse. Warum dreht Enpal noch die neue Runde?
Wir haben natürlich alle Finanzierungsoptionen geprüft. Erst einmal sind wir profitabel, deshalb ist das Thema Finanzierung gar nicht mehr so wichtig. Aber: In Zeiten von Multikrisen ist es sicher nicht verkehrt, etwas mehr auf dem Konto zu haben, als man vielleicht braucht. Wir investieren auch sehr stark in Internationalisierung und neue Technologien.
Sie planen also keinen Börsengang?
In Zukunft kann man den natürlich nicht ausschließen. Wir brauchen aber gerade keine Finanzierungsrunde. Natürlich brauchen wir durch unser Mietmodell immer wieder neues Refinanzierungskapital, um die Anlagen vorzufinanzieren. Es gibt aber definitiv kein Datum für einen IPO. Wir haben alle Optionen zu wachsen.
Enpal verkauft bislang eigentlich nur in Deutschland – einem Land mit wenig Sonne und viel Bürokratie. Jetzt wollen Sie expandieren. Welche Regionen sind für Sie besonders interessant?
Wir verfolgen den Ansatz „kriechen, gehen, rennen“. Wir sind sechs Jahre in Deutschland geblieben und haben unser Konzept immer weiter verfeinert. Dafür braucht es eine Menge Disziplin, denn es ist immer shiny und cool, zu expandieren. Wir expandieren jetzt zunächst mit einem kleinen Team in Europa und lernen die Länder Stück für Stück erst einmal kennen. Was sind die Besonderheiten in der Installation, bei der Beratung, etc.? Wir können nicht einfach Copy & Paste machen.
Erst Unternehmer, dann Klimaaktivist

Seit 2020 bauen die beiden Gründer das ClimateTech-Start-up Planetly auf. Kernprodukt ist eine Software, mit der Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck in Echtzeit messen und reduzieren können. Ende 2021 erfolgte dann der Verkauf an die US-Softwarefirma One Trust. Das Unternehmen soll angeblich 100 Mio. Dollar für Planetly gezahlt haben. Franke und Alex sind weiterhin als Führungskräfte mit an Bord.
Das klingt aber nicht nach dem beliebten Hyperwachstum, das viele Startups anstreben…
Nein, das passt auch nur in Teilen zu unserer DNA. Einerseits mögen wir natürlich schnelles Wachstum. Auf der anderen Seite würde ich uns fast als Mittelständler beschreiben. Wir wollen kein Wachstum ohne Gewinn, da sind wir sehr konservativ. Und wenn wir expandieren, sind wir da nicht groß anders. Wir brauchen erst einmal einen Business Case, der für alle Seiten Sinn macht.
Ein letzter Punkt: Hört man sich in Branchenkreisen zu Enpal um, wird immer wieder die Zusammenarbeit mit Huawei kritisiert. Zur Steuerung der Anlage wird ein Internet-Zugang benötigt. Man lässt also fremde Systeme von Huawei ins eigene Netz. Außerdem könnte es Fernabschaltemöglichkeiten geben. Letztlich sind es die gleichen Bedenken wie beim 5G-Ausbau. Können Sie diese Sorgen nehmen?
Wir haben uns das natürlich angeschaut – und nach allem, was wir wissen, sind solche Geschichten Räuberpistolen. Das lässt sich durch nichts belegen. Aber wir kennen die Kritik natürlich.