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Kolumne Schluss mit dem Euro?

Ein französischer Vordenker fordert das Ende der Währungsunion. Sein Plan für den Ausstieg bleibt fragwürdig – aber seine Analyse ist Pflichtlektüre. Von Christian Schütte
Christian Schütte
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik
© Trevor Good

Die Kunst des taktischen Rückzugs hat in Deutschland keine besondere Tradition. Ganz oder gar nicht, heißt es hierzulande gern. Oder besser noch: Vorwärts immer, rückwärts nimmer.

Frankreich ist da manchmal etwas anders. Die Formel des „reculer pour mieux sauter“, des „zwei Schritte zurück für den großen Satz nach vorn“, gehört dort zum festen politischen Sprachschatz.

Das zeigt sich nun auch in der Euro-Krise. Ein Franzose aus der Elite der europapolitischen Vordenker hat ein Buch geschrieben, das auf den ersten Blick wie blanke Ketzerei erscheint. Das aber nichts anderes versucht, als eine Alternative zur bisherigen Politik des verbissenen, extrem kostspieligen und womöglich aussichtslosen Durchhaltens aufzuzeigen.

François Heisbourg, der Chef zweier renommierter Strategie-Thinktanks in London und Genf, verkündet: „La fin du rêve européen – Das Ende des europäischen Traums“. Seine zentrale These ist, dass die Währungsunion an ihren zahlreichen Konstruktionsfehlern gescheitert ist und die Versuche, sie um jeden Preis zu retten, mittlerweile die gesamte europäische Einigung in Gefahr bringen. Ein solcher Zerfall der Europäischen Union wäre aber noch viel katastrophaler als alle wirtschaftlichen Turbulenzen, die mit einer Auflösung des Euro zweifellos verbunden wären.

Heisbourg glaubt an Europa

Das Merkel-Diktum „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa“ wird von Heisbourg gleichsam auf den Kopf gestellt: Gerade weil Europa auf keinen Fall scheitern darf, muss es seine zerstörerisch wirkende Währungsunion aufgeben. Der geordnete Rückzug aus dem Euro ist die einzige Chance, später vielleicht doch noch einmal das Projekt einer politischen - und dann ganz selbstverständlich auch monetären - Union in Europa zu verwirklichen. „Reculer pour mieux sauter“.

Das alles ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil Heisbourg nicht im Entferntesten zu den üblichen Verdächtigen gehört, die schon immer gegen die Europäische Union oder die Gemeinschaftswährung opponiert haben. Im Gegenteil: Dieser Ketzer glaubt zutiefst an die europäische Einigung, will ihren Fortschritt, durch und durch.

Seine Analyse unterscheidet sich auch ganz gravierend von den meisten deutschen Kritikern der Euro-Rettung. Heisbourg begrüßt ausdrücklich die diversen Rettungsschirme der europäischen Finanzminister und die Notmaßnahmen der Europäischen Zentralbank. Die gemeinschaftliche Schuldenhaftung, die für viele Deutsche der entscheidende Sündenfall ist, hat aus seiner Sicht eigentlich nur ein einziges, allerdings fatales Problem: Sie kam zu spät, um die Eskalation der Krise in Südeuropa noch zu verhindern.

Kein Durchwursteln auf Dauer

Heisbourg ist nicht aus Prinzip gegen den Euro. Aber er glaubt, dass sich die Europäer damit inzwischen in eine tödliche Falle manövriert haben: Die vorhandenen Gemeinschaftsinstitutionen waren von Anfang an viel zu schwach, um diese Währung so effektiv zu managen, wie das in anderen großen Wirtschaftsräumen – etwa den USA - möglich ist. Um den Euro wirklich zu retten, wäre deshalb jetzt ein mächtiger Integrationssprung nach vorn notwendig – für den es aber nirgendwo politische Mehrheiten gibt. Und der immer unwahrscheinlicher wird, je länger die Krise anhält und je tiefer sie sich frisst.

Die gewählte Strategie des Durchwurstelns, die inzwischen zumindest erreicht hat, das ein wenig Ruhe eingekehrt ist, kann nach Heisbourgs Ansicht nicht auf Dauer gut gehen: Europas Wirtschaft sei vor allem im Süden von Massenarbeitslosigkeit, eskalierenden Schulden und jahrelanger Stagnation gezeichnet. Ein erlösender kräftiger Aufschwung sei nicht im Ansatz erkennbar, die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Eurostaaten würden nicht geringer, sondern immer größer. Kurz: Die Eurokrise ist kein Beinbruch, der nach einem schmerzhaften Schock allmählich wieder verheilen wird. Sie ist ein wirtschaftliches Krebsleiden, das auf lange Sicht das Überleben gesamten sozialen Organismus gefährdet – und nur überwunden werden kann, wenn der Krankheitsherd herausoperiert wird.

So fatal es gewesen wäre, wenn der Euro im Chaos des Sommers 2012 zerfallen wäre, so überlebenswichtig ist es nach Ansicht Heisbourgs jetzt, die relative Ruhe für die stille Vorbereitung der großen Operation Euro-Exit zu nutzen.

Ob der Plan, den er dafür skizziert, tatsächlich funktionieren könnte, ist mit dicken Fragezeichen zu versehen. Heisbourg selbst weist darauf hin, dass der geordnete Rückzug bekanntlich das gefährlichste aller Manöver sei. Und dass es dabei keine Erfolgsgarantien gibt.

Europa gefährdet sich selbst

Das ändert allerdings nichts daran, dass er mit seinem Buch in aller Schärfe zeigt, vor welchen Alternativen die Euro-Politiker heute tatsächlich stehen: Wenn sie den ganz großen Sprung in eine umfassend vergemeinschaftete Wirtschafts- und Währungspolitik nicht schaffen, und wenn sie zugleich auch den Rückzug kategorisch ausschließen, dann droht Europa ein langes wirtschaftliches Elend, dessen politische Folgen unkalkulierbar sind.

Bloße Durchhalteparolen und Muntermachersprüche nutzen sich bei jahrelanger Massenarbeitslosigkeit und dem Zusammenbruch ganzer Wirtschaftsstrukturen irgendwann ab. Was aus der Sicht eines prosperierenden Nordens noch als Fortschritt erscheint, wird vor Ort dann als purer Zynismus empfunden.

Das vereinte Europa gefährdet sich selbst, wenn es seine Währungsunion nach der Logik verteidigt, die einmal einem US-Offizier im Vietnamkrieg zugeschrieben worden ist: „Wir mussten das Dorf leider zerstören, um es zu retten.“

Zu den Kolumnen von Christian Schütte: Das größte Fiunkloch der Welt, Mein Moment mit Catherine Deneuve und Die Kunst des Reichwerdens

E-Mail: schuette.christian@capital.de

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