Vielleicht ist das alles ja nur ein klassisches Missverständnis. Eines von der Sorte, die entsteht, weil Wörter ganz verschieden verstanden werden können. „Unter Freunden hört man sich nicht ab!“, empören sich die Deutschen, denn die denken bei „Freund“ immer noch so gerne an Heinz Rühmann und „Die Drei von der Tankstelle“:
Sonnige Welt! Wonnige Welt!
Hast uns für immer zusammengesellt!
Liebe vergeht, Liebe verweht,
Freundschaft alleine besteht!
Andere denken in der internationalen Politik ein wenig geschäftsmäßiger, hören lieber überall mal rein, denn Vertrauen ist zwar bekanntlich gut, Kontrolle aber noch ein bisschen besser. Und jeder Facebook-Freund weiß doch heute sowieso, dass Privatsphäre eine Idee aus dem vergangenen Jahrtausend sein soll.
Kein Wunder, dass es zwischen diesen beiden Sichtweisen jetzt auf einmal so heftig kracht. Irgendwie hatte man die Beziehung doch immer ganz anders verstanden.
Ziemlich altmodische Hausaufgaben
Das eigentlich Alarmierende an der Sache ist, dass die US-Behörden offenbar seit Jahren auf der ganzen Welt mithören, aber viel zu selten etwas verstehen. Um dahinter zu kommen, wie deutsche Politiker ticken, muss man nämlich keineswegs das komplette Handygeschnatter rund um den Reichstag anzapfen. Und um zu erkennen, worauf es der Bundeskanzlerin ankommt, muss man auch gar nicht in ihre SMSerei hineinspicken.
Es reicht schon, wenn man sich sehr intensiv mit der Geschichte und den gesellschaftlichen Trends in diesem Land beschäftigt. Gute Zeitungen liest und mit ein paar Leuten spricht. Kurz: Wenn man ziemlich altmodische Hausaufgaben macht.
Wer das tut, der wird vom Verhalten der deutschen Regierung in den großen internationalen Fragen kaum überrascht werden – ob es nun um den Euro, Afghanistan, einen Krieg in Libyen oder in Syrien geht. Und er wird auch merken, dass dieses „crazy little thing called Datenschutz“ den Leuten hier irgendwie wichtig ist. Weshalb man es zumindest nicht mit demonstrativer Nichtachtung behandeln sollte, wenn man Wert auf das eigene Image legt.
Technik ersetzt Diplomatie nicht
Die große Verheißung der elektronischen Ausspähung ist es heute, dass sich aus jedem noch so großen Datenwust die entscheidenden Muster und Mitteilungen herausfiltern lassen. Dass dadurch Menschen und Gruppen berechenbar werden, denen man noch nie über den Weg gelaufen ist und von denen man nichts weiter kennt – und auch nicht kennen will - als ihre Daten.
In der Handygate-Affäre zeigt sich jetzt, dass diese digitale „Intelligence“ eben doch kein Ersatz für diplomatische Klugheit ist. Dass auch die beste Technik nichts nützt, wenn sie in ein mentales Funkloch gestellt wird.
Entscheidend für das deutsch-amerikanische Verhältnis ist letztlich nicht, was genau Barack Obama wann über die Aktionen seiner Dienste in Berlin wusste. Viel wichtiger wäre die Frage, was er in all den Jahren über dieses Land gelernt hat.
Zu den Kolumnen von Christian Schütte: Mein Moment mit Catherine Deneuve, Die Kunst des Reichwerdens, Deutschland, einig Merkelland, In der Wind-Schere und Zwei Farben rot
E-Mail: schuette.christian@capital.de