Catherine Deneuve, die weibliche Ikone des französischen Films, ja die klassische Schönheit Frankreichs schlechthin, wird heute 70 Jahre alt. Leider bin ich ihr persönlich nie begegnet, und es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass daraus noch etwas werden wird.
Aber ich verdanke Deneuve einen erhellenden Moment, in dem ich vielleicht mehr über Frankreichs wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme gelernt habe, als aus vielen Zeitungsartikeln. Statt einer Würdigung der großen Schauspielerin deshalb hier nur diese kleine Szene, ergänzt um ein paar neue Zahlen aus der zweitgrößten europäischen Volkswirtschaft.
Eher zufällig habe ich vor ein paar Wochen einen neueren Deneuve-Film geschaut: „Das Schmuckstück (frz.: „La Potiche“) von 2010 ist die amüsante Geschichte einer scheinbar weltfremden Unternehmergattin und Hausfrau, die eines Tages einspringen und die Schirmfabrik retten muss, die ihr überdreht-autoritärer Mann fast ruiniert hat. Es geht, sehr französisch, um die Liebe und den Klassenkampf, um Amouren und Betriebsbesetzung.
Großes Kino
Das Drehbuch basiert auf einem Theaterstück aus den 70ern, dem allerdings noch Kapitel angefügt wird: Nachdem der Gatte sie wieder aus dem Betrieb gedrängt hat, wechselt die Frau in die Politik.
So kommt es zu der großen, strahlenden und so höchst eigenartig politischen Schlussszene: Deneuve tritt als frisch gewählte Abgeordnete vor ihr Wahlvolk und erklärt, wie sie ihre Aufgabe versteht:
„Mein Traum ist es, einen großen bunten Schirm zu öffnen! Unter dem ich euch alle verwöhnen und bemuttern kann! Denn ihr seid meine Kinder!“
Der ganze Saal jubelt „Mama! Mama!“ und Catherine Deneuve singt ein Lied von der Schönheit des Lebens.
Großes französisches Kino!
Aber vielleicht doch auch ein Hinweis auf eine fundamentale Misere? Wenn der kollektive Traum von Politik jedenfalls wirklich darin besteht, immer noch mehr Mutti- und Verwöhnprogramme aufzulegen - na dann gute Nacht.
Super-Mutti mit Sex-Appeal
Schon klar: So ein Film ist bloß ein Film und keine soziologische Analyse. Die Schlussszene lässt sich auch einfach als Hommage an die große Deneuve verstehen.
Aber „La Potiche“ war seinerzeit sehr bewusst auch als politischer Kommentar zur Ära des Präsidenten Sarkozy angelegt. Zum autoritären Stil eines scheinbar frühkapitalistischen Giftzwergs, der an sich selbst scheitert. Das Gegenbild war die versöhnende Sozialistin Ségolène Royale – und vielleicht auch die Kanzlerin in Deutschland, bei der es mit dem sozialen Ausgleich und dem Wirtschaftserfolg so viel besser zu klappen scheint.
Catherine Deneuve wäre dann sozusagen die französische Perfektionierung des beliebten Prinzips Angela Merkel: Eine Super-Mutti mit Sex-Appeal.
Den Zeitgeist des Landes hat „La Potiche“ übrigens gut getroffen, der Film war seinerzeit in Frankreich sehr erfolgreich.
Genervte Steuerzahler
Hier jetzt noch die aktuellen Daten: Nach einer Umfrage, die zuletzt in „Le Monde“ erschien, empfinden heute 70 Prozent der Franzosen ihre Steuerlast als „exzessiv“, in den vergangenen zwei Jahren wurden in Frankreich 84 neue Steuern eingeführt.
Das Geld reicht für den Staat aber trotzdem nicht. Die Wirtschaft lahmt und Frankreichs Staatsausgabenquote wird 2014 wohl auf 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Das ist dann der höchste Wert in der westlichen Welt, mehr noch als in Schweden oder Dänemark.
Könnte es sein, dass solche Zustände mit einem Politikverständnis zusammenhängen, das die Aufgabe der Regierenden tatsächlich darin sieht, infantilisierte Bürger zu beschirmen, zu bemuttern und zu verwöhnen?
Hübsch ist in „La Potiche“ übrigens auch, dass die bürgerliche Unternehmerin Deneuve eine Affäre mit dem örtlichen Kommunistenführer hat, der von Gérard Depardieu gespielt wird. Depardieu hat sich wegen der aggressiven Steuerpolitik der französischen Regierung mittlerweile einen russischen Pass besorgt.
Korrektur: In einer früheren Textfassung war nur von 54 statt 84 Steuern die Rede. Pardon! 54 Prozent der Franzosen glauben, dass die soziale Ungleichheit durch die Steuerpolitik vergrößert wird
Zu den Kolumnen von Christian Schütte: Die Kunst des Reichwerdens, Deutschland, einig Merkelland, In der Wind-Schere und Zwei Farben rot
E-Mail: schuette.christian@capital.de
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