Guntram Wolff arbeitet für die Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Davor war der Ökonom für die Europäische Kommission und die Bundesbank tätig.
Die Eurozone steckt weiterhin in einer Krise. Zwar haben die Spannungen an den Finanzmärkten etwas nachgelassen, jedoch gibt es eine sehr hohe Arbeitslosigkeit und unser Wachstum fällt weit hinter dem der Vereinigten Staaten von Amerika und natürlich noch weiter hinter dem Chinas zurück. Die Bürger Europas sind zu Recht unzufrieden mit der Situation und wollen eine konkrete Verbesserung ihrer Lebensbedingungen sehen.
Umfragen zeigen, dass das Vertrauen in nationale und Europäische Institutionen massiv gefallen ist. Gleichzeitig hat auch das Vertrauen auf politischer Ebene zwischen den Länder durch die Krise Schaden genommen. Die wichtigste Aufgabe für die EU nach der Wahl wird es deshalb sein, den Schaden zu reparieren und Vertrauen zu schaffen.
Ich sehe drei Prioritäten, die jetzt verfolgt werden müssen.
Die oberste Priorität muss sein, wieder vernünftiges Wachstum in Europa zu erreichen. Nur mit höheren Wachstumszahlen als den derzeitigen wird es wieder einen signifikanten Anstieg der Beschäftigung geben. Hierzu benötigt Europa Reformen, die letztlich die Produktivität erhöhen. Effizientere öffentliche Verwaltungen, bessere Ausbildungssysteme, weniger Wettbewerbsverzerrungen durch Protektionismus oder Staatsbeihilfen und entscheidende Strukturreformen im Bankensystem sind hierfür unersetzlich.
Auch fiskalpolitisch können Akzente gesetzt werden, so könnte die Nachfrage mit defizitfinanzierten öffentlichen Infrastrukturausgaben gestärkt werden. Eine europäische Energieunion, wie sie kürzlich von dem polnischen Premierminister Donald Tusk vorgeschlagen wurde, würde erheblichen Investitionsbedarf bedeuten und könnte somit die Nachfrage ankurbeln.
EZB muss aggressiver vorgehen
Eine zweite Priorität liegt in der angemessenen Steuerung der Inflationsraten. Es ist bedauerlich, dass die EZB den Rückgang der Inflationsraten im Euroraum zugelassen hat. Die niedrigen Inflationsraten erschweren es immer mehr, öffentliche und private Schulden langfristig tragfähig zu halten. Außerdem zwingen sie einige Länder in die Deflation, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen.
Die EZB sollte eine wesentlich agressivere Geldpolitik anstreben, um diesen Risiken zu begegnen. Das Risiko, dass sich aus einer aggressiveren Gelpolitik zu hohe Inflationsraten ergeben, ist sehr gering, da die EZB einem Anstieg der Inflationsraten leicht mir konventioneller Geldpolitik begegnen kann.
Die dritte Priorität ist es, eine Verbesserung des Primär- und Sekundärrechtes einzuleiten. Im Bereich des Sekundärrechtes ist es an der Zeit, den acquis communautaires zu durchforsten und das Subsidiaritätsprinzip ernst zu nehmen. Es gibt zu viele europäische Empfehlungen und Beschlüsse in Bereichen, die eigentlich am besten auf nationaler Ebene geregelt werden können.
Ohne Vertrauen, kein Erfolg
Allerdings wird die Währungsunion nicht darum umhinkommen, im Bereich der öffentlichen Finanzen weitere Ressourcen durch eine Primärrechtsreform zu zentralisieren. Ein neues EU Budget würde die derzeitigen Ausgaben im Agrar- und Strukturfondbereich zurückführen und gleichzeitig Spielraum schaffen, Geld gezielt in Ländern mit massiven Schwierigkeiten nutzen zu können. Hierfür wird man letztlich eine Vertragsänderung nicht vermeiden können – auch um die demokratische Legitimität dieser Mittel zu etablieren.
Europas Krise erfordert weiterhin entschlossenes Handeln. Zunächst müssen wir wieder Vertrauen herstellen. Denn ohne Vertrauen kann es letztlich keinen Erfolg geben und die EU würde überflüssig werden.
Der Beitrag von Guntram Wolff gehört zu unserer losen Reihe von Kommentaren zur Zukunft der EU anlässlich der Europawahl am 25. Mai. Bisher erschienen sind Daniel Gros Europa in der Reha, Charles Wyplosz Fehlschlüsse aus der Eurokrise, Roger Bootle Die Plage mit Europa und Daniel Stelter Trügerische Ruhe vor der Europawahl