Lange galt Paris als Trendsetter in der Mikromobilität. Erst eroberten Leihfahrräder die Straßen der Metropole. Dann folgten E-Scooter als Wegbereiter der E-Mobilität in den Städten. Auf dem Höhepunkt stellten zwölf Verleihfirmen rund 35.000 E-Roller zur Verfügung. Es war ein gigantisches Versuchslabor, das jedoch vielen Städtern missfiel – allen voran der Bürgermeisterin Anne Hidalgo.
Sie ließ die Abstimmung zu, die zwar in Sachen Repräsentativität keine Maßstäbe setzt, aber dafür im Ergebnis: Nur 100.000 Pariser und Pariserinnen gaben vergangenes Wochenende ihre Stimme ab, ob die Leihroller mehr Fluch oder mehr Segen für sie bedeuten. Das waren ganze 7,5 Prozent der Wahlberechtigten der Metropole. Dafür fiel das Stimmergebnis mit 89 Prozent gegen die E-Scooter sehr eindeutig aus.
Für Unmut hat in Paris der unvorsichtige und häufig rücksichtslose Umgang vieler Mieter mit den fahrbaren Untersätzen gesorgt. Die Folge: Unfälle, Verletzte, Chaos auf den Bürgersteigen. Laut der Zeitung „Le Monde“ gab es im vergangenen Jahr 408 Unfälle mit E-Scootern in Paris mit drei Toten und 459 Verletzten.
Ob als Stolperfalle oder fahrende Gefahr: Auch in deutschen Kommunen kam es im vergangenen Jahr laut Bundesamt für Statistik von Januar bis November zu fast 7800 Unfällen mit E-Scootern, bei denen Menschen verletzt wurden. Neun davon starben dabei.
Darüber, ob in Paris ab September die heute auf 15.000 begrenzten Leihexemplare verbannt werden, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die drei zugelassenen Firmen wollen mit der Stadt verhandeln. Immerhin nutzen in Paris monatlich rund 400.000 Menschen die „Trottinettes“, wie sie in der Landessprache heißen. Die waren aber offenkundig nicht zur Urne gegangen. Die Bürgermeisterin nannte die Befragung einen „Sieg der Demokratie“ und sieht das Ergebnis als bindend.
Die Vermieter blicken nun mit Sorge auf andere Städte, ob auch dort Verbote drohen könnten. Wie ist die Lage in anderen Metropolen? Capital gibt einen Überblick.
Gekommen, um zu bleiben

Im Regierungsviertel der Hauptstadt sind die Roller zu einem permanenten Ärgernis geworden. Neue gelb markierte Abstellflächen werden meistens ignoriert. Wie in anderen Städten behilft man sich mit Abstellverbotszonen und Knöllchen für achtlos hinterlassene Fahrzeuge. Die Regeln variieren von Stadt zu Stadt. Der Deutsche Städtetag fordert „klare Spielregeln" von Bund und Ländern. Denn hierzulande müssen es letztere den Städten ermöglichen, für E-Scooter im öffentlichen Raum eine Sondernutzungsgenehmigung zu verlangen. Der Bund müsse die Straßenverkehrsordnung und die Verordnung für Elektrokleinstfahrzeuge anpassen. Nach einem Verbot sieht es derzeit nirgends aus, weil die E-Roller als Element der klimafreundlichen urbanen Mobilität willkommen sind.

Anders als in Paris sind jenseits des Ärmelkanals private Elektro-Scooter in der Hauptstadt ausnahmslos verboten. Mit zehn Londoner Bezirken und 4400 Fahrzeugen läuft ein Testbetrieb, der voraussichtlich verlängert wird, obwohl der Polizeichef die Geräte schon einmal als „Todesfallen“ bezeichnet hat. Zugelassene Leihroller dürfen ein Tempo von 20 Kilometer in der Stunde nicht überschreiten. Vor allem müssen Nutzer aber im Besitz eines Führerscheins sein. Dennoch haben Unfälle mit E-Scootern in Großbritannien bis Juni 2022 um 38 Prozent zugenommen, so Zahlen des Verkehrsministeriums. Zwölf Todesfälle bedeuten dreimal so viele wie im Vorjahr.

New York hat sich von der Revolution der Leihfahrzeuge erst spät anstecken lassen. In der Bronx starteten die ersten E-Scooter im Sommer 2021. Das Mindestalter für Fahrer liegt bei 16 Jahren – auch für private E-Roller. Die Roller dürfen nicht schneller als 24 km/h sein. Fußgänger haben Vorrang, und Bürgersteige sind tabu. Die Inflation hat die Spritpreise nicht verschont, was den Verleihfirmen regeren Zulauf beschert. Ein Verbot ist nicht in Sicht, obwohl auch in New York über Unfälle geklagt und zuletzt wegen Brandgefahr bei den Akkus (auch in E-Bikes) Alarm geschlagen wurde. 2017 bis 2021 entfielen laut der Consumer Product Safety Commission 68 von 129 Todesfällen mit Kleinstfahrzeugen auf E-Scooter. Die Notaufnahme musste in der Zeit 117.600-mal aufgesucht werden, zu 44 Prozent von Leihkunden.

Knapp drei Jahre ist es her, dass die Bürgermeisterin von Rom, Virginia Raggi, vor der Spanischen Treppe den neuen Mietservice für Elektroroller eröffnet hat. Seitdem boomt das Geschäft. Nach wiederholten Unfällen – und spätestens nachdem zwei amerikanische Touristen auf E-Scootern die berühmte Spanische Treppe hinunterfuhren, will die Stadt die Regeln verschärfen: Das Mindestalter soll auf 18 Jahre steigen, das Tempo der Gefährte von 25 auf 20 km/h gedrosselt und die Zahl der Betreiber von sieben auf drei reduziert werden. Auch das Parken soll nur in ausgewiesenen Zonen erlaubt sein. Im Januar sollten die Maßnahmen in Kraft treten – sie lassen auf sich warten.

Die Metropole in Kanada hat sich dafür entschieden, Straßen und Radwege im öffentlichen Raum vor den Elektrorollern zu schützen. Das Verbot gilt seit 2020 und für private wie für Miet-Scooter. Als einer der Gründe wurde von der Stadtverwaltung genannt, dass vier von fünf Rollern willkürlich auf Gehwegen hinterlassen wurden, statt in ausgewiesenen Zonen geparkt zu werden. Die Forderung, dass die Kunden stärker kontrolliert oder die Roller mit Kennzeichen ausgestattet werden müssten, gibt es auch in anderen Metropolen. Mit technischen Mitteln ließe sich sogar verhindern, dass eine Miete dort beendet werden kann, wo das Abstellen verboten ist.

In der dänischen Hauptstadt gilt statt einem Verbot seit Januar 2022 die Helmpflicht beim Fahren mit dem E-Roller. Verstöße werden mit saftigen Bußgeldern geahndet. Wegen der Coronakrise und Ungewissheiten zum Ansteckungsrisiko über die Helme von einem Fahrer zum anderen war der Schritt verschoben worden. Verkehrsminister Benny Engelbrecht hatte der Branche zuvor vorgeworfen, verantwortungslos zu handeln – also ihre Fahrer nicht ausreichend in die Pflicht zu nehmen. Es sei deshalb unumgänglich geworden, die Nutzer mithilfe gesetzlicher Vorschriften zu schützen. Zugelassen sind die „el-løbehjul“ im Land seit Mitte 2018. Dänische Studien zeigen, dass der Umgang mit den Rollern gefährlicher ist als Radfahren: Im Vergleich dazu bestehe ein sieben- bis zehnfach höheres Schadensrisiko.

Im Jahr 2018 war diese Fahrt noch möglich. Schon 2019 zog der südostasiatische Stadtstaat aber den Stecker. Überwältigt von einer Elektroroller-Flut verbot Singapur sie auf den Bürgersteigen. Das kam einem faktischen Aus für die Vermieter gleich, da die Metropole praktisch über keine Radwege verfügt. Deshalb konnte auch die Verletzungsgefahr für Fußgänger durch diese geräuscharmen aber schnellen Fahrzeuge nicht mehr toleriert werden. Besonders betroffen waren Essenslieferanten. Ihnen wurde mit Entschädigungen der Umstieg auf Fahrräder erleichtert.

Die gelb und orange Scooter prägen das Stadtbild in Moskau und anderen russischen Städten – außer in den Wintermonaten. Ein Anbieter legte Ende vergangenen Jahres einen der seltenen Börsengänge auf dem Moskauer Parkett hin, um zu expandieren. Zu dem Zeitpunkt hatte das Unternehmen nach eigenen Angaben eine Flotte von 82.000 E-Rollern in 40 Städten im Angebot mit 11,2 Millionen registrierte Kunden in Ländern der ehemaligen Sowjetunion.