Nach einem Vierteljahrhundert voller Verhandlungen und Proteste ist nun ein Ende in Sicht: Bald stimmt die Europäische Union (EU) final über die geplante Freihandelszone mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur ab. Dazu hat die EU-Kommission die Vertragstexte an die Regierungen der EU-Staaten und das Europäische Parlament weitergeleitet. Stimmen diese zu, entsteht zwischen der EU und Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay eine Freihandelszone mit 700 Millionen Einwohnern. Die EU-Kommission hofft, dass es bis Jahresende so weit sein könnte.
Die protektionistische Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump hatte das Verfahren beschleunigt. Zölle und Handelsbarrieren zwischen der EU und den Mercosur-Staaten sollen künftig weitestgehend wegfallen, sofern die Regelung beschlossen wird. Die EU-Kommission schätzt, dass das Abkommen die jährlichen EU-Exporte nach Südamerika um bis zu 39 Prozent und einem Volumen von 49 Mrd. Euro steigern kann – und damit mehr als 440.000 Arbeitsplätze in ganz Europa stützt.
Auto, Maschinenbau und Pharma profitieren
Besonders große Chancen werden für die Autoindustrie, den Maschinenbau und die Pharmabranche gesehen. Auf Autoimporte in die Mercosur-Länder wird beispielsweise derzeit ein Zoll in Höhe von 35 Prozent fällig.
Experten rechnen damit, dass das Abkommen der europäischen Wirtschaft hilft, weil es neue Handels-Alternativen bietet. „Ich glaube, das ist eine Lösung“, sagte kürzlich Preisexperte Oliver Roll im Gespräch mit Capital. „Wir müssen das ausgleichen, was uns mit den USA fehlt“, so der Professor für internationales Marketing und Preismanagement von der Hochschule Osnabrück.
Noch ist aber nicht sicher, dass das Abkommen die Abstimmungen überstehen wird. Aussagen der handelspolitischen Sprecherin der Grünen im Europaparlament, Anna Cavazzini, klingen nicht nach einer Zustimmung ihrer Fraktion. Die Verankerung des Pariser Klimaabkommens sei zwar eine Verbesserung. Doch in Wahrheit sei das Abkommen weder fair noch nachhaltig. Die Verbesserungen „wirken nur wie ein Anstrich auf einem morschen Haus“.
Weil die EU mehr Agrarprodukte aus den Mercosur-Ländern importieren wird, werde das Abkommen zu mehr Entwaldung führen und „damit zur Zerstörung der grünen Lunge unseres Planeten beitragen“, sagt Cavazzini.
Kritik an Mercosur: „Paradies für nicht-nachhaltige Produkte“
Weitere Probleme aus ihrer Sicht: In der EU verbotene Pestizide und Verbrennerautos, die hierzulande auslaufen, fallen unter das Abkommen. Außerdem enthalte es veraltete Klauseln zu Investitionsschutz, was fossilen Investoren unverhältnismäßig viel Macht gebe, vor Schiedsgerichten gegen Umwelt- und Kimamaßnahmen vorzugehen. „Dieses Abkommen ist ein Paradies für nicht-nachhaltige Produkte“, so Cavazzini.
Auch in Frankreich kritisieren Politiker und Landwirte das Abkommen scharf. Sie befürchten, dass europäische Landwirte in einen gnadenlosen Preiskampf gezwungen werden könnten. Die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung sehen das als Panikmache. Wegen Mengenbegrenzungen im Abkommen soll nur ein Teil der Agrareinfuhren aus den Mercosur-Staaten profitieren. Bei Rindfleisch liege das Limit beispielsweise bei 1,5 Prozent der EU-Produktion, bei Geflügel bei 1,3 Prozent.
Zudem schlägt die EU-Kommission den Mitgliedstaaten den Aufbau eines Sicherheitsnetzes gegen unerwartete Marktstörungen vor. Es soll unter anderem aus einem 6,3 Mrd. Euro schweren Topf für Krisenmaßnahmen bestehen.
„Das Abkommen sei so nötig wie nie zuvor“, sagt hingegen der niedersächsische SPD-Europaabgeordnete und Vorsitzende des EP-Handelsausschusses Bernd Lange. „Mit diesen Handelsabkommen setzen wir im aufgewühlten internationalen Handelssystem ein Zeichen gegen Protektionismus und Willkür – und für Kooperation und Verlässlichkeit.“
Nationale Parlamente können Abkommen nicht verhindern
Das Abkommen wurde so angelegt, dass der Handelsteil mit den neuen Zollregelungen per einfacher Mehrheitsentscheidung beschlossen und auch nicht von nationalen Parlamenten verhindert werden kann. So will die Kommission umgehen, dass die geplante Freihandelszone am Widerstand einzelner Mitgliedstaaten scheitert.
Ein Vetorecht hätten einzelne Mitgliedstaaten dann nur noch bei den geplanten Vereinbarungen zum politischen Dialog und zur Kooperation. Das gleiche Vorgehen ist auch für eine vorgesehene Ergänzung des bereits bestehenden Handelsabkommens mit Mexiko geplant. Für sie wurde nun ebenfalls das Abstimmungsverfahren gestartet.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von wichtigen Meilensteinen für die wirtschaftliche Zukunft der EU. „Wir diversifizieren unseren Handel weiter, fördern neue Partnerschaften und schaffen neue Geschäftsmöglichkeiten“, sagte sie.
Auf Mercosur könnten noch weitere Freihandelsabkommen folgen. Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) lotet etwa Möglichkeiten für Abkommen mit Indien und Indonesien aus. Der Weg zu diesen Abkommen werde aber nicht problemlos, warnt Preisexperte Roll. „Der Weg in die USA war immer leichter aufgrund der kulturellen Nähe“, sagt er. „Mit weiter entfernten Ländern wie zum Beispiel Indonesien gibt es für deutsche Unternehmen eher Sprachprobleme oder kulturelle Unterschiede.“ Für die deutsche Wirtschaft sieht der Preisexperte hier einen Nachholbedarf.