Tyler Cowen gilt als einer der einflussreichsten Ökonomen der USA. Unter marginalrevolution.com bloggt er über Märkte und Finanzen – oder auch vegane Stripclubs.
Wenn mich jemand fragen würde, wo in der Welt ich in meinem Leben am besten gegessen habe, fiele meine Wahl auf ein Restaurant in Tokio. Es war wohlgemerkt kein Sushi-Restaurant. Sondern die japanische Dependance des französischen Starkochs Pierre Gagnaire. Es war das beste französische Essen meines Lebens. Ich habe schon Monate in Paris verbracht, aber niemand dort konnte das französische Essen in Tokio toppen.
Das ist kein Zufall. 2013 hat die Gastronomie in Tokio insgesamt 323 Michelin-Sterne bekommen – allein 14 Drei-Sterne-Restaurants gibt es dort. Das übertrifft nicht nur jede andere Stadt der Welt, sondern auch Paris. Und so übertrifft das französische Essen in Japan auch das in Paris: Es ist innovativer, manchmal sogar preiswerter. Und es ist einfacher, einen Tisch zu bekommen.
Die kulinarische Exzellenz Tokios mag auf den ersten Blick verwundern. Doch wie so oft lässt sie sich mit ökonomischen Faktoren erklären.
Beeindruckende Arbeitsethik
Japan hat eine lange Tradition von hoch spezialisiertem Handwerk. Es gibt keine andere Unternehmenskultur, die der Idee einer „Null-Prozent-Fehlerquote“ näher kommt als die japanische. Diese Obsession mit Qualität und Perfektion spiegelt sich auch beim Kochen und in der Gastronomie wider. Toyota und feine Sushi-Kunst haben mehr gemeinsam, als man vielleicht auf den ersten Blick denken würde. In beiden Fällen sind die Japaner Meister der kleinteiligen Optimierung.
Japanische Küchenchefs durchlaufen ein strenges Ausbildungssystem, bei dem sie mehrere Jahre stark spezialisiert und trainiert werden. Ich habe mit Tokioter Küchenchefs in Restaurants für mexikanische oder singapurische Küche gesprochen und ihr Schaffen vor Ort studiert. Ihre Arbeitsethik ist beeindruckend.
Die hohe Kaufkraft in Japan sorgt wiederum dafür, dass diese Qualität honoriert wird. Was die Konsumkraft angeht, so ist Tokio wohl die kommerziellste Stadt der Welt. Im Ballungsraum wohnen mehr als 13 Millionen Einwohner, die meisten davon verdienen mindestens ein Mittelklasseeinkommen, wenn nicht mehr.
Exzellentes Essen zu erschwinglichen Preisen
Der größte Treiber für die gastronomische Ausnahmestellung Tokios aber ist die lokale Businesskultur. Dort gilt: Geschäfte werden beim gemeinsamen Dinner gemacht. Viele der feinen Tokioter Restaurants leben von den Geschäftsessen, speziell was die teuersten Gerichte betrifft, bei denen ein einziges schon einmal 1000 oder 2000 Dollar kosten kann.
Man bekommt in Tokio Melonen für 200 Dollar in Feinkosttempeln. Man kann aber ebenso gut exzellentes Essen zu akzeptablen Preisen finden. Japan ist ein Land der Mittelschicht. Die Wohnungen sind klein. Daher gibt es eine große Nachfrage nach schnellem, erschwinglichem Essen auswärts. Und auch das ist von erstaunlicher Qualität.
Tatsächlich wirken in keiner Stadt die Kräfte von Angebot und Nachfrage intensiver, und darum werden auch in keiner die kulinarischen Ansprüche so gut befriedigt. An dieses perfekte Umfeld für exzellente Gastronomie kommen auch die europäischen Hauptstädte nicht mehr heran. Zeit einzusehen, dass Tokio die neue Welthauptstadt des Essens ist.
Der Text stammt aus der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.
Mehr Marktsättigungen: Mehr Gemüse, Lob der vietnamesischen Küche, Gastwirtschaftsmacht China und Wie ein Ökonom ein gutes Restaurant findet
Illustration: Jindrich Novotny