Für manche Beobachter war der Schuldige schnell gefunden: „Vom Staat im Stich gelassen“ schrieb das Rechtsaußenportal „Nius“ am Montag über die Insolvenzanmeldung des Flugtaxipioniers Volocopter. Hätten Bund und Länder, so wurde suggeriert, im Frühjahr wie erhofft mit je 50 Mio. Euro ausgeholfen, wäre die Pleite vermeidbar gewesen.
Doch diese Interpretation greift zu kurz. Ja, nach Lilium, das erst kurz vor Weihnachten noch haarscharf aus der Insolvenz gerettet wurde, steht mit Volocopter nun ein weiterer Hoffnungsträger der Flugtaxibranche vor dem Aus. Beide hatten intensiv um Hilfe vonseiten der Regierung geworben. Dass diese nicht kam, ist jedoch nicht ursächlich für die Probleme; 50 oder 100 Millionen vom Staat hätten die Malaise nur weiter hinausgezögert.
Dass die Branche in derart großen Schwierigkeiten steckt, liegt vor allen Dingen an den überzogenen Erwartungen, die die Start-ups weckten – und die sie dann nicht einlösen konnten; und es liegt überdies an der Großwetterlage für Tech-Investitionen, die sich in den vergangenen zwei, drei Jahren massiv verschlechtert hat.
Das Ende der Niedrigzinsen
In Zeiten der Niedrigzinsen war Risikokapital fast unbegrenzt verfügbar; in allen denkbaren Tech-Sektoren wurden Unternehmen mit riesigen Summen bedacht und aberwitzig hoch bewertet. Die Flugtaxibranche war hierbei keine Ausnahme. Das Problem kam mit der Zinswende: Investoren hatten plötzlich weniger Kapital zur Verfügung, sie mussten nun genauer hinsehen, welche Unternehmen tatsächlich erfolg- und ertragversprechend waren. Für eine komplexe Technologie wie die der elektrisch betriebenen Senkrechtstarter (im Englischen abgekürzt: EVTOL) war diese Perspektive kurz- und mittelfristig einfach nicht gegeben, egal wie hoffnungsvoll Lilium, Volocopter und andere verkündeten, kurz vor dem Durchbruch zu stehen.
Bei Volocopter sollte dieser Durchbruch die Zulassung durch die europäische Flugsicherheitsagentur Easa sein – mit der Lizenz wollte der badische Drohnenhersteller dann groß bei den Olympischen Spielen in Paris auftrumpfen. Der Plan ging nicht auf. Noch immer steht die Zulassung aus.
Immer wieder hieß es aus Bruchsal, es brauche nur noch eine nächste Finanzspritze, dann habe man die Easa-Zulassung – und damit seien Markteintritt und in der Folge globale Milliardengeschäfte gesichert. Selbst in der aktuellen Mitteilung zur Insolvenzanmeldung wird der vorläufige Insolvenzverwalter Tobias Wahl mit den Worten zitiert, es brauche nur noch „eine Finanzierung, die es ermöglicht, die letzten Schritte zum Markteintritt zu gehen“.
Unbändiger Finanzbedarf
Man hat das schon häufiger gehört. Nachdem der Noch-CEO von Volocopter, Dirk Hoke, zunächst im Frühjahr erklärt hatte, ohne Staatshilfen drohe die Pleite, hieß es im Sommer dann, Bestandsinvestoren hätten fürs Erste das weitere Bestehen des Unternehmens gesichert – und zwar so weit, dass der Zertifizierungsprozess damit beendet werden könne. Das ist offenbar nicht gelungen, was zwei Interpretationen zulässt: Entweder floss anders als kommuniziert doch nicht genug Geld – oder die Zulassung der neuartigen Technologie ist eben doch komplizierter als gedacht. Klar ist, dass Volocopter einen unbändigen Finanzbedarf hat, fast 150 Mio. Euro betrug der Jahresfehlbetrag 2023.
Die Zahlen dürften auch potenzielle Investoren ausgiebig studiert haben – genauso wie die technologischen Grundlagen und Aussichten, in naher Zukunft den Durchbruch zu schaffen. Ganz offensichtlich kamen sie zu dem Schluss, dass es sich nicht lohnt, in diese Unternehmung zu diesem Zeitpunkt zu investieren. Es ist dieses Urteil, das Volocopter in die Insolvenz zwingt – nicht das Zögern von Politikern in Berlin, Stuttgart oder München.
Mit dem Insolvenzverfahren bekommt das Start-up nun noch einmal eine letzte Rettungsleine zugeworfen, es gewinnt Zeit. Über das Insolvenzgeld werden die Gehälter für die nächsten drei Monate übernommen. Es dürfte sich um eine relevante Summe handeln – der Personalaufwand lag für das Gesamtjahr 2023 bei knapp 58 Mio. Euro. Auch kann sich das Unternehmen einfacher entschulden, wobei das bei einem über Eigenkapital finanziertem Wachstumsunternehmen wie Volocopter in der Regel nicht so stark ins Gewicht fällt. Tatsächlichen lagen die Verbindlichkeiten der Volocopter GmbH Ende 2023 bei nur knapp 21 Mio. Euro.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein derart gesundgeschrumpftes Volocopter doch noch von dem chinesischen Autobauer und bisherigen Minderheitsaktionär Geely übernommen wird. Ihm wurde bislang das größte Interesse an Volocopter nachgesagt. Doch Geely wird dann sicherlich zu einer massiv reduzierten Bewertung zugreifen. Die Highflyer-Zeiten für Flugtaxis sind endgültig vorbei.