Gisbert Rühl ist CEO des größten produzentenunabhängigen Stahlhandelskonzerns Klöckner & Co. Er treibt die Digitalisierung des Traditionsunternehmens aus Duisburg voran.
Wie empfinden Sie als einer der weltweit größten Stahlhändler die Gefahr durch die drohenden Strafzölle?
Wir sind davon kaum betroffen, da wir nur sehr wenig Stahl in die USA exportieren. Klöckner & Co erzielt zwar rund 40 Prozent des Konzernumsatzes in den USA, aber wir beziehen dort unsere Waren fast ausschließlich von lokalen Stahlproduzenten. Kurzfristig profitieren wir sogar von den steigenden Stahlpreisen. Schwierig wird es, wenn man auf die mittelfristigen oder langfristigen Folgen schaut. Diese sind zum jetzigen Zeitpunkt kaum absehbar.
Was halten Sie von den Strafzöllen?
Die globale Stahlindustrie leidet unter erheblichen Überkapazitäten. Insofern kann man diese Industrie nicht einfach dem freien Handeln überlassen. Hier muss zum Teil regulierend eingegriffen werden, zumindest solange, wie die Überkapazitäten vor allem in China nicht abgebaut sind. Bei diesen Eingriffen gilt es aber, das richtige Maß zu finden. Werden die Handelsbarrieren zu hoch und der Stahl zu teuer, führt das bei stahlintensiven Wirtschaftszweigen zu Belastungen, die nicht zu unterschätzen sind. Deswegen ist dieses Thema nicht einfach zu lösen – es gibt viele Interdependenzen.
Welche Reaktion würden Sie sich in dieser Situation von der Bundesregierung beziehungsweise der Europäischen Union wünschen?
Die EU sollte analog gegenüber bestimmten Ländern höhere Zölle verhängen, insbesondere gegenüber China. Wir tun uns damit allerdings sehr schwer, da China in vielen Branchen ein wichtiger Handelspartner ist. Aus deutscher Sicht insbesondere in der Automobilindustrie. Deshalb erwarte ich eher verhaltene Reaktionen, die aber vermutlich nicht ausreichen wird, um die europäische Stahlindustrie wirkungsvoll zu schützen.
Kommen wir zu einem anderen Thema: Der digitale Wandel ihres Unternehmens wird gern nach außen getragen. Ist diese Entwicklung reiner Selbstzweck oder kann man schon erste Erfolge erkennen?
Es ist kein Selbstzweck. Wir haben bereits vor vier Jahren mit der digitalen Transformation von Klöckner & Co begonnen und sind seitdem auch schon ein ganzes Stück vorangekommen. Fast ein Fünftel unseres Umsatzes erzielen wir mittlerweile über digitale Kanäle. Das ist auch im Vergleich zu anderen Unternehmen ein ziemlich hoher Anteil. Selbst in B2C-Branchen ist ein solcher Wert eher die Ausnahme. Dazu kommt der kulturelle Wandel, der bei uns auch schon recht weit vorangeschritten ist. Wir veranstalten zum Beispiel Failure Nights und haben eine hierarchiefreie Kommunikation über unser internes soziales Netzwerk Yammer eingeführt.
Muss denn der technischologische Wandel zwangsläufig mit dem kulturellen Wandel einhergehen?
Wir haben vor vier Jahren „kloeckner.i“ gegründet, ein Start-up, das die Digitalisierung weiter vorantreiben soll. Es verging etwas Zeit bis wir erkannt haben, dass das Ganze nur funktioniert, wenn die klassische Unternehmensseite die Einführung der von„kloeckner.i“ entwickelten Tools aktiv unterstützt. Diese neue Dynamik bei der Entwicklung von digitalen Lösungen muss sich auch in einem digitalen Mindset der Kernorganisation widerspiegeln.
Wie sieht dieses Zusammenspiel vom digitalen Wandel und einer veränderten Unternehmenskultur aus?
Ich nenne hier mal ein Beispiel: Wir können den besten Onlineshop der Welt entwickeln. Wenn aber unsere Verkäufer nicht die Einkäufer der Kunden davon überzeugen, ihre Geschäfte zukünftig digital abzuwickeln, scheitern wir mit unseren digitalen Lösungen. Man muss also sehr tief in die Organisation gehen und auf allen Ebenen Überzeugungsarbeit leisten. Und man darf die Einheit, die die Digitalisierung vorantreiben soll, nicht vom Rest der Organisation trennen. Bindet man sie allerdings zu stark an das Unternehmen, verliert sie ihre Agilität. Sie sehen, man muss auch hier einen ausgewogenen Weg gehen. Der digitale Wandel lässt sich nicht einfach aufzwingen, erst recht nicht in einem großen Unternehmen.
Warum wird dieser Transformationsprozess so zur Schau gestellt?
Zum einen wird Klöckner dadurch für innovativen Nachwuchs attraktiver. Die Stahlbranche gilt ja nicht unbedingt als Industrie mit einem hohen Sex-Appeal. Zum anderen haben wir eine digitale Plattform für den internationalen Stahlhandel aufgebaut, die sich letztendlich unabhängig von Klöckner am Markt etablieren muss. Dieses Produkt muss natürlich auch beworben werden. Denn je mehr Teilnehmer sich über die Plattform vernetzen, desto attraktiver wird sie.
Ist es denn der richtige Weg sich einfach bei Start-up-Methoden zu bedienen, obwohl man selber ein großes Unternehmen ist?
Ich denke ja. Wir haben in der Vergangenheit unsere Projekte üblicherweise mit der sogenannten Wasserfallmethode abgewickelt. Wenn wir beispielsweise einen neuen Onlineshop entwickelt haben, haben wir zuerst intensiv analysiert, um alle Anforderungen so weit wie möglich abzudecken. Danach erfolgte dann die Konzeption und Implementierung. Dieser Prozess zieht sich wie Kaugummi, und die Kosten steigen ins Unermessliche. Zudem plant man zum Teil am Kunden vorbei. Der erste wichtige Lerneffekt aus der Start-up Szene war der „Lean-Start-up-Approach“. Man geht zum Kunden, um herauszufinden, wo seine Probleme liegen, etwa bei der Bestellung von Stahl. Dann baut man relativ schnell einen Prototyp, der erst einmal nur über die nötigsten Funktionen verfügt. Im Laufe der Zeit entwickeln wir die Lösung immer weiter und passen sie an die Bedürfnisse des Kunden an. Das halte ich für die viel intelligentere Herangehensweise. Diese agilen Prozesse haben mich vollkommen überzeugt und dazu bewogen, unseren digitalen Umbau mit Start-up-Methoden anzugehen.
„Digitalisierung wird dafür sorgen, dass viele repetitive Aufgaben wegfallen. “ Das Zitat stammt von Ihnen. Sie sagen, dass diejenigen, die eben jene repetitiven Aufgaben noch ausführen von Ihnen unterstützt werden. Wie soll das aussehen?
Wir brauchen Mitarbeiter, die einer zunehmend digitalen Welt gegenüber aufgeschlossen sind. Das darf aber nicht das alleinige Kriterium bei der Mitarbeiterwahl sein. Es bedarf nach wie vor auch Menschen, die über Branchen-Know-how verfügen. Bei digitalen Projekten wie unserer offenen Industrieplattform, müssen wir diejenigen in die Planung einbeziehen, die unsere Branche und Handelspartner kennen. Um diesen Mitarbeitern das erforderliche digitale Wissen zu vermitteln, haben wir unsere Digital Academy gegründet. Dort können sie sich während der Arbeitszeit zeitlich unbegrenzt fortbilden. Das ist unser Angebot: Wir lassen alle Mitarbeiter an unserer digitalen Transformation teilhaben.
Was passiert in dieser Academy konkret?
Wir haben mit einfachen Kursen angefangen. Was ist Digitalisierung? Wie funktioniert ein Webshop? Jetzt haben wir in Kooperation mit den Universitäten Duisburg-Essen und Düsseldorf Kurse entwickelt, die speziell auf unser Geschäftsmodell zugeschnitten sind.
Finden Sie, dass bei Klöckner etwas Beispielhaftes passiert?
Ich glaube zumindest, dass wir im Vergleich zu anderen Industrieunternehmen sehr früh gestartet sind. Gerade in unserer konservativen Industrie gehen wir schon einen besonderen Weg. Wir haben sehr konsequent auf das Thema Digitalisierung gesetzt und werden es auch weiter zielstrebig und kontinuierlich vorantreiben.