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Bernd Ziesemer ArcelorMittal-Ausstieg: Konzerne verheben sich mit grünem Stahl

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Der Stahlkonzern ArcelorMittal streicht die Dekarbonisierung in Deutschland. Eine Hiobsbotschaft für die ganze Branche, die an der Umstellung auf grünen Stahl arbeiten 

Das gab es in Deutschland wohl noch nie: Ein Unternehmen verzichtet freiwillig auf einen bereits bewilligten Staatszuschuss in Höhe von 1,3 Mrd. Euro. Doch Europas größte Stahlgruppe ArcelorMittal sieht keinen anderen Ausweg und beendet seine Projekte zur Dekarbonisierung der beiden Werke in Eisenhüttenstadt und Bremen. Der Konzern hält die Umstellung auf grünen Stahl für zu riskant – und sendet damit eine Warnung an die ganze Branche.

ArcelorMittal hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Schon vor Monaten warnte der Konzern vor vier unheilvollen Entwicklungen: Erstens seien die Preise für deutschen Strom generell zu hoch. Zweitens fehle es an genügend grünem Wasserstoff. Drittens sei auch die künftige Versorgung mit grüner Elektrizität nicht gesichert. Und viertens fehlten immer noch klare Regeln für den Schutz vor billigerer ausländischer Konkurrenz. Seitdem hat sich die Lage an all diesen vier Fronten nicht grundlegend verbessert.

Als Deutschland-Chef Thomas Bünger vor einem möglichen Scheitern seiner Projekte warnte, war die allgemeine Lage der Stahlindustrie zwar keineswegs glänzend, aber immerhin einigermaßen berechenbar. Das hat sich in den letzten Monaten vollkommen geändert. Donald Trumps drakonische Zölle auf Stahleinfuhren, die Umlenkung chinesischer Exporte in die ganze Welt und der weiter wachsende Druck auf wichtige Abnehmer wie die Autoindustrie bringen die Hersteller in eine gefährliche Schieflage. Ihnen fehlt damit das, was die Experten „Risikotragfähigkeit“ nennen. Sie können nicht noch weitere Unwägbarkeiten in Kauf nehmen, wenn sie nicht ihren Fortbestand gefährden wollen. Das gilt auch für die beiden Vorreiter der Dekarbonisierung in Deutschland, die Salzgitter AG und Thyssenkrupp. Beide halten zwar an ihren Projekten fest, aber müssen ebenfalls neu rechnen.

Wird grüner Stahl ein Nischenprodukt?

Auch politisch und gesellschaftlich fehlt es zunehmend an Rückenwind. Der Schutz des Klimas ist auf der internationalen Prioritätenliste ganz nach unten gerutscht – und damit auch die Bereitschaft, viel Geld für die Umstellung auf grünen Stahl zu investieren. Das gilt vor allem für die USA, wo das Thema in der Industrie keine Rolle mehr spielt. Aber auch in vielen europäischen Ländern. Schwellenländer können sich die Umstellung ohnehin nicht leisten und setzen weiter auf Stahl aus dem Hochofen.

Klar ist: Es gibt eine Nachfrage nach grünem Stahl. Einige Autohersteller haben zum Beispiel bereits Abnahmeverträge unterzeichnet – zum Beispiel mit dem schwedischen Vorreiter Stegra, der ein neues Stahlwerk auf der grünen Wiese errichtet. Auch Stahlhändler wie Klöckner & Co. sichern sich für die nächsten Jahre bestimmte Mengen. Ob der grüne Stahl aber auf mittlere Sicht über die Rolle eines Nischenprodukts hinauskommt oder nicht – das ist noch keineswegs ausgemacht. Im Moment erscheint es unwahrscheinlich. Wieder einmal zeigt sich: Wenn die Politik die Marschroute der Industrie bestimmt, wachsen die Risiken. Auch wenn noch so hohe Subventionen fließen.  

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.

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