Vor einem Monat hat Facebook erste Informationen über sein eigenes Kryptowährungsprojekt Libra Coin veröffentlicht. Facebook wird hierbei einem Konsortium angehören, welches Libra Association heißt und derzeit rund 30 Partner hat.Zahlreiche namhafte Unternehmen wie Paypal, Mastercard, Visa, Spotify und Uber gehören bereits zum Libra-Konsortium; 100 Partner sollen es einmal sein. Ziel ist es, eine Blockchain-ähnliche Infrastruktur bereitzustellen, die es ermöglicht, weltweit Zahlungen schnell, einfach und kostengünstig abzuwickeln.
Anders als beim Bitcoin, der große Preisschwankungen zeigt, soll Libra eine stabile Währung sein. Dies soll durch eine 100-Prozent-Deckung durch Finanzanlagen, den sogenannten Libra-Reserven, erreicht werden. Libra wird jedoch nicht an den US Dollar oder an eine andere traditionelle Währung gekoppelt sein, sondern an einen diffusen Korb aus Finanzanlagen (v.a. Währungen und Staatsanleihen).
Das Projekt hat das Potenzial, Transaktionskosten – vor allem für grenzüberschreitende Transaktionen für Millionen von Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern – deutlich zu senken. Diese Gebühren entsprechen in bestimmten Gegenden der Welt derzeit teilweise bis zu 10 Prozent des Transaktionsvolumens.
Dem Whitepaper zufolge sind derzeit 1,7 Milliarden Erwachsene weltweit ganz oder partiell vom Finanzsystem ausgeschlossen. Gemeint ist hiermit, dass diese Menschen oftmals keine Möglichkeit besitzen, effizient Überweisungen zu tätigen oder – etwa wegen der lokalen Inflation – Werte für die Zukunft sicher aufzubewahren.
1,7 Milliarden Erwachsene – das entspricht ca. 30 Prozent der Weltbevölkerung. Zwei Drittel davon besitzen jedoch Mobiltelefone mit Internetzugang. Diese würden wie Geldbörsen eingesetzt werden, um Libra aufzubewahren und Zahlungen durchzuführen.
Nicht ohne Risiken: Financial Inclusion durch eine Adaption über Nacht
Für den Fall, dass Libra bei Facebook selbst, aber auch bei Whatsapp, Instagram, Visa, Mastercard – welche alle bereits jetzt zum Konsortium gehören – eingesetzt würde, wäre in kurzer Zeit eine sehr hohe, weltweite Reichweite möglich: Quasi über Nacht würden hunderte Millionen Menschen zu Libra-Nutzern werden.
Es wäre davon auszugehen, dass Libra in Kürze zu den weltweit wichtigsten Handelswährungen werden würde. Die 100-Prozent-Deckung hätte zum Ergebnis, dass einige hundert Milliarden US Dollar an eben diesen Währungen und Staatsanleihen gekauft werden müssten. Mithin würde Libra zügig zu einem sehr bedeutenden Käufer von Staatsanleihen werden.
Das Ziel, hunderten Millionen Menschen Finanzdienstleistungen zu ermöglichen (“financial inclusion”), steht auch bei wichtigen Institutionen wie den Vereinten Nationen oder der Weltbank sehr weit oben auf der Prioritätenliste. Würde Libra dieses Ziel erreichen – und sei es durch eine Initiative von gewinnorientierten Unternehmen – wäre dies grundsätzlich positiv einzuschätzen.
Allerdings gibt es erhebliche Risiken: Allen voran der Umstand, dass die Governance der Libra Association und insbesondere die Entscheidungsfindung zur Zusammensetzung der Libra-Reserve bis heute unklar sind. Darüber hinaus sind Fragen rund um Schnittstellen zwischen Libra, Datenschutz und digitalen Identitäten genau die Risiken, die derzeit zurecht vielfach Widerstand und Skepsis erzeugen.
Regierungen, Finanzmarktaufsichten und Zentralbanken sollten daher – mit diesen Risiken im Blick – exakt prüfen, unter welchen Bedingungen Libra die erforderlichen Lizenzen für den Betrieb erhält. Dann kann Libra – bei allem derzeitigen Wehklagen – ein sehr beeindruckendes Vorhaben werden, was die Finanzbranche verändern wird und die Welt verändern kann.
Marktkapitalisierung von Libra: Die Rolle von Staatsanleihen
Libra ist als Stable Coin konzipiert und wird durch finanzielle Vermögenswerte, die sogenannten Libra-Reserven - bestehend aus Bankeinlagen und kurzfristigen Staatsanleihen, die von stabilen Volkswirtschaften bezogen werden - unterstützt, um die Volatilität zu verringern und das Vertrauen zu fördern.
In der öffentlichen Debatte über Libra wurde bisher meist übersehen, dass Libra damit zu einem wichtigen Käufer auf dem Markt für Staatsanleihen werden könnte. Jeder Libra-Token muss von der Libra Association gedeckt werden: durch Bankeinlagen oder kurzfristige Staatsanleihen.
Unter der Annahme, dass 250 Millionen Menschen zu Libra-Nutzern werden und jeder Nutzer Libra im Wert von 1.000 USD besitzen würde, hätte Libra eine Marktkapitalisierung von 250 Milliarden USD. Dies würde Libra praktisch über Nacht zu einer der Top-3-Kryptowährungen machen. Stand heute (Juli 2019) ist Bitcoin mit einem Kapital von 190 Milliarden US-Dollar ausgestattet. Eine genaue Schätzung der Anzahl der Nutzer und der gehaltenen Libra ist jedoch derzeit noch nicht möglich.
Vielmehr könnte man von einer möglichen Benutzerbasis von 100-500 Millionen Menschen ausgehen, die jeweils zwischen 500 und 2.500 USD in Libra halten. Dies würde zu einer erwarteten Marktkapitalisierung zwischen 50 und 1.250 Mrd. USD führen. Basierend auf der Tatsache, dass Facebook derzeit 2,7 Milliarden Nutzer in seinen Anwendungen Whatsapp, Instagram und Facebook Messenger hat, ist die Schätzung, dass 250 Millionen von ihnen Libra-Nutzer werden würden (etwa 10%), daher nicht unrealistisch.
Einfluss auf den Finanzsektor
Banken in Deutschland und Europa wären kurzfristig durch Libra nicht in Gefahr. Der Grund ist, dass hierzulande der Euro die gesetzliche Währung ist. Kurzfristig scheint es unvorstellbar, dass Libra – als diffuser Korb von Finanzanlagen – etwa auf Rechnungen oder in der Buchhaltung verwendet wird.
Allerdings gibt es zwei wesentliche Aspekte, die Banken auch in Deutschland zu schaffen machen könnten: Der erste Aspekt betrifft Libra. Deutschland tätigt internationalen Handel in erheblichem Volumen und zwar naturgemäß in diversen Währungen, allen voran in US Dollar.
Würde etwas dagegen sprechen, dass etwa Aldi, wenn Bananen aus Ecuador importiert werden, diese Bananen in Libra bezahlt? Der Libra-Betrag wäre binnen Millisekunden von Aldi nach Ecuador transferiert – ein Prozess, der heute Tage dauert. All dies ist möglicherweise Spekulation. Aber gänzlich ausgeschlossen wäre es nicht, das Libra mittelfristig für einen Teil des Außenhandels eine gewisse Bedeutung erlangen würde. Dieses Geschäft würde dann Banken entzogen werden.
Der zweite Aspekt betrifft nicht Libra als Projekt, sondern die technische Basis: die Blockchain-Technologie. Diese wird in den kommenden Jahren die deutsche und internationale Finanz- und Bankenszene sehr stark verändern.
Es ist davon auszugehen, dass früher oder später etwa der Euro aber auch Aktien und andere Wertpapiere auf Blockchain-Systemen notieren werden. In Banken und vor allem bei 500 000 Mitarbeitern im deutschen Finanzsektor ist dies mehrheitlich nicht bekannt.
Das ist durchaus bedauerlich, da gerade im Bereich Blockchain heute zahlreiche Geschäftschancen existieren - das Projekt Libra eingeschlossen. Wer hier nun nicht beherzt agiert, ist in wenigen Jahren mit den Risiken konfrontiert. Dann kommt der Gegenwind und man wird machtlos zusehen müssen, wie Margen und Umsätze schrumpfen.
Kurzum heißt dies: digitale Transformation . Auch wenn dieser Begriff in vielen Häusern Schrecken und Widerstand auslöst, muss die digitale Transformation mit Verve angepackt werden, denn: Technologischer Fortschritt war noch nie und digitaler Wandel ist nicht aufzuhalten. Packen wir’s an!
Prof. Dr. Philipp Sandner leitet an der Frankfurt School of Finance & Management das Frankfurt School Blockchain Center (FSBC), welches im Februar 2017 initiiert wurde. 2018 führte ihn die FAZ als einen der Top-30-Ökonomen Deutschlands auf. Weiterhin gehört er laut Capital zu Deutschlands „Top 40 unter 40“.
Jonas Groß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC). Seine Interessengebiete sind vor allem Kryptowährungen und digitale Zentralbankwährungen.
Felix Bekemeier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC). Zu seinen Interessen gehören die mikroökonomische Analyse des Agentenverhalten in DLT-Netzwerken sowie die Identifizierung von Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie.