Thomas Holl hat wenig Schlaf bekommen. Gerade ist der Entwickler mit dem Nachtflug aus New York gelandet. Ein Routinebesuch bei den US-Kollegen. Holl ist Mitgründer der Sprachlern-App Babbel, die Zweigstelle in Manhattan hat er 2015 selbst mit aufgebaut. Der Berliner Firma ist gelungen, was bisher kaum ein deutsches Start-up geschafft hat: der erfolgreiche Sprung über den Atlantik. „Die USA sind mittlerweile unser größter Markt“, sagt der 47-Jährige.
Zahlen will er keine nennen, die jüngste Bilanz von 2020 liefert jedoch einen groben Eindruck, wie bedeutsam das Geschäft jenseits des Atlantiks ist. Damals verzeichnete Babbel 2,4 Millionen aktive Abonnenten, ein Viertel davon in den USA. Die Pandemie bescherte der App noch mal einen kräftigen Wachstumsschub. Insgesamt habe man seit Gründung mehr als zehn Millionen Abos verkauft – damit ist Babbel nach eigener Aussage die meistverkaufte Sprachlern-App weltweit
Das Start-up zählt zu den Pionieren der App-Economy. Die Idee entstand vor 15 Jahren: Holls Mitgründer Lorenz Heine wollte damals Spanisch lernen, fand online aber kein passendes Angebot. „Das war wie eine Wüste“, erinnert sich Holl. Gelernt wurde damals noch mit CD-ROMs, das Web 2.0 steckte in den Kinderschuhen. Also entschied sich das Duo, ein Lernprogramm im Internet zu starten. 2007 gründeten Holl und Heine Babbel – im selben Jahr, in dem Steve Jobs das iPhone vorstellte.
Ein ganzes Lern-Universum
Nutzer können hier selbst entscheiden, in welchem Tempo sie lernen möchten – oder welche Themen sie interessieren. Sie klicken sich selbstständig durch die einzelnen Lektionen, lösen Aufgaben und wiederholen Vokabeln. 2010 platzierte Babbel dann eines der ersten Sprachlern-Angebote im App-Store. Inzwischen ist daraus ein ganzes Lern-Universum geworden mit 14 Sprachen, Podcasts, Spielen und zusätzlichen Live-Klassen. Mehr als 160 Didaktiker entwickeln Lektionen und Lernpfade für die App.
Holl sitzt im Konferenzraum der alten Glühlampenfabrik in Friedrichshain, die Babbel zu einem Loft für seine rund 1000 Mitarbeiter umgebaut hat. Er hält das Smartphone in der Hand und erklärt sein neuestes Produkt: eine Spracherkennung, die den Lernenden beim Vokabelpauken zuhört und Verbesserungsvorschläge für die Aussprache macht. Früher hat das Start-up dafür Technologie von Apple und Google verwendet. Das Problem dabei: Konventionelle Sprachassistenten sind darauf programmiert, Wörter möglichst gut zu erkennen – egal wie schlecht die Aussprache ist. Und sie geben kein Feedback.
Deshalb hat Babbel ein Team darangesetzt, eine eigene Spracherkennung zu entwickeln. Die Technologie basiert auf Natural Language Processing, also der algorithmischen Verarbeitung von Sprache. Künftig soll der Assistent Lernenden auch mit Visualisierungen helfen, etwa wie man Vokabeln richtig betont.
Warum das Babbel-Konzept so beliebt ist, liegt für Holl auf der Hand: „Eine App urteilt nicht. Mache ich Fehler, lacht mich keiner aus.“