Als Jan Bose an diesem Januarmorgen auf die Straße tritt, liegt die Außentemperatur bei minus 3,1 Grad Celsius, die Bodenfeuchte bei 4,1 Prozent, und der Pegelstand des Bachs Rosoppe beträgt 9,7 cm. Der letzte Blitzeinschlag liegt fast drei Monate zurück. Wahrscheinlich hätte der 46-jährige den dicken Wintermantel und festes Schuhwerk auch dann angezogen, wenn er nicht zuvor die Daten abgerufen hätte. Ein Blick aus dem Fenster hätte genügt. Dennoch erfüllen die Werte einen wichtigen Zweck: Bose kann damit seine Kunden davon überzeugen, dass seine Produkte halten, was sie versprechen.
„Das hier ist die Wetterstation, die auch die Temperatur misst“, erklärt Bose im Videotelefonat. Er richtet seine Handykamera auf eine Box mit einem Windmessgerät, das an einer ampelhohen Stange wenige Meter von der Firmenzentrale entfernt befestigt ist. Das Kästchen schickt die Daten direkt an eine Website. Bose kann sie von überall auf der Welt einsehen.
Der Wirtschaftsingenieur ist Gründer und Geschäftsführer der Alpha-Omega-Technology, kurz AOT. Das Unternehmen berät Kommunen und Firmen bei der Einführung sogenannter IoT-Lösungen und liefert die passenden Produkte. IoT steht für Internet of Things. Ein großer Teil der AOT-Artikel sind Sensoren, die Daten erfassen und kabellos in Echtzeit an elektronische Geräte schicken. Sie ermöglichen den Käufern Dinge „smart“ zu machen, wie es umgangssprachlich heißt: beispielsweise eine Straßenlaterne, die per Funk mitteilt, wann die Birne voraussichtlich gewechselt werden muss, oder ein Steuergerät, das je nach Außen- und Innentemperatur Belüftung und Heiztemperatur in einem Gebäude anpasst. Selbst Straßenbelag kann schlau gemacht werden: Dank Echtzeitmessung der Oberflächentemperatur ist etwa der Winterdienst in der Lage abzuschätzen, wieviel Streugut benötigt wird.
32.000 Messungen mit einer Ladung
Der Bedarf nach smarten Lösungen ist in den vergangenen Jahren so stark gewachsen, dass AOT mittlerweile 17 Mitarbeiter hat und 2023 einen Umsatz von 6,8 Mio. Euro erwirtschaftete. Im Gründungsjahr 2017 waren es noch rund 60.000 Euro.
Die Drahtlos-Sensoren, die AOT vertreibt, arbeiten mit der LoRaWan-Technologie. „Die Geräte haben eine enorme Reichweite“, sagt Bose. Und sie brauchen wenig Energie. Er zeigt auf die Spitze eines kleinen Bergs, einige Kilometer entfernt. „Da steht auch ein Sensor“, sagt Bose. Er misst Temperatur und Luftfeuchtigkeit – und kann 32.000 Messwerte senden mit der Energie von zwei AA-Batterien. Je nachdem, wie oft gemessen wird, kann ein Sensor also jahrelang mit zwei Batterien betrieben werden. Noch vor einigen Jahren habe man solche Sensordaten am Gerät selbst ablesen müssen, sagt Bose. LoRaWan spart den Nutzern also Zeit und Geld.
Als Bose 2016 die ersten Geräte testete, war die LoRaWan-Technologie noch nicht sehr verbreitet. Die ersten Geräte habe er in Spanien bestellt, erzählt er. Bose arbeitete damals bei einem Energieversorger und erkannte die Vorteile der Technologie: Dank Datenübertragung mit LoRaWAN kann man Zähler digital auslesen, Heizkörperventile steuern oder erkennen, wann Leuchten gewartet werden müssen. Kurz darauf gründete er AOT. Mittlerweile bietet die Firma nach Boses Angaben das größte Sortiment an LoRaWAN-Geräten in Europa.
Von Martinfeld zu Smartinfeld
Auch wenn die vernetzten Sensoren für weniger Technikaffine noch nach Spielerei klingen mögen, sind ihre Einsatzmöglichkeiten vielfältig. Vor allem Energieversorger und Telekommunikationsunternehmen beziehen über AOT Produkte, die in Innovationsprojekten zum Einsatz kommen, zum Beispiel der oberfränkische Internet- und Telefonanbieter Süc-Dacor. „Wir haben in Coburg Behindertenparkplätze mit Sensoren ausgestattet. So können Autofahrer online sehen, welche Parkplätze frei sind“, sagt Andreas Kücker der bei Süc-Dacor den IoT-Bereich leitet. Er schätze vor allem, dass die AOT-Mitarbeiter auch bei der Konfiguration der verschiedenen Sensoren behilflich seien. Die sei nämlich noch gar nicht so einfach.
Auch den Ort des Firmensitzes hat Alpha Omega Technology schon smart gemacht. Das 600-Seelen-Dorf Martinfeld in Thüringen rüstete AOT kürzlich zu „Smartinfeld“ auf: Neben der Wetterstation vor dem Firmensitz ragen zwei weitere Stangen mit weiteren Sensoren empor. Sie messen den Luftdruck, zählen Blitze in der Umgebung und messen die Bodenfeuchte. Wenige Meter weiter auf der Straße erfasst ein Kasten Geschwindigkeit, Länge und Fahrtrichtung vorbeifahrender Autos. Von einer Brücke hängt ein Pegelstandssensor über der Rosoppe. All die erhobenen Messwerte werden auf der Website smartinfeld.de veröffentlicht.
„Natürlich braucht Martinfeld nicht all diese Sensoren“, sagt Bose. Doch Informationen über Wasserstand, Umweltqualität oder Blitzeinschläge seien auch hier nützlich, etwa als Nachweis für Versicherer. Außerdem installierte AOT smarte LED-Straßenlaternen im Ort. Die machen sofort auf sich aufmerksam, wenn es einen Defekt gibt, und lassen sich schnell so einstellen, dass sie bei Bedarf auch einmal heller und länger leuchten – etwa, wenn ein Dorffest steigt.
Martinfeld profitiert von dieser Leistungsschau; noch mehr nützt es dem Ort und der Region jedoch, dass AOT wächst. „Hier ist die Zentrale, von hier versenden Mitarbeiter unsere Ware“, sagt Bose. Viele Beschäftigte arbeiteten zwar außerhalb, zugeschaltet aus Leipzig, Berlin, Hamburg und Frankfurt. Doch auch ein Werkstudent aus dem thüringischen Nordhausen sei schon an Bord. Bose möchte künftig weitere Arbeitsplätze schaffen. „Wenn’s uns gut geht, geht es auch der Gemeinde gut.“