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Kolumne Ich bin ein Syrer

Deutschland darf nicht so tun, als könnte es sich aus Syrien heraushalten. Der Westen steckt längst mit drin. Und wer jetzt nichts tut, verrät alle Menschen, die sich gegen eine Tyrannei auflehnen
Ines Zöttl
Ines Zöttl
© Trevor Good

„Was vermieden werden muss, ist dass wir in diesem Konflikt hereingezogen werden“, hat Hannes Swoboda, Vorsitzender der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, am Mittwochmorgen im Radio erklärt. Es ist eine verräterische Formulierung. „Hereingezogen“, das ist eine Vokabel aus der Geschichte vom Jungen aus gutem Hause, der in schlechte Gesellschaft gerät und sich zum Einbruch in den Handyladen überreden lässt. Der Satz offenbart im besten Fall Hilflosigkeit, im schlimmsten Fall Zynismus. Ersteres ist verständlich. Hilflos sind letztlich alle, der zögerliche amerikanische Präsident ebenso wie diejenigen, die lautstark eine Intervention fordern. Es gibt keinen „quick fix“ für Syrien, keine saubere, schnelle Lösung. Auch ein Militärschlag wird nicht dafür sorgen, dass 2014 nach demokratischen Wahlen eine verantwortungsvolle Opposition das Land in glückliche Zeiten steuert. Das Land ist zerfallen. Gewalt, Chaos und Hass haben sich tief in die Gesellschaft gefressen. Die Menschen sind brutalisiert oder traumatisiert. Die zynische Antwort auf die Frage „was nun?“ liegt also nahe: Raushalten. Sollen sich Salafisten und Assad-Milizen gegenseitig massakrieren. Solange wir uns nicht einmischen, betrifft uns das nicht. Wenn das Blut abgeflossen ist, schicken wir Aufbauhelfer. Das aber ist eine Illusion. In Wirklichkeit steckt „der Westen“ längst mit drin. Auch Deutschland wird die Folgen des failed state Syrien zu spüren bekommen. Das fängt mit den paar Flüchtlingen an, die der Exodus der Millionen Syrer hier bislang angespült hat. Es hört mit dem berüchtigten „Flächenbrand“ auf, der sich über Irak, Iran, Israel und den Libanon ausbreitet, und die religiösen und machtpolitischen Konflikte in der Region anheizt. Und mit der Gefahr, dass das Land vom Touristenziel zur Operationsbasis von Terroristen wird.

Stabilität und Friedhofsruhe

Die Gefahren eines Militärschlags gegen Syrien sind oft aufgezählt worden. Aber welche davon ist durch eine Nichtintervention dauerhaft gebannt? Oder hoffen wir insgeheim, dass Baschar al-Assad eines Tages wieder für Stabilität und Friedhofsruhe sorgt? Von einem großen Friedensplans unter Einbeziehung aller Regional- und internationalen Mächte – und selbstverständlich auch des Schlächters Assad – ist nun die Rede. Die Erfolgsaussichten sind ungefähr so groß wie die Chance, mit einer Bombe Assads Esstisch zu treffen. Die Nicht-Interventionisten haben die Antworten selbst nicht, die sie von den Pro-Interventionisten einfordern. Spätestens das Giftgasmassaker aber hat das Setting verändert: Wer weiter stillhalten will, nimmt damit Verantwortung auf sich. Wenn die Völkergemeinschaft nicht handelt, dann lässt sie nicht nur diejenigen Syrer allein, die für ihre Rechte als Bürger eingetreten sind. Sondern Menschen überall, die es wagen, sich gegen Tyrannen zu erheben. Alle die schutzlos der Willkür von Regierungen ausgeliefert sind. Was sollen Mugabe, Kim Jong-un und ihre begierigen Schüler dann noch fürchten? Nicht nur die USA haben eine Verantwortung für das, was in der Welt geschieht. Europa, Deutschland sind keine Zuschauer des Schauspiels, in dem sich die Ordnung formt. Schon gar nicht sind wir der Schiedsrichter. „Moralisch gesehen gibt es überhaupt nichts zu verteidigen“ an einem Giftgaseinsatz, findet Herr Swoboda. Ach ja?

Ines Zöttl schreibt jeden Mittwoch über internationale Wirtschafts- und Politikthemen. Die letzten Kolumnen von Ines Zöttl: Gutes Geld, Lass die Sau raus, und It’s the Economy

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