Anzeige

Kolumne Grube im Kummerland

Bahn-Chef Rüdiger Grube führt weltweit 300.000 Mitarbeiter. Aber fünf Krankmeldungen reichen, um seinen großen Zukunftsplan zu vernichten. Von Jenny Genger
Figure

Jenny Genger schreibt in ihrer Kolumne über Unternehmensführung, Netzwerke und Karrierethemen.

Da kann man sich schon vorstellen wie die Köpfe ganz schwer hin und her wiegen. Und wie sie alle aufgeregt beide Arme in die Luft reißen, fallen lassen und wieder die Köpfe schütteln. All die Vorstände, Bereichsleiter, Ressortleiter und Betriebsräte in dem großen Bahnkonzern und auch ganz oben die Aufsichtsräte und dann natürlich noch die Minister, Staatssekretäre und sämtliche verkehrs- oder bahn- oder wahlinteressierten Politiker, die in dem letztverbliebenen großen Staatsbetrieb etwas zu sagen haben wollen.

Da wackeln die Köpfe wie bei Jim Knopf und seinem Freund, Lukas der Lokomotivführer, wenn die beiden mit einem Problem nach dem andern konfrontiert werden. Schlimmer noch als im realen Eisenbahner-Deutschland wo Klimaanlagen ausfallen, Achsen brechen, Oberleitungen vereisen, Waggons überquellen. Da wird in ihrer Heimat Lummerland auf Geheiß des Königs einfach mal der ganze Bahnbetrieb stillgelegt. Also komplett. Nicht nur teilweise in einer kleinen Regionalstadt.

Anders als in Lummerland und im benachbarten Kummerland, wo sich Jim Knopf und Lukas trickreich gegen alle Widrigkeiten durchsetzen, laboriert die Deutsche Bahn unaufhörlich an immer neuen Problemen. Jetzt sind es die fehlenden Fahrdienstleiter in Mainz. Was in jeder Firma vorkommen kann, dass drei Fachkräfte im Urlaub sind und plötzlich noch fünf krank werden, wird bei der DB zum ganz großen Desaster. Obwohl es 12.000 Fahrdienstleiter im Konzern gibt, wie wir nun lernen, kann jeder nur die Weichen und Signale an seinem Stellwerk steuern und nicht spontan an einem der anderen 3400 aushelfen.

Alter, ermatteter Apparat

Dagegen finden sich etwa bei der Lufthansa in einem solchen Fall oder bei einem konzertierten streikbedingten Engpass der Piloten sogar zahlreiche Topmanager in der Verwaltung mit Flugscheinlizenz, die gerne mal einspringen. Bei der Bahn findet sich, glaube ich, nicht einmal ein qualifizierter Fahrdienstleiter oder Lokführer in den obersten Führungsetagen. Zwar könnten die nun auch nicht ad hoc an eine der zum Teil archaisch anmutenden Stellwerkanlagen gesetzt werden. Aber neben der sich nun offenbarenden fragilen Personalplanung der Bahn, entzündet sich am Mainzer Beispiel das ganze Dilemma des Konzerns: Es ist ein alter, grauer, ermatteter Apparat.

Seit 1994, dem Beginn der Bahnreform, hat das Unternehmen im Schnitt jedes Jahr 10.000 Arbeitsplätze weggespart – summa summarum rund 150.000. Übrig blieb eine Mannschaft, von denen knapp die Hälfte schon auf den Ruhestand zusteuert. Eine Mannschaft, die durch den forcierten, dann aber doch gekippten Börsengang komplett verunsichert und durch eine breitangelegte Spitzelaffäre sowie Korruptionsskandale vollends erschüttert wurde. Wie verbittert und misstrauisch die Stimmung ist, zeigten zwischendurch knallharte Tarifkämpfe mit Streiks, die die ganze Republik tagelang lahmlegten.

Bahn-Chef Grube weiß, dass das Personalproblem sein heikelstes ist. Alles andere, die ständigen Verspätungen, Zugausfälle und sonstigen Technikpannen, kratzen zwar weiter massiv am mäßigen Image der Bahn. Aber die Kunden haben ja letztlich ohnehin meist keine andere Wahl und müssen trotz aller Aufregung mit dem Quasimonopolisten reisen.

Nur: arbeiten muss man für diesen Konzern nicht. Gerade begehrte, rare Nachwuchs- und Fachkräfte denken bei ihrer Karriereplanung an Unternehmen wie BMW, Audi, VW, Google oder Facebook. Aber nicht an die Bahn. Das wurmt Grube und seinen Personalvorstand Ulrich Weber, die sich zum Ziel gesetzt haben, bis 2020 die Bahn zu einem der zehn beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands zu machen. Ohnehin muss der Konzern bis dahin im Schnitt 7000 bis 8000 neue Mitarbeiter einstellen. In diesem Jahr sollen es sogar rund 10.000 werden, vielleicht auch noch mehr, je nachdem was nach den Mainzer Krisengipfeln nun bei der Neukalkulation herauskommt.

Grube hatte die Personalpolitik vor zwei Jahren explizit zur Chefsache erklärt, hat sie als einen der wichtigsten Bausteine in seinem Strategiepapier „DB 2020“ manifestiert und zudem gesagt: „50 Prozent meiner Zeit werde ich mir künftig für die Mitarbeiter nehmen.“

"Mainz ist überall"

Weit gekommen ist er mit dem geplanten Kulturwandel in seiner vierjährigen Amtszeit nicht. Wirklich zufrieden und engagiert scheinen viele Bahn-Mitarbeiter nicht zu sein. Offen und ungefragt beklagen sie ihre Situation auch vor Kunden: „Mainz ist überall“, sagte die Schaffnerin im ICE am Mittwoch auf meinem Weg nach Hamburg. „Wir sind heute auch nur zwei statt vier Zugführer – wieder einmal.“

Grube muss sich schon ganz schön was einfallen lassen, um den Konzern komplett umzukrempeln.

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer haben ihre Bahn, die Emma, immer wieder umgebaut: zum Schiff, zum schienenlosen Landfahrzeug, zum flugfähigen Perpetuum Mobile, zum U-Boot. So haben sie alle Abenteuer gemeistert, alle Widersacher von bösen Drachen bis zur Piratenbande für sich eingenommen. Grube wird mit dem heldenhaften Lukas nicht gleichziehen können. Der war so stark, dass er eine Eisenstange zu einer Schleife binden konnte. Der konnte zweistimmig pfeifen und beim Kunstspucken sogar einen Looping spucken.

Ein Loop oder gar Hyperloop, wie ihn der US-Entrepreneur Elon Musk als kalifornischen Raketenzug plant, wird von Grube gar nicht mehr erwartet. Ingenieursleistungen und technische Visionen werden seit den gescheiterten Transrapidplänen nicht mit der Deutschen Bahn in Verbindung gebracht. Aber für was steht das Unternehmen dann? Das muss Grube seinen Mitarbeitern und künftigen Bewerbungskandidaten sagen. Momentan steht die Bahn für Millionen Überstunden. Damit kommt niemand in die Spitzenliga der beliebtesten Arbeitgeber.

Die letzten Kolumnen von Jenny Genger: Ist der Ruf erst ruiniert, Die Arbeit kommt nach Hause, Jetzt lasst mal die Männer ran, und Stoppt den Schrempp-Effekt.

E-Mail: genger.jenny@capital.de

Foto: © Trevor Good

Neueste Artikel