Sollte irgendjemand ein Drehbuch für die Aufführungen der vergangenen Tage geschrieben haben, verdient er den Oscar für die größten Überraschungseffekte und die beste Unterhaltung in der Kategorie Managerdoku. Titel: „Ich bin zu gut für diese Wirtschaftswelt“. Hauptrolle: Thomas Middelhoff, Co-Starring: Jim Hagemann Snabe.
Der chronologische Aufbau ist recht plump inszeniert: Ende der Woche erscheint in einem Wirtschaftsmagazin das erste große Interview mit dem für längere Zeit verschollenen und heftig gescholtenen Ex-Chef des schwer angeschlagenen Handelskonzerns Arcandor. Die Botschaft von Middelhoff, alias Big T: Er habe mit diesem Desaster nie etwas zu tun gehabt. Das hätten sämtliche dilettantischen Nachfolger verpfuscht. Unterlegt ist das mit schwarz-weiß-Einspielungen, in denen Karstadt-Investor Nicolas Berggruen, Vorstandschef Andrew Jennings, Ex-Chef Karl-Gerhard Eick, diverse Insolvenzverwalter und Finanzberater vorgeführt werden.
Dramaturgische Steigerung dann kurz darauf zum Wochenanfang: noch ein Interview, dieses Mal in der auflagenstärksten, überregionalen Tageszeitung. Unter Trommelwirbel platziert Big T nun seine schonungslose Generalabrechnung: Nachfolger Eick sei der Totengräber von Arcandor, die Insolvenzverwalter bräuchten nur einen anderen Sündenbock, aber sämtliche Ermittlungen, Klagen, Anschuldigungen seien vollkommen haltlos. Fanfaren setzen ein für die große Heldengeschichte aus Ich-Perspektive: Ich habe mich stets in die Pflicht nehmen lassen! Bis zu meinem Abgang war Insolvenz bei Arcandor gar kein Thema! Das hätte es mit mir nicht gegeben!
Dann ein Tusch, der Höhepunkt am Folgetag verbreitet über die größte deutsche Nachrichtenagentur: Das Comeback von Big T. Als Chef und Gesellschafter eines chinesischen Medienunternehmens.
Gleichzeitig läuft an einem zweiten Schauplatz das Rückzugsgefecht von SAP-Co-Chef Jim Hagemann Snabe. Auch diese Inszenierung läuft in mehreren öffentlich dokumentierten Akten. Erst ein Interview in einer Wirtschaftszeitung. Tenor: die Arbeitsteilung in der Doppelspitze ist richtig, wichtig, läuft gut, wird so bleiben. Dann wenige Tage später, ebenfalls Anfang dieser Woche die offizielle Ankündigung: Aus, Schluß, Ende der Machtteilung. Es folgt noch ein Interview in einer anderen überregionalen Tageszeitung. Snabe führt nun an, er müsse sich mehr um seine Familie in Dänemark kümmern, aber ein neuer Job im SAP-Aufsichtsrat sei ja geplant und würde auch viel besser passen.
Beide Hauptdarsteller sind tragische Figuren, die für keine weiteren großen Heldengeschichten taugen. Ihr Ruf war längst lädiert. Middelhoff gilt als größenwahnsinnig, raffgierig, Snabe als blass, wenig durchsetzungsstark. Da hilft es auch nicht, in einer kurzfristigen Offensive das Gegenteil zu behaupten. Die wichtigste Basis für eine gute Reputation sind langfristig aufgebaute Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Wer das einmal verspielt hat, bekommt keinen Applaus mehr.
Jenny Genger schreibt jeden Donnerstag an dieser Stelle über Unternehmensführung, Netzwerke und Karrierethemen.
Ihre letzten Kolumnen: Die Arbeit kommt nach Hause, Jetzt lasst mal die Männer ran, und Stoppt den Schrempp-Effekt.
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