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Kolumne Die Arbeit kommt nach Hause

Unternehmen experimentieren mit flexiblen Arbeitszeitmodellen. Doch den Umgang mit der neuen Freiheit müssen alle noch lernen. Von Jenny Genger
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Lebst Du schon oder arbeitest Du noch? So lautet zuweilen die schüchterne Frage unter älteren Kollegen, die der angepassten Generation X angehören, also alles über 30. Ihre gerade erst in die Arbeitswelt geschlüpften Kollegen der anspruchsvoll fordernden Generation Y hingegen haben längst entschieden: Sie leben nicht, um zu arbeiten, sondern sie arbeiten, um zu leben.

Y betrachtet pünktliche Feierabende, ungestörte Wochenenden und Urlaube ohne E-Mail als Selbstverständlichkeit. Obendrein gehören Gleitzeit, Teilzeit, Elternzeit, Bildungsurlaub und Sabbaticals für Y zum Mindeststandard eines attraktiven Arbeitgebers. X dagegen schlurft seit Jahren jeden Morgen zur gleichen Zeit ins Büro, schiebt Überstunden, schleicht im Dunkeln wieder heim und beantwortet von unterwegs noch ein paar Nachrichten.

Vollkommen out so eine Selbstausbeutung für die Firma, für die vermeintliche Karriere, für mehr Anerkennung und Gehalt. Nun heißt es: Kommt nicht zur Arbeit! Die Arbeit kommt zu euch. Präsenzpflicht steht auf dem Index der Personalführungsschlagwörter. Wehe dem, der als erster im Büro ist oder es als letzter verlässt. Freiheit für alle! Und wer sie sich nicht freiwillig nimmt, wird dazu gezwungen.

So wie die Führungskräfte beim Autozulieferer Bosch, die nun in einem Pilotprojekt für jeweils drei Monate nach Hause geschickt werden, um von dort zu führen. Sie sollen zeigen, dass das geht, dass sie nicht die ganze Zeit auf dem Sofa rumlümmeln. Sondern dass sie so vollkommen frei viel motivierter, zufriedener und auch inspirierter sind und diszipliniert ihre möglichst noch besseren Ergebnisse abliefern.

Denn das muss unterm Strich für die Firma rauskommen: fröhliche, gesunde Mitarbeiter, aber auch proppere Umsatz- und Gewinnzahlen.

Daran hapert es nun just bei Bosch. Der Konzern hat gerade 1800 Mitarbeitern Kurzarbeit verordnet. Auch eine Form der flexiblen Arbeitszeit, aber im Krisenmodus. Das ist die Krux, die Unternehmen aushalten und austesten müssen: wie viel Freiheit ist nötig und welches Ergebnis dabei möglich?

Absolut kein befriedigendes Ergebnis, hat zumindest Yahoo-Chefin Marissa Mayer entschieden. In einer ihrer ersten Amtshandlungen hat sie das Home Work abgeschafft und die Mitarbeiter wieder ins Büro beordert. Das sei nötig gewesen, um die Sanierung des angeschlagenen Konzerns einzuleiten, sagte Mayers Vorstandskollegin Jacqueline Reses am Montag auf der Münchner Digitalkonferenz DLD-Women. Schnelligkeit, bessere Qualität, mehr Innovationen seien gefordert und dafür müssten nun alle in der Firmenzentrale zusammenrücken.

Ein verstörendes Zeichen für die Unternehmen, die gerade erst damit beschäftigt sind, sich von der Stechuhr-Mentalität zu befreien. Mehr Flexibilität und Freiheit müssen erst noch von allen gelernt werden.

Jenny Genger schreibt jeden Donnerstag an dieser Stelle über Unternehmensführung, Netzwerke und Karrierethemen.

Ihre letzten Kolumnen: Jetzt lasst mal die Männer ran, Stoppt den Schrempp-Effekt und Dein #Chef ist unsozial.

E-Mail: genger.jenny@capital.de

Foto: © Trevor Good

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