Der deutsche Digitalisierungs-Diskurs lässt sich grob in drei dominierende Themenblöcke gliedern. Erstens: Wirtschaftliches. Schafft die heimische Industrie die Transformation? Zweitens: Soziales. Wer sind die Verlierer der Umbrüche und wie sieht die Zukunft des Sozialstaats aus? Drittens: Ethik. Wo sollen die Grenzen des technisch Möglichen liegen? Natürlich ist das alles wichtig. Aber eine vierte Dimension leidet meistens unter grober Vernachlässigung: Die geopolitische. Denn die technologische Zeitenwende hat längst neue geostrategische Konflikte geschaffen. Trotzdem kann das Interesse für außen- und sicherheitspolitische Konsequenzen bahnbrechender Innovationen selten mit dem für wirtschaftliche, soziale oder ethische Aspekte mithalten.
Die aktuelle Debatte um Huawei und den 5G-Ausbau hat der geopolitischen Brisanz neuer Technologien immerhin etwas Aufmerksamkeit verschafft. Die fünfte Generation der mobilen Vernetzung ist bekanntlich kritische Infrastruktur für dieses Land. Man kann Norbert Röttgen und anderen warnenden Stimmen, auch aus der SPD , deshalb nur zustimmen, wenn sie Spionage, Sabotage und eine strategische Abhängigkeit vom Reich der Mitte fürchten. Der CDU-Bundesparteitag hat jetzt beschlossen, dass der Bundestag Sicherheitsstandards für den Netzausbau definieren soll .
Die grundsätzliche Frage aber bleibt bestehen: Was ist wichtiger – gute diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik oder der Schutz der nationalen Sicherheit? Ungestörte Exporte nach Fernost und die Sicherstellung der vielbeschworenen digitalen Souveränität der Bundesrepublik scheinen in einem schwer zu lösenden Zielkonflikt zu stehen. Eine dringend nötige gesellschaftliche Meinungsbildung kommt jedoch kaum zustande. Schlimmer noch: Der Öffentlichkeit wird weißgemacht, es ginge um eher bürokratische Fragen, die sich mit gesetzlichen Anforderungen an technische Bauteile lösen ließen. Dabei dreht sich die Causa Huawei um viel mehr, nämlich um eine folgenschwere Abwägung von konkurrierenden politischen Werten.
Zu Ende gedacht...
Seit jeher prägen technologische Entwicklungen internationale Beziehungen. Die Weltgeschichte ist voll von Wendepunkten, an denen Innovationen im wahrsten Sinne kriegsentscheidend waren. Oft ging es dabei um echte Waffentechnologie. Doch zeitgenössische Machtansprüche werden nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern in Rechenzentren und vor Bildschirmen durchgesetzt. Die digitale Infrastruktur kann so leicht zur nationalen Achilles-Ferse werden.
Dabei ist 5G nur ein Beispiel geopolitisch relevanter Technologiefelder. Bei der Entwicklung und Nutzung künstlicher Intelligenz liefern sich China und die Vereinigten Staaten ein regelrechtes Wettrüsten. „ Data is the new oil, and China is the new Saudi Arabia “ – in diesem Satz von Bestsellerautor Kai-Fu Lee kommen gleich mehrere Wahrheiten über die neue globale Machtverteilung zur Geltung. Die Herrschaft über Daten und Technologien birgt im 21. Jahrhundert ähnliches Konfliktpotential wie heute noch der Zugang zu Öl und Gas. China zeigt, wie sich mit technologischen Innovationen die Diktatur neu erfinden lässt. Ein Digital-Autoritarismus entwickelt sich zum konkurrierenden Gegenmodell zur liberalen Demokratie . Der globale Wettstreit zweier Ideologien ist nach drei Jahrzehnten Pause in neuer Gestalt zurück.
Die nächste ganz große sicherheitspolitische Herausforderung nähert sich derweil mit dem Quantum Computing. Auch das Rennen um die sogenannte „Quantum Supremacy“ bietet viel geopolitische Sprengkraft. Diese ist erreicht, wenn ein Quantencomputer komplexe Aufgaben schneller lösen kann als ein Supercomputer mit konventioneller Digitaltechnik. Ende Oktober verkündeten Google-Wissenschaftler die Quantenüberlegenheit erreicht zu haben . Die andere Seite dieses Fortschritts: Quantencomputer verfügen über so viel Rechenkapazitäten, dass bestehende Verschlüsselungsmethoden keinen Schutz mehr bieten . Die kommenden Cyberrisiken für Wirtschaft und Gesellschaft liegen auf der Hand.
Emmanuel Macron hat deshalb recht, wenn er in seinem jüngsten Economist-Interview technologiepolitische Konsequenzen und die „ Rückkehr einer strategischen Agenda der Souveränität “ fordert. Wie so oft gilt, dass diese Agenda dann am schlagkräftigsten wäre, wenn sie europäisch durchgesetzt würde. Aber egal ob EU- oder nationale Ebene: Wichtig wäre nicht nur die Umsetzung einer digitalen Sicherheitsstrategie, sondern vor allem auch eine vierte – geopolitische – Dimension der üblichen Digitalisierungs-Diskussion. Action required!
Benedikt Herles ist Unternehmer und Autor. Sein neuestes Buch: „Zukunftsblind – Wie wir die Kontrolle über den Fortschritt verlieren“ (Droemer). Mehr Informationen unter benediktherles.com. Und hier finden Sie weitere Folgen von Herles‘ Zukunftsblick