Was ist eigentlich der tieferliegende Grund für den Absturz der Türkei – also die harten ökonomischen Faktoren, jenseits des politischen Zoffs mit den USA?
Unter den ökonomischen Faktoren ist vor allem das hohe Leistungsbilanzdefizit zu nennen, das die Wirtschaft von Kapitalzuflüssen abhängig gemacht hat. Die Regierung hat eine ohne überhitzte Wirtschaft durch Kreditsubventionen weiter angefacht, was über steigende Importe die Leistungsbilanz belastet und dazu beigetragen hat, dass das Inflationsziel seit Jahren verfehlt wurde.
Gibt es hier Parallelen zur Schwellenländerkrise in Asien in den 1990er-Jahren?
Es gibt durchaus Parallelen: Hohe Verschuldung in fremder Währung, niedrige Währungsreserven und dann ein Absturz der Währung, der die Kredite stark verteuert. Im Unterschied zur damaligen Krise hat die Türkei den Wechselkurs allerdings seit vielen Jahren nicht fixiert, was grundsätzlich hilft, um eine notwenige Wechselkursanpassung über einen längeren Zeitraum zu strecken. Im Falle der Türkei kam es nun zu einer Währungskrise, obwohl die Währung bereits seit Jahren an Wert verliert. Ob die Währungskrise in der Türkei eine ähnlich tiefe Wirtschaftskrise auslöst wie damals in Asien hängt davon ab, wie die Regierung nun mit dem Problem umgeht. Insbesondere muss es ihr gelingen, eine Bankenkrise zu verhindern.
source: tradingeconomics.com
Welche Auswirkungen sind von der Krise in der Türkei für die deutsche Wirtschaft zu befürchten?
Der freie Fall der Lira macht für die Türkei Importe deutlich teurer. Das dürften auch deutsche Exporteure spüren. Zudem haben Banken mit Türkei-Engagement möglicherweise einen erhöhten Abschreibungsbedarf.
Wie unabhängig ist die türkische Zentralbank? Kann sie Schlimmeres verhindern?
Die türkische Zentralbank dürfte weitgehend an die Weisungen des Präsidenten gebunden sein. Wenn der Präsident eine stabilitätsorientierte Politik verfolgen würde, wäre dies noch tragbar. Doch so fehlt der Geld- und Währungspolitik die Glaubwürdigkeit. Die Zentralbank hat aber immer noch die Möglichkeit, über höhere Zinsen einen Beitrag zur Beruhigung der Märkte zu leisten.
Was kann und sollte die türkische Regierung denn nun tun, um den Absturz abzubremsen?
Sie müsste einen wirtschaftspolitischen Schwenk vollziehen und akzeptieren, dass die Wirtschaft deutlich langsamer wachsen muss, bis Leistungsbilanz und Inflation unter Kontrolle gebracht sind. Hierzu müssten die Zinsen erhöht, das Haushaltsdefizit beseitigt und die großen Investitionsprojekte zurückgestellt werden. Mit den USA müsste eine Verständigung über die Behandlung des festgehaltenen Predigers erfolgen.
Und wird die türkische Regierung das letztlich auch tun?
In einer Abwägung der Chancen und Risiken erscheint ein Festhalten an Konfrontationskurs für Erdogan nicht sinnvoll. Zumindest wirtschaftspolitisch hat der Finanzminister ja bereits ein vorsichtiges Umsteuern angedeutet. Doch es fehlen konkrete Maßnahmen. Und Erdogan hat in den vergangenen Monaten bereits erstaunlich viele Möglichkeiten, die Lage zu beruhigen, nicht genutzt.