In den vergangenen Tagen war es ruhig um die Türkei geworden. Die Flüchtlingskrise, der Krieg in Syrien, der permanente Kampf zwischen Opposition und Regierung - alles pausiert. Das Land mit rund 80 Millionen Einwohnern liegt mit 130.000 Infizierten und 3.500 Corona-Toten im europäischen Mittelfeld. Immerhin - Ankara nahm die Bedrohung ernst, und führt anders als Staaten mit niedrigen Corona-Infizierten auch Tests durch. Immer am Wochenende wird über Istanbul und andere Städte eine strenge Ausgangssperre verhängt. Darüber klagen die Istanbuler, staunen aber eben auch über die Schönheit ihrer Stadt, die sonst in einem Chaos aus Verkehr und Geschäftigkeit versinkt.
Dieser für dieses Land so ungewohnte Zustand der Harmonie dürfte für’s Erste vorüber sein. Seit Beginn der Corona-Krise hat die türkische Lira mehr als 20 Prozent ihres Wertes zum Euro verloren. Am Donnerstag hat die türkische Regierung mit einer drastischen Maßnahme darauf reagiert: Sie verbot den Banken BNP Paribas, Citigroup und UBS den Handel mit türkischer Lira. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu bediente sich dabei eines üblichen Musters und warnte am Mittwoch: Es seien ausländische Finanzinstitutionen, die den Kurs der Währung „manipulierten“. Wer sich daran beteilige, dem drohen Strafen und ein Ausschluss vom türkischen Markt.
„Eine Maßnahme, die gewaltigen Schaden anrichtet (…)“, schrieb der Türkei-Kenner und Analyst bei Bluebay Asset Management Timothy Ash am selben Tag auf Twitter . „Eine Kriegserklärung gegen ausländische Banken wird nicht dazu beitragen, die Stimmung gegenüber der Türkei zu verbessern.“
All das erinnert an das Gemetzel vom Sommer 2018. Damals löste US-Präsident Trump mit ein paar Tweets einen Kurssturz der türkischen Lira aus. Anlass war damals die Freilassung eines amerikanischen Pastors. Innerhalb weniger Tage verlor die Lira rund 40 Prozent ihres Wertes. Bis zum Herbst hatte sich der Kurs zwar weitgehend stabilisiert. Doch bis jetzt machten die Folgen der türkischen Wirtschaft zu schaffen. Weil das Land ein großes Handelsbilanzdefizit aufweist und wesentlich mehr importiert als exportiert, begannen im Land die Preise zu steigen. Die Inflation stieg kurzzeitig auf bis zu 20 Prozent.
Noch problematischer als steigende Importpreise ist die hohe Verschuldung türkischer Firmen in Euro und vor allem US-Dollar. Sinkt die Lira, steigt die Zinslast. Werden die Kosten nicht an den Verbraucher weitergegeben, drohen massenhafte Insolvenzen. Eine Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) lehnt Ankara stets ab. Erdogan war es Anfang der Nuller Jahre gewesen, der die Kredite des IWFs zurückgezahlt hatte, nachdem die Vorgänger-Regierung Hilfe beantragen hatte müssen.
Eigentlich wäre eine massive Anhebung der Leitzinsen notwendig gewesen. Die aber kam nur zögerlich, da Präsident Erdogan und sein Schwiegersohn, Finanzminister Berat Albayrak, auf keinen Fall das Wirtschaftswachstum abwürgen wollten. Also schmiss die türkische Zentralbank ihre Reserven auf den Markt, um den Kurs zu stützen. Das gelang vorübergehend - bis zum Jahreswechsel 2018/ 2019 hatte sich die Lira auf einem Kurs von 1 Euro zu 6 Lira eingependelt. Beobachtern aber war da bereits klar: Ein weiterer externer Schock und die Lira rauscht wieder in den Keller. Die Zentralbank hat dann ihr Pulver bereits verschossen. Schon damals warnten Analysten: Sollte es Ankara nicht gelingen, den Verfall der Lira zu stoppen, würden als nächster Schritt Kapitalverkehrskontrollen drohen.
Das Handelsverbot gegen die drei Banken kann man als ersten Schritt in diese Richtung interpretieren. Noch versucht die türkische Zentralbank, den Kurs zu stützen. Die Devisenreserven aber sind von 40 Milliarden US-Dollar Anfang des Jahres auf 25 Milliarden gesunken. Die niederländische Rabobank riet deswegen am Freitag dazu, die Verteidigung der Währung aufzugeben, und sich stattdessen Hilfe vom IWF zu holen. Ein Kurs von 1:10 wäre dann denkbar.
Die Probleme des Landes sind aber nur zum Teil hausgemacht. Vielmehr dürften die Ereignisse in der Türkei ein Vorbote für eine globale Krise sein: Durch den Corona-Schock steigt weltweit die Nachfrage nach US-Dollars, in der Folge fallen angeschlagene Währungen. Der brasilianische Real, der mexikanische Peso und der südafrikanische Rand haben alle seit Beginn der Corona-Krise bis zu einem Drittel ihres Wertes verloren. Viele Schwellenländer leiden unter dem weltweiten Handelseinbruch besonders stark. Rücküberweisungen von Gastarbeitern in ihre Heimatländer fehlen, Rohstoffexporteure verlieren an Einkommen, allen voran Erdölproduzenten.
Die einzige Hoffnung der Türkei ist nun, dass es zu keiner zweiten Welle der Pandemie kommt und die internationalen Reisebeschränkungen wieder aufgehoben werden. Dann könnte ein boomender Tourismus wieder neue Devisen ins Land spülen.