Die Zahl der Betroffenen ist überschaubar – die Debatte trotzdem hitzig. Der von Bundesfamilienministerin Lisa Paus angekündigte Ausschluss der Bestverdiener vom Elterngeldbezug hat Familien und viele, die es werden wollen, überrascht. Die Grünen-Politikerin erklärt das damit, auf Order von FDP-Finanzminister Lindner bei dieser staatlichen Transferleistung 500 Mio. Euro einsparen zu müssen. Die FDP-Fraktion selbst reagiert „nicht überzeugt“ und sorgt sich um familienpolitische Rückschläge – so wie die Opposition.
Bis Mitte Juli soll Paus die Neuerung gesetzlich vorschlagen. Sie hat sich entschieden, „sozialpolitisch ausgewogen“ die Gruppe der Bezieher zu schrumpfen, sagt sie, statt die Leistung an sich in der Breite zu kürzen. Auch die Ministerin räumt dabei ein: „Für die Gleichstellung, in der Tat, ist das kein Glanzstück.“
Riskiert diese nun einen deutlichen Dämpfer? Und welche Gruppe bleibt infolge der Ansage zur Kappung künftig beim Elterngeld außen vor?
Zielsetzung
Das 2007 unter der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD eingeführte Elterngeld gilt als zentrale familienpolitische Maßnahme und als Paradigmenwechsel: mit dem erklärten Ziel, die Erwerbsbeteiligung von Müttern zu stärken und auch die partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung und Hausarbeit zu verbessern. Verantwortlich war die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), heute EU-Kommissionspräsidentin.
Der Ersatz von Verdienstausfällen nach der Geburt, der das bis dahin verfügbare Erziehungsgeld ersetzte, soll qualifizierten Frauen die Entscheidung für ein Kind leichter machen und – begleitet von einem Ausbau der Kinderbetreuung – ein Jahr Schonraum mit erleichterter Rückkehr in den Beruf eröffnen. Zudem wurden Vätermonate einbezogen, um auch diese zu einer Pause vom Job zu bewegen.
Anspruch
Eltern stehen gemeinsam insgesamt 14 Monate Basiselterngeld zu, wenn sich beide an der Betreuung beteiligen und den Eltern dadurch Einkommen wegfällt: also maximal 25.200 Euro. Sie können die Monate frei untereinander aufteilen. Ein Elternteil kann dabei mindestens zwei und höchstens zwölf Monate für sich in Anspruch nehmen, so das Familienministerium. Alleinerziehende, die das Elterngeld zum Ausgleich des wegfallenden Erwerbseinkommens beziehen, können die vollen 14 Monate Elterngeld in Anspruch nehmen.
Die Höhe des Elterngeldes hängt davon ab, wie viel Einkommen der betreuende Elternteil vor der Geburt des Kindes hatte – der Auszahlungsbetrag wurde aber bei 1800 Euro gedeckelt (entsprechend einer Grundlage von rund 2700 Euro Nettoeinkommen). Grundsätzlich stehen Eltern 67 Prozent des im Kalenderjahr vor dem Monat der Kindesgeburt durchschnittlich erzielten kombinierten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit zu. Das ElterngeldPlus – das in Teilzeitarbeit den Bezug verlängert – erreicht zwischen 150 und 900 Euro im Monat.
Ausschluss
Den Rahmen für den Bezug gab bislang auch die Obergrenze des zu versteuernden Einkommens eines Paares vor: Diese 300.000 Euro jährlich will die Ministerin nun auf 150.000 Euro halbieren, entsprechend auch die bislang 150.000 Euro für Alleinstehende. Bei Paaren, die beide verdienen, entsprechen 150.000 Euro zu versteuerndes Haushaltseinkommen ungefähr einem Bruttoverdienst von 180.000 Euro, rechnet Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vor.
Solche Einkünfte hätten 2019 gut vier Prozent aller steuerpflichtigen Paare gehabt, heute wohl etwas mehr. Der Anteil der Elterngeld-Paare in der jüngeren Altersgruppe dürfte deutlich niedriger liegen – plausibel, wenn diese Gruppe etwa zwei Prozent aller steuerpflichtigen Paare ausmacht.
Die Familienministerin selbst schätzte in einem Interview der Sendergruppe RTL/ntv, dass vermutlich rund 60.000 Familien künftig ihren Anspruch auf die staatliche Lohnersatzleistung während der Elternzeit verlieren. Ein Sprecher des Ministeriums hatte zuvor – mit Bezug auf ein Volumen von etwas über einer Million Elterngeld-Beziehenden im Jahr 2020 – den Anteil der Betroffenen auf rund fünf Prozent der Bezieher beziffert.
Diese Zahl nennt auch das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW): Demnach sind auf der Basis einer Haushaltsumfrage des Sozioökonomischen Panels (SOEP) und 435.000 Paaren unter 50 Jahren mit gemeinsam 150.000 Euro zu versteuerndem Einkommen etwa fünf Prozent der Paare betroffen.
Einsparung
Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, hat der Staat zuletzt für das Elterngeld mehr als acht Mrd. Euro ausgegeben. Anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, wird die Leistung im Bundeshaushalt 2024 nun nicht an die Kaufpreisentwicklung angepasst – und laut Entwurf sinkt der Ansatz auf Drängen des Finanzministers für die familienpolitische Transferleisung gegenüber 2023 um 290 Mio. Euro auf 7,99 Mrd. Euro ab.
Bisherige Verteilung
Für alle Einkommensgruppen und das Jahr 2022 vermeldete das Statistische Bundesamt zwei Zahlen: Nach Angaben vom März dieses Jahres erhielten im vergangenen Jahr knapp 1,4 Millionen Frauen und 482.000 Männer in Deutschland Elterngeld. Dabei stieg der Väteranteil auf 26,1 Prozent an, 2015 hatte er noch bei 20,9 Prozent gelegen. Nach einer späteren Destatis-Veröffentlichung summierten sich die Beziehenden auf 1,24 Millionen ohne ElterngeldPlus, und mit auf insgesamt 1,85 Millionen.
In der nun von den Sparplänen betroffenen oberen Einkommensgruppe mit einem durchschnittlichen monatlichen Erwerbseinkommen vor der Geburt von netto 2.770 Euro und mehr zählte das Amt 2022 rund 290.000 Beziehende insgesamt für Deutschland – davon 154.000 Männer und 136.000 Frauen. Männer dominieren die Spitze. Schon in der Einkommensgruppe darunter (2.000-2.770 Euro) überwiegen die Frauen mit 226,5 Millionen vor 163.000 männlichen Empfängern.
Wer sind die Leidtragenden?
Rein statistisch und im Durchschnitt kamen männliche Elterngeldnutzer 2022 auf einen monatlichen Anspruch von 1.345 Euro, Frauen auf 950 Euro. In der Praxis wird die geplante Einschränkung in der Regel typischerweise Akademiker-Paare betreffen. Das IW reiht diese Partner an der Schwelle von 75.000 Euro zu versteuerndem Einkommen nicht nur bei den Großverdienern, sondern auch in der Mittelschicht ein.
Außerdem kommt die Kürzung wohl in erster Linie bei Vätern zum Tragen. Der Vorwurf, die Grünen strafen gut ausgebildete Frauen ab, ist somit schwer zu belegen. Denn elternzeitnehmende Männer liegen mit einem hohem Voreinkommen in der Topliga eindeutig vorne: Von allen, die den höchstmöglichen Elterngeldsatz von 1.800 Euro pro Monat beziehen, sind mehr als 60 Prozent Männer. Ganz im Gegensatz zu allen anderen Einkommensgruppen, in denen die Beteiligung der Männer an der Babybetreuung immer noch äußerst niedrig ist. Auf einen „Papamonat“ kommen im Schnitt zwölf „Mamamonate“.
Einem findigen Beobachter kann zudem auffallen, dass die Kappungsgrenze von den Grünen möglicherweise nicht zufällig bei 150.000 Euro gezogen wurde. Auf diese Weise nämlich liege ein Lehrerehepaar mit zweimal der Besoldungsgruppe A14 gerade so eben darunter. Da Beamte nicht dem Sozialversicherungsabzug unterliegen, haben sie zudem ein höheres Nettoeinkommen als außerhalb des Staatsdienstes – sprich ein höheres Elterngeld.
Bezugsdauer
Zugleich zeigen Männer bei der geplanten Bezugsdauer des Elterngeldes weiter sehr geringen Ehrgeiz und Einsatz. Während sie bei den Frauen im Jahr 2022 (wie schon im Vorjahr) bei 14,6 Monaten lag, strebten die Männer mit durchschnittlich 3,6 Monaten eine deutlich kürzere Zeitspanne an.
Nur etwa jeder zehnte Vater nimmt mehr als die zwei „Vätermonate“ in Anspruch. Von knapp 500.000 der männlichen Beziehenden planten mehr als 340.000 sogar nur bis zu zwei Monate – und das größtenteils zeitgleich mit der Partnerin. Pikant dabei: Nur wenn beide Elternteile mindestens zwei Monate Elterngeld beziehen, sind am Ende zwei zusätzliche Elterngeldmonate drin.
Allerdings nimmt der alleinige Elterngeldbezug von Vätern kontinuierlich zu. Im 13. und 14. Lebensmonat des Kindes ist der Anteil der Väter mit alleinigem Bezug mit etwa 20 Prozent am höchsten. Zugleich nutzen viele Mütter nach dem Auslaufen ihres Elterngeldanspruchs weiter unbezahlte Elternzeit, die sie wiederum gemeinsam mit dem Partner verbringen.
Gleichstellungsfortschritte
Auch dank anderer familienpolitischer Maßnahmen wie dem Kita-Ausbau kehren Mütter seit der Elterngeldeinführung häufiger und früher nach der Geburt wieder in den Arbeitsmarkt zurück, stellte 2022 eine Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) fest. „In Verbindung mit anderen politischen Maßnahmen, etwa zur Verbesserung der Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur und der Situation von Eltern am Arbeitsmarkt, hat das Elterngeld zu einer größeren Erwerbsbeteiligung von Müttern auch kleiner Kinder geführt“, so das Fazit.
Mehr Frauen arbeiten, mehr Väter engagieren sich. Laut Statistischem Bundesamt stieg die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter drei Jahren zwischen 2007 und 2019 von 43 auf 56 Prozent an. „Trotzdem erfahren Mütter nach der Elternzeit Rückgänge im Berufsprestige“, heißt es einschränkend, während sich bei Vätern – auch nach längeren Elternzeiten – eher Anstiege zeigten. Die Analyse stellte indes auch im nachhaltigen Verhalten von Vätern Veränderungen fest: Väter, die mindestens drei Monate Elternzeit genommen haben, beteiligen sich deutlich stärker an der Sorgearbeit als andere –insbesondere bei der Kinderbetreuung.