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Andreas Peichl Elterngeld: „Elitendiskussion, ja – aber es gibt tatsächlich bessere Lösungen“

Antrag auf Elterngeld dürfen bald wohl nur noch Menschen stellen, deren Haushaltseinkommen 150.000 Euro nicht übersteigt
Antrag auf Elterngeld dürfen bald wohl nur noch Menschen stellen, deren Haushaltseinkommen 150.000 Euro nicht übersteigt
© IMAGO/Steinach
Ab einem Haushaltseinkommen von 150.000 Euro soll es bald kein Elterngeld mehr geben. Das trifft zwar hauptsächlich reiche Menschen, meint Ifo-Ökonom Andreas Peichl – doch die Maßnahme ist zu kurzfristig gedacht

Herr Peichl, das Elterngeld soll ab einer Einkommensgrenze von 150.000 Euro entfallen. Der Aufschrei in den betroffenen Kreisen ist groß. Aber: Ist das nicht Meckern auf hohem Niveau – eine Elitendiskussion?
ANDREAS PEICHL: Wenn man auf die Zahlen schaut, ganz bestimmt. Wir reden bei einer Kappungsgrenze von 150.000 Euro über einen Bevölkerungsanteil von zwei bis drei Prozent – potenziell etwas mehr, wenn man den akademischen Nachwuchs schon hinzuzieht. Verlierer dieser Reform wären ganz klar reichere Haushalte.

Ist die Mittelschicht also nicht in Gefahr, so wie die Kritikerinnen und Kritiker jetzt behaupten?
Bei vielen geraten die Begriffe „Mittelschicht“ und „Mittelstand“ etwas durcheinander. Die Mittelschicht ist nach den Kriterien der OECD ziemlich klar definiert. In Deutschland gehört ein Single zum Beispiel ab einem jährlichen Nettoeinkommen von mehr als 46.000 Euro zur Oberschicht. Das entspricht nur etwa acht Prozent der Bevölkerung. Die klassische Mittelschicht liegt eher zwischen 25.000 und 40.000 Euro. In Deutschland wird aber häufig vom Mittelstand gesprochen. Das sind eigentlich diejenigen Menschen, die hinter den großen nicht-börsennotierten Familienunternehmen stehen. Da reden wir über Firmen mit Millionen- und Milliardenumsätzen. Und das meinte Friedrich Merz wahrscheinlich auch, als er sich selbst als „gehobene Mittelschicht“ bezeichnet hat.

Was wären aus Ihrer Sicht jetzt die Folgen der Reform?
Es könnte zu einer Umkehr der Errungenschaften führen. Die Einführung des Elterngeldes hat dazu geführt, dass Frauen schneller in den Beruf zurückgekehrt sind – vor allem, weil sie von den Männern besser unterstützt werden können. Es hat sich gezeigt, dass auch sehr gut verdienende Männer gerne für zwei, drei Monate Elternzeit nehmen. Die Reform hat ihre Auszeit gegenüber dem Arbeitgeber stark legitimiert. Und das andere ist, dass die Fertilität von Frauen tatsächlich gestiegen ist – von 1,36 auf über 1,5 Kinder pro Frau. Diese Steigerung trifft sogar überproportional auf hochqualifizierte Frauen zu, die traditionell eher weniger Kinder bekommen. Das hat bei Ihnen allerdings weniger mit dem finanziellen Anreiz zu tun.

Sondern?
Es macht einen Unterschied, wenn das Kinderkriegen durch verschiedene politische Maßnahmen unterstützt wird. Das ändert auch die Legitimation gegenüber dem Arbeitgeber und setzt gewisse Anreize.

Die Kritik bezieht sich auch auf die strikte Kappung ab einer bestimmten Grenze – in diesem Fall 150.000 Euro. Möglich wären zum Beispiel auch Abstufungen gewesen. Stimmen Sie in die Kritik ein?
Um es deutlich zu sagen: Radikale Kappungen wie hier sind nie sinnvoll. Niemand kann erklären, warum man ab 150.001 Euro kein Elterngeld mehr bekommt – und es setzt auch Anreize, das zu versteuernde Einkommen möglichst niedrig anzusetzen. Wenn ich also schwanger bin und im Dezember merke, dass mein Haushaltseinkommen bei 150.100 Euro liegt, dann kaufe ich mir noch schnell ein Fachbuch – und falle somit wieder darunter. Das wäre ein volkswirtschaftlicher Wohlstandsverlust – eine unnötige Anschaffung zu tätigen, nur um dann wieder Anspruch auf die Transferleistung zu erhalten.

Was schlagen Sie vor?
Eine Variante wäre die angesprochene Abstufung. Eine andere Variante wäre, das Elterngeld ab einem gewissen Einkommen zu versteuern. Oder wir passen etwas bei der Einkommenssteuer an – erhöhen den Steuersatz oder passen den Kinderfreibetrag an. Das wären alles bessere Varianten.

Die Unternehmerin Verena Pausder hat in einem Gastbeitrag für Capital vorgeschlagen, an das Ehegattensplitting ranzugehen. Das fördere zum Beispiel das traditionelle Rollenbild und sorge für viele Probleme, die durch das Elterngeld eigentlich bekämpft werden.
Ja, da hat sie einen Punkt. Man kann das Ehegattensplitting zwar nicht komplett abschaffen, aber man kann es in ein Ehegattenrealsplitting umwandeln. So würde der Splittingvorteil für bestimmte Paare begrenzt werden. Man könnte auch ein Familienrealsplitting einführen, so dass der Vorteil nur für Paare mit Kindern gegeben wird. Auch das könnte zusätzliches Aufkommen bringen, so dass die Bundesregierung nicht ans Elterngeld ran muss. Denn das halte ich wirklich nicht für sinnvoll.

Auf den Punkt gebracht: Könnte man sagen, der Finanzminister hat zwar kurzfristig ein paar Millionen freigeräumt, aber langfristig ein Eigentor geschossen, weil weniger Kinder auf die Welt kommen werden?
Ja, so kann man das sagen. Die Idee ist viel zu kurz gedacht. Dass gespart werden muss, und dafür Vorschläge gemacht werden, ist völlig normal. Aber der Ansatz ist eben der falsche Weg aus meiner Sicht.

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