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Verena Pausder Die Elterngeld-Einsparungen sind für Familien ein Schlag ins Gesicht

Verena Pausder
Verena Pausder
© Patrycia Lukas
Die Koalition will beim Elterngeld sparen – damit würde sie zentrale Wahlversprechen brechen, findet Gastautorin Verena Pausder

Eigentlich wollte die Ampel-Koalition beim Thema Elterngeld vieles besser machen: „Wir werden Familien dabei unterstützen, wenn sie Zeit für Erziehung und Pflege brauchen und dabei Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich aufteilen wollen“ – so stand es im Koalitionsvertrag. Dass die Bundesregierung nun am Montag angekündigt hat, drastische Einsparungen beim Elterngeld im nächsten Haushalt vorzunehmen, ist für viele Familien wie ein Schlag ins Gesicht. Die Grenze, bis zu welchem Einkommen Paare Elterngeld erhalten, soll halbiert werden. Lag die Grenze bisher bei 300.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen pro Paar, soll sie künftig bei 150.000 Euro liegen.

Verena Pausder ist Unternehmerin und Autorin. Sie setzt sich mit dem Verein „Digitale Bildung für alle“ für mehr Chancengerechtigkeit in der digitalen Bildung ein, mit #stayonboard für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und als Co-Gründerin des FC Victoria Berlin für einen starken Frauenfußball. Auf Change.org sammelt sie aktuell Unterschriften gegen die geplanten Einschnitte beim Elterngeld

Diese geplante Kürzung widerspricht allem, wofür die Ampel doch eigentlich stehen wollte: moderne Familienpolitik, Gleichstellung der Geschlechter, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie widerspricht auch der Vorstellung von vielen, was ein lebenswertes Land ausmacht: Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der sich Männer und Frauen nicht zwischen Familie und Karriere entscheiden müssen. In einer Gesellschaft, in der der Staat Familien aktiv unterstützt. In der Paare als Eltern zuversichtlich in die Zukunft schauen. In der Politik verlässlich ist. Und in der klare Anreize geschaffen werden, sich Kinderbetreuung und Care-Arbeit partnerschaftlich aufzuteilen. All diese Vorstellungen würden mit der geplanten Einsparung zunichtegemacht. Deshalb ist der Protest dagegen laut: In weniger als 24 Stunden haben mehr als 80.000 Menschen unsere Petition unterzeichnet.

Viele Familien gehen nach Jahren der Pandemie, in Zeiten von Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit auf dem Zahnfleisch. Es fehlen nach wie vor über 370.000 Kitaplätze. Der Erziehermangel ist überall präsent, der Ganztagsschulausbau stockt. Kurzum: Die Kinderbetreuung ist in Deutschland schon Krisenthema. Jetzt überhaupt über Kürzungen des Elterngeldes zu sprechen, egal, wie viele, wenige oder welche Paare davon betroffen sind, ist das absolut falsche Signal. Nämlich: Familien stehen auf der Agenda weit unten.

Die Care-Arbeitsungleichheit würde verstärkt

Das zeigt auch die Debatte um die Kindergrundsicherung – ein zentrales familienpolitisches Vorhaben der Ampel, das völlig ausgebremst wurde. Oder der Fakt, dass die Ankündigung zur Kürzung just in dem Moment kam, als im Petitionsausschuss des Bundestages gerade eine Anhörung über eine geforderte Erhöhung des Elterngeldes stattfand.

Dass jetzt weniger Paare Elterngeldanspruch haben, verstärkt die Care-Arbeitsungleichheit, statt sie zu verringern. Eine partnerschaftliche Aufteilung von Elternzeit zwischen Mutter und Vater wird unattraktiver. Künftig werden Paare noch genauer überlegen müssen, wer wie lange zuhause bleiben kann. Denn mit der Kürzung erhält die Person, die zuhause das Kind betreut, zukünftig Null statt 1800 Euro. Um die Verluste für die Familie möglichst gering zu halten, werden Eltern sich eher dafür entscheiden, dass die Person mit dem niedrigeren Einkommen Elternzeit nimmt. Und das ist auch wegen der Gender Pay Gap in den meisten Fällen nach wie vor die Frau.

Der Aufschrei ist auch so groß, weil die Kürzungen aus dem Nichts kommen. Die Finanzplanung von Paaren, die gerade ein Kind erwarten, wird komplett über den Haufen geworfen. Beim Elterngeld-Höchstsatz von 1800 Euro kommt man bei zwölf Monaten Bezugsdauer auf über 20.000 Euro, mit denen sie gerechnet hatten. Der Eindruck: Auf die Politik kann man sich nicht verlassen. 

Können wir uns die Kürzung leisten?

Einige sagen jetzt: 150.000 Euro zu versteuerndes Einkommen als Paar, damit bräuchte man ja auch keine Unterstützung mehr, das sei eine Reichen-Debatte. Ja, 150.000 Euro gemeinsames Jahreseinkommen sind sehr viel Geld. Aber auch diese Paare würden – gerade bei steigenden Lebenshaltungskosten und Mieten – die Einschnitte stark spüren und ihre Entscheidung, ein (weiteres) Kind zu bekommen, in Frage stellen. Und die wirtschaftliche Abhängigkeit von Frauen, die durch die Verstärkung der Care-Arbeitsungleichheit verschlimmert wird, ist auch bei diesen Paaren ein großes Thema.

Aber selbst wenn man alle Argumente aus Sicht der einzelnen Paare außen vor lassen würde, müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob wir uns diese Kürzung wirtschaftlich leisten können. Das Elterngeld wurde ursprünglich eingeführt, um dem Trend der sinkenden Geburtenrate etwas entgegenzusetzen. 2007, im Jahr der Einführung des Elterngelds, haben Frauen in Deutschland im Schnitt 1,36 Kinder bekommen. 2020 waren es 1,53. Der Anstieg wird auch auf die Einführung des Elterngelds zurückgeführt. In unserer alternden Gesellschaft ist es riskant, den Anreiz, Kinder zu bekommen, wieder zu verringern. 

Es gibt auch Verständnis für die Kürzungen nach dem Motto: Wir stecken in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten, da sind Haushaltskürzungen angebracht und dann betrifft es eben alle Bereiche. Selbst wenn man dieser Logik folgt, kann man aber schon die Frage stellen, ob das Elterngeld – oder auch die ähnlich unter Beschuss geratene Kindergrundsicherung – der richtige Hebel sind. So kostet das Ehegattensplitting 20 Mrd. Euro jährlich, setzt Anreize für eine traditionelle Rollenverteilung und kommt Paaren jeden Alters zu Gute, egal ob sie Kinder haben oder nicht. Mit den geplanten Elterngeld-Kürzungen sollen 290 Mio. Euro eingespart werden – das Ehegattensplitting kostet fast 70 Mal so viel. 

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