Helfen, wenn Unternehmen auf Probleme stoßen – das ist das traditionelle Geschäft von Beratungsfirmen. Die Digitalisierung ist eine Herausforderung, der sich derzeit fast jede Firma gegenüber sieht. Mehr und mehr Kunden wünschen sich Hilfestellung bei Digitalprojekten – auch von der Strategieberatung Roland Berger.
Deren Deputy-CEO und Deutschlandchef Stefan Schaible sowie Tobias Rappers, Geschäftsführer des gemeinsam mit Visa aufgebauten Berliner Digital-Hubs Spielfeld, berichten im Doppelinterview, wie die Beratungsfirma dabei vorgeht, was sie aus der Arbeit an Digitalprojekten gelernt haben, wie die Unternehmen dastehen und was die Politik tun könnte, um Deutschland einen Digitalisierungsschub zu verpassen.
Die Bundesregierung hat bei ihrer Digitalklausur vor drei Wochen erklärt, der digitale Wandel sei für sie jetzt Chefsache. Entspricht das Ihrem Eindruck?
Stefan Schaible: Das Thema steht jetzt ganz oben auf der Agenda und das finde ich gut. Wenn wir in Deutschland etwas erreichen wollen, können wir das auch hinbekommen – das zeigen die Beispiele des Umbaus der Bundesagentur für Arbeit oder die Öffnung für Private Equity vor einigen Jahren. Ich sehe durchaus die Chance, dass es jetzt genügend kritische Masse für echte Veränderungen gibt. Perspektivisch wünsche ich mir, dass wir in der Bundesregierung die Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt oder ein eigenes Digitalministerium mit einer starken Querschnittskompetenz ausstatten, die der des Finanzministers ähnelt.
Es wäre ja schön, wenn das Thema nun Fahrt aufnähme. Aber wir sind schon reichlich spät dran. Warum haben wir so lange gebraucht?
Schaible: Wenn sie sich Digitalisierungsvorreiter wie Estland oder Island anschauen, dann sind das kleine Länder. In Deutschland gibt es föderale Strukturen. Es wäre naiv zu denken, man könnte im Handstreich große Sprünge machen – und wir haben auch eine Kultur, die Reformen nicht unbedingt belohnt. Die letzte Regierung, die sich an große Veränderungen gewagt hat, wurde abgewählt. Das haben sich die Parteien gemerkt. Es ist aber auch nicht so, als ob wir in der Welt für immer den Anschluss verloren hätten. Aber wir müssen jetzt halt in die Gänge kommen.
Und in den Unternehmen? Ist Digitalisierung da Chefsache?
Schaible: Klares Ja. Das ist bei den großen Unternehmen und auch bei den führenden Mittelständlern der Fall. Die Firmen haben erkannt, dass ihnen digitale Plattformen den direkten Zugang zum Kunden streitig machen. Das ist unumkehrbar und es zwingt Unternehmen, künftig immer wachsam zu bleiben. Mir hat letztens ein Unternehmensvertreter gesagt, seine Firma hätte die Digitalisierung jetzt durch. Da musste ich widersprechen: Digitalisierung der Geschäftsmodelle ist eine "permanente Revolution", die ständig Veränderungen von den Unternehmen einfordert.
Tobias Rappers: Man muss von Industrie zu Industrie unterscheiden. Die Automobilbranche ist bereits stark unter Druck. In anderen Bereichen wie dem Gesundheitssektor schützen Regulierung und Datenschutz die etablierten Unternehmen noch ein wenig mehr.
Gibt es Leitsätze, an denen sich Unternehmen egal welcher Branche orientieren können?
Rappers: Auf jeden Fall. In erster Linie muss man für kontinuierliches Lernen offen sein. Der immer schneller werdende technologische Wandel zwingt uns alle zu mehr Wissensaufnahme und -austausch. Industriegrenzen verschwimmen und Innovationen entstehen oft an den Schnittstellen. Organisationen müssen Ökosysteme aufbauen und lernen in Partnerschaften zu arbeiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zweitens muss man seine Mitarbeiter mitnehmen. Innovation braucht eine Bereitschaft für Veränderung. Und Veränderung verursacht häufig Ängste. Diese den Mitarbeitern zu nehmen und Neugierde zu wecken ist eine oftmals unterschätzte Aufgabe. Drittens braucht es eine klare Bereitschaft, Routinen und Strukturen zu überdenken, Neues auszuprobieren, zu testen, was funktioniert.
Schaible: Die Leute mitzunehmen ist zentral. Hier kann man von der Energiebranche lernen. Viel zu lange war noch die Einstellung verbreitet, erneuerbare Energien seien der Gegner – so wurden Geschäftsmodelle zu spät gedreht.
Herr Schaible, Sie haben mit Roland-Berger-CEO Charles-Edouard Bouée ein Buch herausgegeben, in dem es um die Frage geht: Wie kann man großen Organisationen wieder Gründergeist einpflanzen. Ist das eine notwendige Voraussetzung, um die Digitalisierung stemmen zu können, oder ist das ein Bonbon für die richtigen Vorreiter?
Schaible: Unternehmerische Neuerfindung ist auch in Sachen Digitalisierung notwendig. Es müssen aber nicht alle Unternehmen die First Mover sein. Doch alle müssen in der Lage sein, Elemente ihres Kerngeschäfts fundamental in Frage zu stellen. Die Digitalisierung erhöht die Notwendigkeit, sich zu verändern und das auch in forcierter Geschwindigkeit. Hierbei zu unterstützen ist ein wesentlicher Teil unseres Geschäfts.
Sehen Sie Beispiele, wo das erfolgreich eingelöst wird?
Schaible: Die deutsche Automobilbranche hat den Schuss teilweise spät gehört, aber sie wird die Transformation schaffen. Diese Wette gehe ich ein – auch wenn die Herausforderungen groß sind.
Rappers: Große Konzerne brauchen hier oft einen längeren Vorlauf. Einige familiengeführte Mittelständler schaffen den Wandel besser, weil in ihrer DNA Unternehmergeist steckt und sie schneller umsetzen können.
Wie steht Digital-Deutschland insgesamt da?
Schaible: Wissen Sie, es wird immer über die Überlegenheit internationaler Tech-Konzerne wie GAFA oder den chinesischen Unternehmen geklagt. Das klingt dann so, als würden diese Unternehmen für die nächsten hundert Jahre eine Monopolstellung einnehmen – und gleichzeitig dreht und ändert sich alles immer schneller. Das ist, würde Habermas sagen, ein performativer Widerspruch. Wer weiß denn schon, wie die nächste technologische Neuerung die Balance wieder verschiebt? Was uns gut tun würde: eine Mischung aus Kreativät, mutiger Veränderungsbereitschaft und ein wenig Gelassenheit.
Wird sich das wirklich von alleine auspegeln – oder sollte die Politik eingreifen?
Schaible: Wenn es so sein sollte, dass die Amerikaner nichts regulieren, dann müssen wir uns als Europäer eben überlegen, ob wir die großen Tech-Konzerne nicht dazu verpflichten, jeden zweiten Tag einen Abzug ihrer Daten unserer Industrie zur Verfügung zu stellen. Das ist klassische Wettbewerbspolitik. Monopole in Bezug auf Kundendaten können nicht im Sinne eines fairen und marktwirtschaftlichen Wettbewerbs sein. Ich gehöre auch zu denen, die die DSGVO nicht nur schlecht finden, auch wenn sie mich als Unternehmensverantwortlichen Nerven gekostet hat. Aber bestimmte Standards abzusichern, das wird sich auszahlen und das hat auch eine industriepolitische Dimension, wenn man es konsequent durchsetzt. Wir haben in Deutschland eine starke produzierende Industrie, die besten Ingenieure. Wir wissen, wie man erstklassige Produkte baut – wir sind noch gut aufgestellt. Wenn wir aufpassen, dass uns die Kundenschnittstelle nicht abhanden kommt, dann ist noch lange nicht entschieden, wie dieses Rennen ausgeht.
Mit welchen konkreten Schritten kann ein Unternehmen agiler werden, seine Kultur verändern? Reicht es, wenn man die Krawatte abschafft und junge Leute in Hoodies rumlaufen?
Rappers: Natürlich nicht. Es bedarf einer ganzheitlichen Herangehensweise. Kulturwandel muss immer auch von oben kommen und authentisch gelebt werden. Man muss erlauben, dass Fehler gemacht werden dürfen, und gleichzeitig Erfolgserlebnisse schaffen, die intern motivieren. Das ist eine der großen Aufgaben unseren Digital Hubs. Mitarbeiter aus etablierten Unternehmen arbeiten hier an konkreten Initiativen, an einem neuen Produkt oder Geschäftsmodell. Wir helfen bei der erfolgreichen Umsetzung und dabei, die Ergebnisse zurück in die Organisation zu integrieren. Dabei ist es natürlich wichtiger, crossfunktional und partnerschaftlich zu arbeiten als einen Hoodie zu tragen.
Der Hub, den Sie 2016 mit Visa gestartet haben, heißt Spielfeld. Das klingt einerseits passend, nach Ausprobieren und Tüfteln. Aber es schwingt auch mit, dass hier nur herumgespielt wird – ein Vorwurf, der vielen Digitallaboren gemacht wird.
Schaible: Was uns von anderen Hubs unterscheidet, ist, dass wir mit Spielfeld ein Ökosystem geschaffen haben, das von Anfang an als Netzwerk und Kooperationsplattform angelegt ist. Wir machen das nicht alleine, sondern kooperieren mit Visa. Seit Tag eins mischen auch andere Mitspieler wie Unternehmen aus den unterschiedlichsten Industrien und Start-ups mit. Anders als unsere Wettbewerber bringen wir nicht nur die Kompetenz unserer Berater, sondern auch die Fähigkeiten dieser Mitspieler auf der Plattform ein. Spielfeld ist eine organisierte Schnittstelle, an der Innovation entzündet und katalysiert werden kann, weil wir aus dem Ökosystem viele unabhängige Impulse einbringen – aber im Team auch direkt umsetzen.
Was heißt das konkret?
Schaible: Das heißt, dass wir im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern schon lange auch bei Kundenprojekten mit Partnerunternehmen arbeiten – denn wir glauben nicht, dass wir als Roland Berger alle Wertschöpfungsschritte alleine am besten können. Software zu programmieren oder operative IT-Implementierung machen wir bei Piloten auch – das ist und soll aber nicht unsere Kernkompetenz sein, hierzu binden wir Partner ein. Das bringt für unsere Kunden die besten Ergebnisse.
Rappers: Wir nutzen Inspiration Sessions, Design Sprints oder Hackathons, um zum Beispiel in kürzester Zeit Prototypen oder sogenannte Minimum Viable Products zu entwickeln. So entstehen neue Produkte, Services und Geschäftsmodelle, die zur Strategie des Unternehmens passen. Um zu verdeutlichen, wie attraktiv unser Ökosystem hier ist: Spielfeld hat allein im vergangenen Jahr Geschäfte in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags an Partnerfirmen vermittelt.
Viele Gründer sind von der Idee, Start-ups und etablierte Unternehmen zusammenzubringen, zunehmend genervt – sie fühlen sich wie im Zoo und echte Umsätze kommen selten dabei heraus. Was haben die Start-ups bei Ihnen davon?
Rappers: Start-ups sind im Spielfeld nicht Mittel zum Zweck, damit wir hier eine coole Atmosphäre haben. Wir schaffen ihnen Mehrwert: nämlich einen moderierten Zugang zu unseren Kunden. Das ist der große Unterschied zu den "Zoobesuchen". Wenn wir mit einem Konzernvorstand über ein ganz konkretes Problem sprechen, können wir das richtige Start-up suchen, das es lösen kann. Im Spielfeld bringen wir Kunden und Start-ups auf Augenhöhe zusammen – also echte Kooperation statt Zoobesuch. Sonst würden beide Seiten das auch nicht so annehmen.
Im Spielfeld geht es auch um das Bauen von Prototypen. Ist der Schritt hin zur tatsächlichen Umsetzung ein Paradigmenwechsel für eine Beratungsfirma?
Schaible: Wir hatten als Roland Berger schon immer den Ruf sehr umsetzungsstark zu sein. Aber was die neuen Methoden angeht, ist es durchaus eine Herausforderung. Unsere Mitbewerber machen das ja anders, die gehen zunehmend in die Vertikalisierung des Geschäfts. Was allerdings nicht ganz einfach ist, denn IT-Implementierung ist niedrigmargiger, man muss Entwickler einstellen, das sind vollkommen andere Leute. Wir brauchen keine eigenen Implementierer, wir müssen das aber konzeptionell und technisch verstehen und dann wird das mit Partnern umgesetzt.
Rappers: Dazu kommt, dass die besten Programmierer und Designer nicht immer Lust haben, bei Beratungen zu arbeiten, denn die Kulturen sind schon sehr unterschiedlich. Aber über den Partneransatz haben wir trotzdem Zugang zu Ihnen.
Wie glaubhaft und glaubwürdig können Unternehmensberatungen eigentlich zu Digitalisierung Ratschläge geben?
Schaible: Das ist in der Tat nicht ganz so einfach und eine große Herausforderung für alle Beratungen: Wir haben aber in den letzten Jahren massiv Digitalkompetenzen aufgebaut. Jeder, der bei uns anfängt, lernt, worauf es in den Digitaldisziplinen ankommt. Aber nicht nur bei den Anforderungsprofilen hat sich etwas verändert, sondern auch bei der Durchlässigkeit unserer Organisation. Wer uns verlässt, um ein Start-up zu gründen, kann auch wieder zurückkommen – sei es als Kollege oder Partner in unserem digitalen Ökosystem. So sind wir immer vorne mit dabei.
Herr Bouée will Roland Berger selbst auch zu einem agileren Unternehmen machen. Wie weit sind sie da? Problem erkannt, Umsetzung begonnen?
Schaible: Charles-Edouard hat die richtigen Impulse gesetzt, die Kolleginnen und Kollegen sind schon ein gutes Stück des Weges gegangen. Auch für uns bleibt diese permanente Revolution eine Herausforderung. Aber wir haben das ganz gut im Griff.