Blockchain, Libra, digitales Zentralbankgeld und E-Euro, Peer-to-Peer-Lending, Echtzeitüberweisungen, kontaktlose Bezahlung – der Zahlungsverkehr steht vor tiefgreifenden Umwälzungen. Grob lassen sie sich in drei Kategorien einteilen:
- Erstens eine zunehmende Bedeutung von elektronischen Zahlungsformen.
- Zweitens die Überlegungen, traditionelle Bankeinlagen durch Kryptowährungen wie die „Facebook-Währung“ Libra oder einen ähnlichen Ansatz des russischen Chatanbieters Telgram zu ersetzen. In eine ähnliche Richtung zielt etwa die Idee, generell die Einrichtung von Konten bei der Zentralbank zuzulassen (E-Euro), statt diese auf Geschäftsbanken zu beschränken.
- Drittens die Möglichkeit, Kreditprozesse statt über Banken eher über elektronische Kreditplattformen laufen zu lassen.
Klar ist zunächst einmal nur, dass neue technische Möglichkeiten die Art, wie wir künftig mit Geldzahlungen als Bürger umgehen, revolutionieren könnten. Und dass all diese technischen Möglichkeiten das bislang bekannte Bankgeschäft nachhaltig umkrempeln könnten. Somit stellt sich die Frage, welche Rolle in dieser „neuen Welt“ die Geschäftsbanken aber auch die Zentralbanken übernehmen können.
Neue Rolle für Zentralbanken
Wir konzentrieren uns hier auf den Vorschlag, wonach jedem Wirtschaftssubjekt die Möglichkeit eröffnet werden soll, direkt Einlagen bei der Zentralbank zu halten. In der extremen Form der „Vollgeld-Initiative“ wäre dies sogar verpflichtend, da traditionelle Bankeinlagen nicht mehr zulässig wären.
In einem weniger extremen Fall würden Geschäfts- und Zentralbank parallel Girokonten anbieten, stünden also in Konkurrenz um Kundeneinlagen zueinander. Es ist eine offene Frage, ob die Zentralbank sich dann nur um die Kontoführung oder auch die Abwicklung des Zahlungsverkehrs kümmern würde.
Die sich unmittelbar hieran anschließende Frage wäre dann natürlich, wie sich die Passivseite der Geschäftsbanken organisieren ließe. Theoretisch ist dies relativ leicht zu beantworten. Die gleiche Rolle, die heute Bankeinlagen spielen, könnte auch von Zentralbankausleihungen übernommen werden. In der Praxis gestaltet sich das weitaus schwieriger, da in einer halbwegs realistischen Darstellung des Kredit- und Geldschöpfungsprozesses im gesamtwirtschaftlichen Kontext Aktiv- und Passivseite ja durchaus miteinander interagieren. Bundesbankpräsident Weidmann umreißt das Problem wie folgt :
„Erstens [könnte] digitales Zentralbankgeld für jedermann die Geschäftsmodelle von Banken und die Intermediation auf Finanzmärkten grundlegend verändern. Zweitens könnte die Nachfrage nach digitalem Zentralbankgeld größer oder volatiler sein als jene nach Bargeld mit entsprechenden Effekten auf die Bilanz der Notenbank. Und drittens wäre die Finanzstabilität im Krisenfall womöglich stärker gefährdet als heute, da mit digitalem Zentralbankgeld eine zusätzliche, sehr liquide und sichere Anlagealternative bestünde. Deshalb könnten sowohl „Flucht in Sicherheit“ im Allgemeinen als auch ein digitaler Bank Run im Speziellen schneller und in größerem Umfang ablaufen als in der Vergangenheit.“
Zahlungsverkehr ist alles andere als dröge
Entsprechend müsste sich auch die Rollenzuschreibung der Zentralbank in einem solchen System grundlegend verändern. Etwa indem die Rolle des „Kreditgebers der letzten Instanz“ weit über den Geschäftsbankensektor hinaus ausgeweitet wird. Ein Ansatz hierzu findet sich etwa im Frankreich des 19. Jahrhunderts mit einem speziellen Kreditfenster für Nicht-Banken.
Bislang kannten wir Zahlungsverkehr als ein relativ dröges Geschäft. Doch in Zeiten technologischer Umbrüche und digitaler Transformation sieht es nun danach aus, als sei er alles andere als das.
David Milleker ist Senior Economic Advisor bei Union Investment, einer der größten deutschen Fondsgesellschaften. Sie gehört zur genossenschaftlichen Finanzgruppe. Hier lesen Sie weitere Kolumnen von David Milleker