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Kolumne Warum ein Brexit auf Bestellung nicht funktionieren kann

Arg zerzaust der Union Jack: Großbritannien findet den Ausgang aus der EU nicht
Arg zerzaust der Union Jack: Großbritannien findet den Ausgang aus der EU nicht
© Sabine Lange / Pixabay
In wenigen Wochen wählen die Briten ein neues Parlament. Doch selbst wenn die konservativen Brexit-Befürworter eine Mehrheit bekommen, den einfachen Ausstieg wird es nicht geben. David Milleker über falsche Erwartungen

Am 12. Dezember 2019 dürfen die britischen Wähler ein neues Unterhaus wählen. Es ist die dritte Neuwahl seit 2015, bei der dann auch Europa ein ganz wesentliches Thema sein wird. Zur Erinnerung: 2015 wollte der damalige Premier David Cameron im Falle eines Wahlsiegs das Verhältnis zur EU neu aushandeln und anschließend in einem Referendum über den Verbleib bestätigen lassen. Er bekam zwar seine Mehrheit, doch beim Referendum dann ein Ergebnis, das er sich so sicher nicht gewünscht hatte.

Seit dem Referendum am 23. Juni 2016 sind mehr als drei Jahre vergangen, die deutlich gemacht haben, dass man politisch nicht einfach einen Brexit bestellen kann, der dann zügig geliefert, will heißen: umgesetzt wird. Dazu steckt der Teufel zu sehr im Detail, was schon bei der Frage beginnt, was man unter einem Brexit versteht. Das gilt selbst für den Fall, dass aus den Neuwahlen Boris Johnson als Weihnachtsgeschenk eine eigene, konservative Parlamentsmehrheit erhält und dann noch vor dem Fest den Scheidungsvertrag mit selbiger ratifizieren kann.

Die schwierigen Verhandlungen kommen erst noch

An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass der Scheidungsvertrag nur die erste von zwei Prozessstufen darstellt. Die Klärung der künftigen Beziehungen steht dann noch aus. Die Frage des Zollregimes ist hier nur eine. Weit wichtiger und komplexer ist die Frage von Produktstandards und wechselseitiger Normanerkennung. Dies ist die Crux aller modernen Handelsverträge, weil nur hierdurch Skaleneffekte realisiert werden können. Natürlich kann man für einzelne Märkte differenzierte Produkte herstellen. Allerdings entsprechend kleinteiliger und dann auch teurer.

Für die britische Wirtschaft ist hier auch die Frage von enormer Bedeutung, ob das Abkommen über die künftigen Beziehungen auch das Thema Dienstleistungen in Richtung Binnenmarktzugang mit abdeckt oder ob sich das Abkommen ausschließlich auf den Güterhandel bezieht. Dass sich hier bis Ende 2020 eine umfassende Einigung finden lässt, darf vor dem Hintergrund mehrjähriger Verhandlungsfristen beim Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) getrost bezweifelt werden.

Natürlich ist der Fall einer eindeutigen, konservativen Regierungsmehrheit mit schneller Ratifizierung des vorliegenden Scheidungsvertrags die positive Variante. Bei den jetzt anstehenden Neuwahlen reden wir aber über ein Spiel mit recht vielen Unbekannten. Die gegenwärtigen Umfragen legen einen Vorsprung der Tories von 4 bis 16 Prozentpunkten vor Labour nahe. Das würde tatsächlich für eine moderate bis deutliche Regierungsmehrheit sprechen.

Die Unwägbarkeiten des britischen Wahlrechts

Das britische Mehrheitswahlrecht begünstigt allerdings eine hohe regionale Konzentration der Wählerstimmen. So gewannen bei den Unterhauswahlen 2017 die schottischen Nationalisten bei einem Stimmengewicht von national 3 Prozent 35 Abgeordnete, die Liberaldemokraten bei einem Stimmgewicht von 7,4 Prozent gerade mal 12. Die Umrechnung von Wahlumfragen in Parlamentssitze wird auch dadurch erschwert, dass die Meinungsforschungsinstitute die Befragungsrohdaten um statistische Faktoren korrigieren, welche die Wahlbeteiligung einzelner Gruppen abbilden. Diese haben sich jedoch jüngst als hochgradig instabil erwiesen, was auch zu den überraschenden Wahlergebnissen 2015 und 2017 erheblich beigetragen hat.

Das britische Mehrheitswahlrecht kann auch dazu führen, dass sich ähnlich ausgerichtete Parteien gegenseitig die Stimmen wegnehmen, so dass ein lachender Dritter gewinnt. Wer keinen Brexit will, müsste eigentlich Labour wählen, das nur einen weichen Brexit will. Nicht jedoch das Original der Liberaldemokraten, die das Austrittsreferendum schlicht ignorieren wollen. Sonst besteht die Gefahr, dass der Wahlkreis an die Konservativen fällt. Umgekehrt könnte Nigel Farage mit seiner Kritik an Johnsons Austrittsvertrag („This is no Brexit“) diesen den Sieg kosten. Taktisches Wählen wäre also Trumpf. Allerdings ist offen, in welchem Ausmaß es dann tatsächlich stattfindet.

Eine politische Entscheidung von großer Tragweite wie den Brexit per Referendum zu bestellen, ist somit etwas vollkommen anderes, als sich ein Paket im Internet zu bestellen. Zum einen stellen sich hier deutlich mehr Abwägungsfragen, die weit über ein einfaches Ja oder Nein auf dem Stimmzettel hinausgehen. Das ist auch eine Mahnung an die Befürworter von Referenden. Zum anderen dürfte es sich hier dann auch eher um die Kategorie Überraschungspaket handeln, das man bei Nichtgefallen nicht einfach zurückschicken kann.

David Milleker ist Senior Economic Advisor bei Union Investment, einer der größten deutschen Fondsgesellschaften. Sie gehört zur genossenschaftlichen Finanzgruppe. Hier lesen Sie weitere Kolumnen von David Milleker

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