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Horst von Buttlar Die Ampel-Koalition ist kein Salatkopf

Schlagzeilen britischer Zeitungen am Tag nach dem Rücktritt von Liz Truss
Liz Truss ist bald Geschichte. Das Comeback von Boris Johnson könnte der nächste Akt im britischen Regierungsdrama sein
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | David Cliff
Das Chaos in Großbritanniens Regierung ist eine historische Selbstdemontage - und hält einige Lehren für Deutschland bereit

Man sollte erst einmal festhalten: Unsere Bundesregierung hält länger als ein Salatkopf. Im Grunde kann man sogar sagen: Wir werden richtig gut regiert.

Und ich sage das ohne Häme, ohne jenes Wort, das die Briten aus unserem Sprachschatz so gerne übernehmen: Schadenfreude.

Was sich in Großbritannien abspielt, ist ein beispielloses Debakel, eine Implosion von Führung und die Selbstdemontage einer Regierung nach nur 44 Tagen. Eine Amtszeit als kurze Chronik eines angekündigten Todes. Und schon dieses Flackern von Regieren unter Liz Truss kam nach einer turbulenten Phase unter Boris Johnson (dessen mögliches Comeback bereits unter dem Schlachtruf „Bring Boris Back“ läuft).

Neuwahlen sind notwendig

Auf Chaos folgte noch mehr Chaos, und es war die Boulevardzeitung „Daily Star“, die die Zerfallserscheinungen in ihrer Wette auf den Punkt brachte: Sie hatte einen Salatkopf, hübsch inszeniert und verkleidet, per Webcam ins Rennen geschickt mit der Frage: Wer hält länger durch? „Lettuce celebrates victory as Prime Minister Liz Truss resigns”, meldete die Daily Star gestern. Neuwahlen wären jetzt eigentlich der einzig denkbare Weg.

Man kann an den Briten bewundern, dass sie auch in dunklen Stunden ihren Humor pflegen. Und man könnte einfach nur laut lachen, wenn alles nicht so ernst wäre. Diese Regierung hat innerhalb von wenigen Wochen in historischem Ausmaß Vertrauen verspielt und zerstört, Vertrauen in die Zukunft Großbritanniens, die Stabilität der Wirtschaft und in die Währung. Es wird schwer, das alles zu reparieren, wenn eine Partei an der Macht ist, die nur noch die Angst vor dem Untergang eint. „Welcome to Britaly“, titelte der „Economist“ in Anspielung auf italienische Verhältnisse. Aber ist dies nicht inzwischen eine Beleidigung für die Italiener?

Wir Deutsche wähnen uns ja schon in einer Krise, wenn der Kanzler ein Machtwort sprechen muss, ob nun zwei oder drei Atommeiler am Netz bleiben. Ein bisschen Basta von Olaf Scholz reicht, und der Frieden ist wieder hergestellt. Der Gebrauch der „Richtlinienkompetenz“ als kleines Krisentheater, als Inszenierung von Führung.

Drei Lehren

Das hält uns freilich nicht davon ab, auch allerlei unvernünftige Dinge zu tun. Der Blick in die Abgründe in anderen Ländern bringt uns keine Sicherheit. Aber Vernunft und Verantwortung sind bei uns gottlob noch in der Mehrheit und zerfallen nicht, auch wenn der Zauber dieser Ampel längst zerstoben ist.

Die Krise in Großbritannien hält indes noch weitere Lehren bereit:

  1. Das Vertrauen in die Stabilität kann kippen: Es waren die Finanzmärkte, die nach dem forschen „Thatcher Reloaded“-Programm von Liz Truss als erstes den Daumen senkten. Das Pfund schlug aus wie die Gamestop-Aktie, die Bank of England musste intervenieren. Hieß es nicht seit Jahren, die Höhe von Schulden und Defiziten sei quasi egal, vor allem, wenn man Herr über die eigene Währung ist? Das ist widerlegt. Deutschland kann noch Sonderhaushalte in dreistelligen Milliardendimensionen ausrufen (und zwar mehrmals pro Jahr). Aber aus fiskalischer Stärke wird bei uns zu oft Halbstärke: Wir können uns locker alles leisten! Wir bekommen Geld geschenkt! Wir sollten froh sein, dass wir die fiskalischen Spielräume gerade haben. Aber es ist mitnichten so, dass fiskalische Disziplin – oder besser: Führung – egal ist.
  2. Das Versprechen von vermeintlich einfachen Lösungen ist verführerisch, aber führt zu kurzen Halbwertszeiten. Die Torys reiben sich seit Jahren daran auf, zuvorderst mit ihrem Kernversprechen, dass man außerhalb der EU besser dran sei („get back control“). Der Untergang nach dem Austritt ist zwar nicht eingetreten, die Folgen des Brexits aber sind spürbar, selbst wenn sie seit Corona im großen Schlamassel untergehen. Immerhin: Brüssel ist diesmal nicht schuld; was die Truss-Regierung nicht von Verschwörungstheorien abhielt. Hinter den Turbulenzen an den Märkten stecke eine „anti-growth coalition“, schimpfte Truss, aus linksliberalen Intellektuellen, die in ihren Townhäusern im Norden Londons lebten. Darauf muss man erst mal kommen. Auch bei uns spuken Versprechen einfacher Lösungen herum, am linken und rechten Rand: Nämlich jene, dass man sich aus dem Ukraine-Krieg hätte raushalten können und künftig sollte, um ungestört billiges Gas und Öl zu beziehen. Dabei wird eine Welt entworfen, die ohne jede Erschütterung durch Krieg und Krisen steuert. Die Frage, wie man eine solche Linie angesichts der Gräuel hätte durchhalten können, wird ausgeblendet: Es zählt „Neutralität“ und die Tugend, ein guter, willfähriger Kunde sein.
  1. Die Energiekrise ist einer der größten Stresstests für Regierungen in Europa seit Jahrzehnten. Denn zieht man mal den Salatkopf ab, hätte jede britische Regierung zu kämpfen gehabt. Die Briten laufen anderen Ländern zeitlich immer etwas voraus: Die Inflation war früher zweistellig, schon Wochen vor Deutschland wurde ein Deckel für die Energiepreise für zwei Jahre beschlossen, was zwischen 100 und 150 Mrd. Pfund kosten sollte. Schon das Ungefähre dieses Rahmens sorgte im September für erste Unruhe an den Märkten. Ein Symptom, das wir auch in Deutschland beobachten können: Wie rufen allerdings erst die Summen aus – 200 Milliarden, der „Doppel-Wumms“ – und machen dann die Pläne, wie wir es ausgeben. Klingt nach Führung, die Olaf Scholz ja gerne liefert. Übrigens: 81 Prozent der Deutschen haben nicht verstanden, was der Kanzler mit Doppel-Wumms meinte, so eine Forsa-Umfrage in Auftrag von n-tv und RTL.

Wir sind gottlob weit entfernt von Salatköpfen, man sollte sich das in Erinnerung rufen, wenn man Kritik an der Regierung übt – die mitnichten die schlechteste aller Zeiten ist, wie die CDU skandiert. Man kann die Ampel mit dem Spektakel, das sich in London abspielt, überhaupt nicht vergleichen. Aber die Lehren und Warnschilder sind wichtig. Denn: 68 Prozent der Bundesbürger finden laut der Forsa-Umfrage, der Ampel-Regierung fehle eine „durchdachte Strategie, um die Energiekrise zu bewältigen und die Belastung für die Bürger in Grenzen zu halten“. Insofern ist die Laufzeitverlängerung der drei Atommeiler bis April, als Showdown mit Kanzlermachtwort uns präsentiert, eben genau das nicht: eine durchdachte Strategie.

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