das muss man erst einmal hinbekommen: Die Bundesregierung schnürt das wohl größte Hilfspaket in der Geschichte dieses Landes und die Freude ist verhalten und leicht verwirrt, weil keiner so richtig durchblickt. Irgendwie gibt es einen Abschlag zu Weihnachten und der Rest kommt im Frühjahr, und die Industrie, immerhin, wurde auch nicht vergessen.
Historisch hoch und eigentümlich zugleich ist diese Gaspreisbremse: historisch, weil noch nie so viel Geld (96 Mrd. Euro) für im Grunde eine gezielte Maßnahme (Entlastung beim Gaspreis) in einem begrenzten Zeitraum ausgegeben wurde. Und eigentümlich ist, dass keine Welle der Erleichterung durchs Land rollt, kein Stoßseufzer der Befreiung, sondern Gemurmel und Gerechne über das, was nun kommt.
Entlastung in zwei Stufen
Geraune gibt es auch, dass nicht einmal alle Mitglieder der Expertenkommission, die unter dem Vorsitz von Veronika Grimm die Ideen zusammengesammelt hat, sich sicher sind, was schlussendlich nächtens in das Papier geschrieben wurde. Es kursieren mindestens zwei unterschiedliche Versionen der Empfehlungen, und dazu Erzählungen über späte einsame Änderungen ohne allgemeine Rücksprache.
Nun denn: Ob Villa oder Zwei-Zimmer-Wohnung, der Staat entlastet nach diesen Vorschlägen Verbraucher in zwei Stufen, aber nur jene mit Gasheizung und Fernwärme. Wenn Sie mit Öl heizen (und es rattern noch 4,6 Millionen Öl-Heizungen im Land): Sie zahlen bald die Gasrechnung Ihres Nachbarn mit. Nach der Abschlagszahlung im Dezember greift für Haushalte und kleinere Unternehmen ab Frühjahr 2023 bis mindestens Ende April 2024 eine Preisbremse – für ein bestimmtes Kontingent. Für diese Grundmenge an Gas werden nur 12 Cent fällig, darüber gelten Marktpreise. Allein diese Maßnahme kostet alle Steuerzahler 71 Mrd. Euro.
Auch die Industrie kann aufatmen, was ein Erfolg ist – sie hat nun Sicherheit und Planbarkeit bis ins nächste Jahr. Unsicherheit ist Gift für jede Branche. Für Unternehmen mit höherem Verbrauch, so der Vorschlag, soll der Preis für 70 Prozent des Verbrauchs des Jahres 2021 auf sieben Cent pro kWh eingefroren werden, erst darüber gelten Marktpreise.
Wie bei allen Hilfspaketen muss die Regierung eine komplizierte Abwägung treffen: Sie will helfen und gleichzeitig Anreize setzen, um Gas zu sparen, sie will gerecht sein und dennoch nicht zu kompliziert. Sie agiert also immer prophylaktisch, pragmatisch und pädagogisch – und hier muss man fair sein, dass so große Lösungen leider manchmal auch die Falschen erreichen: Zugespitzt gesagt, gibt es im Dezember auch einen staatlichen Abschlag für den beheizten Swimming Pool.
Auch bei der Industrie sorgt eine Klausel für Aufregung: „Die geförderte Gasmenge kann das verbrauchende Unternehmen für seine Zwecke nutzen oder am Markt verwerten“, steht im Bericht der Kommission. Unternehmen könnten also den Zuschuss einstreichen, die Produktion runterfahren, sogar stoppen – oder schon mal die Verlegung ins Ausland planen. Als „Winterschlafprämie“ wird die Hilfe denn auch von Kritikern bezeichnet, wenngleich der BDI, der in Gestalt von Siegfried Russwurm mit am Rettungstisch saß, treuherzig versichert, dass es „eine klare Verpflichtung zum Standorterhalt“ gebe. Ist klar, wer will bei 25 Mrd. Euro schon nein sagen?
96 Mrd. lösen nicht das grundsätzliche Problem
Man muss nun genau schauen, was von den Vorschlägen Gesetz wird, und ob solche Fehlanreize durch Auflagen und Formulierungen noch abgemildert werden; ganz verhindern wird man sie nicht können, das haben wir schon in der Corona-Krise erlebt. Der Staat ist immer grob oder gerecht. Auch diesmal zeigt sich wieder ein Mangel an Daten: Die Versorger wissen nicht, wer und wie viele Menschen genau in ihren Häusern leben. Also laufen die Hilfen nun oft über Vermieter und Verwalter.
Die 96 Mrd. Euro, die ja nur Teil des 200 Mrd. Euro schweren Rettungsschirms sind, lösen indes nicht das grundsätzliche Problem unserer Volkswirtschaft: Das Erdgas bleibt knapp und teuer, und dieses Paket kommt reichlich spät.
Fangen wir mit dem zweiten Problem an: Warum schlägt eine Kommission erst Mitte Oktober Maßnahmen vor, wenn die Gasmangellage seit dem Frühjahr mit voller Wucht auf uns zukommt? Warum wurde so viel Zeit verloren? Klar, die Gasspeicher wurden mit viel Steuergeld (15 Mrd. Euro) erfolgreich gefüllt, das LNG-Terminal in Brunsbüttel ist seit Ende September im Bau, die LNG-Schiffe sind bald im Einsatz, die Notinfusion kommt.
Aber den Rest der Zeit hat dieses Land mit Duschtipps und Anleitungen zum Stoßlüften vergeudet, mit albernen AKW-Debatten und symbolischen Reisen in ferne Länder zu vermeintlich neuen Gas-Lieferanten.
Die Ampel-Regierung mit ihrem Heer der durchtrainierten Hilfsbürokratie hat die Dramatik unterschätzt. Gerade der FDP hätte nicht entgehen dürfen, dass Bäckereien und Metzger nach Jahrzehnten schließen müssen. Reisen auf den Rennsteig zur Glasindustrie oder schon zum Bäcker um die Ecke hätten ein paar Einblicke und die Einsicht gebracht, dass es in dieser Krise nicht nur um Thermostate und Duschköpfe geht.
Das führt zum zweiten Problem, das noch mehr Sorge bereitet – denn Historiker werden sich einmal auf die Ausschläge in der Statistik beugen und feststellen, dass dieses Land zwischen 2020 und 2022 Pi Mal Daumen eine halbe Billion Euro aufwendete, um Wertschöpfung zu ersetzen oder zu erhalten. Klar, das war notwendig, aber war alles auch unvermeidlich? An erster Stelle muss doch das Ziel stehen, eine Wirtschaft ohne staatlichen Wumms zu haben.
Doppel-Wumms hätte früher kommen müssen
Die breitbeinige Kanzlerrhetorik vom Doppel-Wumms (einen Trippel-Wumms wird es hoffentlich nicht geben) soll die zu schwache Antwort Deutschlands auf die Gaskrise seit dem Frühjahr übertönen. Sie hätte früher viel robuster ausfallen müssen – etwa dass Deutschland alles tun wird, um das Angebot auszuweiten: Kernkraftwerke bleiben am Netz, und zwar nicht drei, sondern sechs; Kohle als schmutzige Brücke, und fortan erschließt dieses Land die eigenen Gasreserven. Also eine Rhetorik für die Angebotsseite. Ein bisschen „Whatever it takes“ bei der Energieversorgung. Stattdessen zieren wir uns sogar, langfristige Gaslieferverträge zu unterschreiben – weil es ja fossile Brennstoffe sind.
Der Umbau unserer Energieversorgung und Wirtschaft bleibt unausweichlich, das Jahrzehnt bis 2030 muss und wird trotz der düsteren Aussichten „grün“ sein. Wir sollten aber erkennen, dass wir bis dahin nicht weiter Bullerbü spielen dürfen. Bis 2024 kann man Gas subventionieren – auch wenn diese 96 Mrd. Euro einem den Atem rauben –; doch bis dahin müssen wir nicht nur sparen. Sondern einen klaren Plan haben, wie wir die Energiemenge ersetzen, die wir nicht mehr aus Russland beziehen wollen.
Zur Erinnerung: Wir wollten bis 2030 zwei- bis drei Mal schneller werden, um die großen Ziele beim Ausbau von Windkraft und Solar zu erreichen. Das war schon ambitioniert. Wir sollten uns nicht einreden, dass wir nun sechs Mal schneller werden.