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Gas Warum Europa noch lange nicht unabhängig ist von Gas aus Russland

Bau der Urengoi-Pomary-Uschhorod-Röhre im Juli 1982. Seit Januar fließt nun so gut wie kein Gas mehr durch den ukrainischen Teil der Pipeline nach Europa
Bau der Urengoi-Pomary-Uschhorod-Röhre im Juli 1982. Seit Januar fließt nun so gut wie kein Gas mehr durch den ukrainischen Teil der Pipeline nach Europa
© Bettmann / Getty Images
Seit Januar bezieht Europa zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg kein russisches Gas mehr. Am Tropf des Kremls hängen wir trotzdem noch – auch weil heimliche Energielieferungen weitergehen

Mit dem Jahresbeginn 2025 ist eine Ära zu Ende gegangen: Weil die Ukraine das Transit-Abkommen für die Durchleitung von russischem Gas wie lange angekündigt, nicht verlängert hat, stoppt Moskau erwartungsgemäß die Lieferungen durch die Pipelines aus der Sowjetzeit in dem Land. 2023 bezog Europa noch etwa fünf Prozent seiner jährlichen Gasimporte durch die Urengoi-Pomary-Uschhorod-Röhre, die seit den 80er Jahren Gas aus sibirischen Feldern über die Region Sudscha – inzwischen unter Kiews Kontrolle – und die Ukraine in die Slowakei transportierte.

Mit der faktischen Stilllegung der letzten großen Exportroute des Kremls endet offiziell die jahrzehntelange Dominanz der europäischen Energiemärkte durch billiges Gas aus Russland. Vor Putins Überfall auf die Ukraine flossen allein durch die „Bruderschafts“-Röhre gut 13 Prozent aller russischen Gasexporte nach Europa. Im Jahr vor der Invasion deckte Moskau insgesamt noch mehr als 40 Prozent des Jahresverbrauchs hierzulande ab. 

Damit ist nun Schluss. Mit dem Ende des Transits durch die Ukraine dürfte Moskaus Anteil an den EU-Gasimporten dauerhaft unter 10 Prozent rutschen. Es ist „eine der größten Niederlagen Moskaus“, jubelt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Erstmals seit dem Kalten Krieg hält der Kreml den Kontinent nicht länger im energiepolitischen Würgegriff. Doch bis Europa sich vollends aus dem Schwitzkasten befreien kann, wird es noch eine ganze Weile dauern. 

Historischer Verlust für Putins Kriegskasse

Erkauft wurde die energiepolitische Zeitenwende im wahrsten Sinne des Wortes zu einem hohen Preis: Die Importe aus Norwegen (30 Prozent), den USA (20 Prozent), Nordafrika (14 Prozent) und Katar (5 Prozent), mit denen die EU ihren Bedarf inzwischen deckt, sind teurer als die Lieferungen des Kreml. Zudem mussten in Deutschland für zig Milliarden Euro neue LNG-Terminals gebaut werden. 

Doch auch den Kreml trifft die Abkehr vom einst wichtigsten Gaskunden Europa hart: „Das ist ein historisches Ereignis. Russland verliert seine Märkte und wird finanzielle Verluste erleiden“, prophezeit der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko. Schätzungsweise etwa fünf Milliarden Euro Umsatz verliert Moskaus staatlicher Energieriese Gazprom durch den endgültigen Lieferstopp. 

Seit der Invasion der Ukraine versucht der Kreml mit aller Macht statt wie früher in den nahen Westen nun in den fernen Osten zu exportieren. Auf 38 Milliarden Kubikmeter jährlich sollen die Lieferungen an China laut Standard & Poor in diesem Jahr steigen – etwa dasselbe Niveau, auf dem Moskau 2023 noch nach Europa exportierte. Damit würde Moskau zum Top-Gaslieferanten von Peking aufsteigen. 

Moskaus Gas-Schattenflotte schippert weiter

Doch einen gleichwertigen Kunden gewinnt der Kreml damit nicht. Die Chinesen nutzen Putins Notlage knallhart aus: Mit einem Preisabschlag von rund 28 Prozent bis mindestens Ende 2027 lassen sie es sich laut „Bloomberg“ vergolden, für den Kreml-Kriegstreiber in die Absatz-Lücke zu springen. Seine Kriegskasse dürfte sich langfristig nicht so schnell davon erholen.

Auf mittlere Frist wird sich aber auch Europa nicht gänzlich von Moskau lossagen können. Einerseits, weil mit Ungarn immerhin ein letztes EU-Land beharrlich auf Gaslieferungen aus Moskau setzt, die über die Turkstream-Pipeline unter dem Schwarzen Meer weitergehen werden. Andererseits, weil Europas Sucht nach russischem Öl noch schwerer wiegt als die Abhängigkeit beim Gas. Hier gibt es seit Putins Überfall auf Kiew sogar längst ein Embargo. Aber über seine Schattenflotte verkauft der Kreml-Kriegstreiber weiter Öl in alle Welt, als wäre nichts gewesen. Ein Großteil davon landet über Umwege wie Indien am Ende doch wieder in europäischen Flugzeugen und Autos. 

Spätestens 2027 soll laut Brüssel keine Energie mehr aus Russland nach Europa fließen. Der neue dänische EU-Energiekommissar Dan Jorgensen hat zum Amtsantritt einen Sofortplan angekündigt, wie es noch schneller gehen soll. Die letzten Energieverbindungen nach Moskau zu kappen ist seine Top-Priorität. Dazu soll es auch strategische Gespräche mit der kommenden Trump-Administration über weitere LNG-Lieferungen aus den USA geben. Und bis spätestens Mitte März auch ein Embargo gegen russische Flüssiggaslieferungen in die EU. Widerstand aus Ungarn und der Slowakei ist programmiert. Geht es nach Jorgensen, soll der Rest des Neuen Jahres so historisch werden wie sein Anfang: „Etwas Neues muss passieren.“

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.

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