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Reportage Das Desaster von Air Berlin

Die Flugbranche in Deutschland wird völlig neu sortiert – weil die hochfliegenden Pläne von Air Berlin allesamt gescheitert sind
Air Berlin: Auch im Sommer flog die Airline Verluste ein - Foto: Getty Images
Es war abzusehen: Air Berlin hat Insolvenzantrag gestellt

Die Botschaft hat drei Sätze: Air Berlin stellt Insolvenzantrag. Der Bund hilft. Air Berlin fliegt planmäßig weiter. Diese Informationen erhalten seit diesem Mittag Besucher der Website von Deutschlands zweitgrößter Fluggesellschaft.

Nachdem Hauptaktionär Etihad erklärt habe, keine weitere finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen, sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass für Air Berlin "keine positive Fortbestehensprognose mehr besteht", teilte die Fluggesellschaft am Dienstag mit. Das Insolvenzverfahren soll in Eigenverwaltung erfolgen. Der Flugbetrieb werde fortgeführt. Die Bundesregierung unterstütze die Fluglinie dabei mit einem Übergangskredit.

Der Schritt kommt nicht überraschend. Air Berlin schreibt seit 2008 Verluste, nur 2012 gab es einen kleinen Gewinn. 2016 schloss die Fluggesellschaft mit einem Rekordverlust ab: 780 Mio. Euro. Insgesamt sitzen die Berliner auf einem Schuldenberg von 1,2 Mrd. Euro.

Bereits im März hatte Capital über die gescheiterten Pläne von Air Berlin in einer Reportage berichtet. Autor Lutz Meier analysiert darin die Gründe, die zum heutigen Insolvenzantrag geführt haben, und die Chancen für die Lufthansa:

Das Casting

Die Zukunft wartet oben, immer noch. Erst einmal sind es nur ein paar Treppen aufwärts in einer Hotellobby am Kölner Dom. Da hat sich eine Dame aufgebaut, ihr Haar unter dem Airline-Häubchen hoch­gesteckt. „Wollen Sie zu uns?“, flötet sie eintrudelnden Frauen entgegen. Air Berlin hat an diesem Wintermorgen ein paar faltbare Empfangsschalter mitgebracht, es soll aussehen wie der Check-in am Flughafen. Seit 14 Tagen reisen die Vertreter der Personalabteilung für das „Flugbegleitercasting“ durchs Land.

Casting, das klingt nach Bewerberflut und brutalem Aussieben, aber die Wirklichkeit sieht nicht aus wie „Germany’s Next Topmodel“. Immerhin, ab und zu stöckeln ein paar junge Damen oder Jungmänner im Konfirmandendress an die Schalter. Es folgen: DIN-A4-Fragebogen, drei Interviewräume. Englisch, Geografie, Allgemeinwissen. „Was ist die Hauptstadt von Russland?“; „Wer war Helmut Kohl?“ Charlotte Freitag, 24, ist aus Dortmund herübergekommen, für sie ist der Test ein Klacks.

Es dauert keine Dreiviertelstunde, dann kommt die schmale, blonde Frau wieder herausgestakst. „Das Wichtigste zuerst“, zirpt die Personaldame und reicht ihr ein Schokoherz. Und die Zusage: Sie hat den Ausbildungsplatz, sie wird Stewardess. Ihr Traum. Bald schon fliegt sie für … – ja, für wen denn eigentlich?

Rekordverluste

Das Casting veranstaltet Air Berlin, aber bei der Airline ist es zuletzt drunter und drüber gegangen. Schon seit Jahren vermeldet Deutschlands – noch – zweitgrößte Fluggesellschaft einen Rekordverlust nach dem nächsten. Das Eigenkapital ist negativ, ohne die wiederholten Finanzspritzen des Großaktionärs Etihad wäre das Unternehmen längst bankrott. Um die 1,5 Mrd. Euro dürfte die Fluglinie aus Abu Dhabi in Air Berlin gesteckt haben, jetzt aber reicht es auch den Arabern. Und so haben sie Air Berlin nun eine radikale Schrumpfkur verordnet. Die Airline legt eine Reihe von Routen still. Seit einigen Tagen überlässt die Linie der Lufthansa 38 Flugzeuge und stellt die Crew dazu; das soll in den nächsten sechs Jahren insgesamt 1,2 Mrd. Euro in die Kasse bringen. Die verbliebenen 75 Jets sollen vor allem die Drehkreuze Düsseldorf und Berlin anfliegen – zunächst. Denn ob Air Berlin überhaupt eine eigenständige Flug­linie bleibt, ist höchst ungewiss. Einiges deutet darauf hin, dass die Lufthansa sie bald komplett unter ihre Kontrolle bringt – und so vielleicht die eigene Dauerkrise beenden kann.

Ob Charlotte Freitag also demnächst die dunkle Uniform von Air Berlin tragen kann oder die lila Kleider der Lufthansa-Tochter Eurowings (an die ein Großteil der 38 Mietjets gehen soll) oder die Uniform einer Touristikairline, von der nicht einmal der endgültige Name feststeht (und die eine Vielzahl der Flüge von Air Berlin übernehmen soll) – so genau kann man das noch nicht vorhersehen.

Bald mit Sammlerwert? Modelle der Air-Berlin-Flotte
Modellflugzeuge von Air Berlin
© Kai Müller

Geldvernichtungsmaschine

Immerhin gibt es seit Anfang Februar einen neuen Chef bei Air Berlin: Thomas Winkelmann, 57, kommt von der Lufthansa, und es gibt genug Fragen, mit denen er und die Branche sich in den ersten Wochen seiner Amtszeit beschäftigen können: ob sich jetzt in Deutschland ein mächtiges Monopol bildet oder ob der Zermürbungskampf weitergeht. Wie lange sich der traurige Rest der stolzen Air-Berlin-Flotte wohl noch hält. Wie weit sich die Lufthansa-Billigtochter den Markt sichert. Ob die Investoren aus den Emiraten, die Air Berlin bis jetzt am Leben gehalten haben, sich irgendwann zurückziehen. Und: ob das Schrumpfen von Air Berlin die deutschen Startbahnen freimacht für den gefürchtetsten aller Disruptoren der Branche, Ryanair-Boss Michael O’Leary.

„Die Neuordnung im deutschen Flugmarkt hat gerade erst begonnen“, sagt der Hamburger Branchenberater und Ex-Lufthansa-Manager Gerald Wissel. „Aber die dringend nötige Marktbereinigung passiert weiterhin nicht.“ Im Augenblick sieht es so aus: Air Berlin ist auch nach der Umorganisation eine Geldvernichtungsmaschine. Die Angreifer vom Golf haben ihren Schrecken verloren. Ryanair & Co. werden weiter Druck machen. Der Lufthansa aber bietet sich unverhofft ein Ausweg aus ihrer Misere, wenn es ihr gelingt, irgendwie zu ordnen, was ihr da nun in den Schoß gefallen ist.

Verhoben beim Börsengang

Die Geschichte von Air Berlin ist die Geschichte eines gescheiterten Angriffs auf ein ehemaliges Monopol: Die winzige Airline, gegründet in den 70er-Jahren, war bis Anfang der 90er-Jahre praktisch bedeutungslos. Als der Unternehmer und Flugenthusiast Joachim Hunold sich 1991 bei Air Berlin einkaufte, hatte die Linie eine einzige Maschine. Doch Hunold wollte die Chancen der Markt­liberalisierung nutzen. Bald kaufte er einen Wettbewerber nach dem anderen, von der Deutschen BA über Niki aus Österreich bis zur LTU.

2006 brachte er Air Berlin an die Börse – und übernahm sich: Der Verbund bediente zugleich Kurz-, Mittel- und Langstrecke, Städte- und Ferienziele, Geschäftsreisende und Urlauber, flog alle möglichen Modelle, Boeings und Airbusse, zeitweise sieben verschiedene Flugzeugtypen. All das macht Wartung und Betrieb teuer. Und verursachte Schulden, die Air Berlin nie wieder loswurde. Als das „hybride Modell“ scheiterte, musste Hunold gehen. Es kamen neue Chefs und neue Geldgeber.

Ende 2011 stieg Etihad aus den Vereinigten Arabischen Emiraten groß bei Air Berlin ein und wollte mit der Airline (und mit Alitalia, einer weiteren unglücklichen Beteiligung) den europäischen Markt erobern – und es auch der Lufthansa so richtig zeigen. Air Berlin, die in vielen Staaten Europas begehrte Start- und Landerechte besaß, sollte dabei Millionen Zubringerpassagiere nach Abu Dhabi fliegen oder zu Etihads deutschen Flughäfen Frankfurt, München und Düsseldorf – damit Etihad sie dann nach Asien, in den Nahen Osten oder Afrika weiterbefördert. So konnte Etihad ein weltumspannendes Netz anbieten. Zum Teil ist das auch gelungen – aber um welchen Preis?

Strate­gisches Durcheinander

Auch um den, dass Air Berlin an der Gewinnschwelle noch weiter vorbeisegelte als in den Jahren vor dem Einstieg. Die Milliarden der Scheichs hielten die Airline am ­Leben – aber markierten auch den Anfang vom Ende. Jedes Jahr Verluste, allein 2015 waren es 447 Mio. Euro, trotz Finanzierungstricks. Strate­gisches Durcheinander.

Vor zwei Jahren dann übernahm mit Stefan Pichler ein Mann die Air-Berlin-Spitze, der als Kronprinz bei der Lufthansa gescheitert war und mit dem Konzern noch eine Rechnung offen hatte. Er fasste die Lage zu seinem Dienstantritt in der Berliner Zentrale schonungslos zusammen: „Witz!“; „Kasperletheater!“; „Desaster!“ Nie sei etwas entschieden worden. Und der Flugplan? „Kreuz und quer durch die Pampa.“ Pichler machte mithilfe von Beratern einen Plan, wie Air Berlin tatsächlich wieder Gewinne schreiben könnte: reduzieren, konzentrieren, investieren. Ein gutes halbes Jahr nach seinem Einflug in Berlin reiste er mit dem Konzept zu James Hogan, dem Chef von Etihad. Der zerpflückte Pichlers Plan, weil er nur Wachstum sehen wollte – und Air-Berlin-Flieger, die nach Abu Dhabi pendeln, um seine Langstreckenflotte mit Passagieren zu füttern. „Das hat Air Berlin den Rest gegeben“, sagt Berater Wissel. Seitdem verwaltete Macher Pichler nur noch das, was er selbst Desaster genannt hat.

Wackelige Angelegenheit: Ex-Air-Berlin-Chef Stefan Pichler
Wackelige Angelegenheit: Ex-Air-Berlin-Chef Stefan Pichler
© Kai Müller

Geflogen wird immer

Mit 75 – auch nur geleasten – Flugzeugen behält Air Berlin jetzt gerade gut die Hälfte ihrer Flieger, der Vertrieb, die Verwaltung, die Technik aber sind für eine Großairline dimensioniert. Pichler durfte Ende 2016 noch die Kapitulationserklärung unterschreiben, die die Übergabe der 38 Maschinen an die Lufthansa festhielt, dann wurde er verabschiedet. Hogan übrigens auch, der Australier wurde Anfang des Jahres nach über zehn Jahren von den Scheichs in Abu Dhabi abserviert, nicht zuletzt wegen der Misere in Berlin, er bleibt allerdings noch bis Juli im Amt.

„Alles, was da jetzt im Umbruch ist“, sagt Charlotte Freitag, die angehende Stewardess, „das hat mich schon beschäftigt.“ Aber Zweifel daran, dass es eine gute Idee sein könnte, jetzt bei Air Berlin anzuheuern, hat sie beiseitegeschoben. Geflogen, sagt sie, wird schließlich immer. Denn trotz allem ist es ja so: Air Berlin will rund 500 neue Flugbegleiter einstellen, darum das Casting in Köln. Die Bezahlung ist bescheiden, die Fluktuation hoch, aber die Verantwortlichen führen einen triftigen Grund für die Einstellungswelle mitten in Zeiten der Ungewissheit an: Die neuen Langstrecken, die die Airline trotz allem ab Sommer anbieten wird, erfordern mehr Personal.

Angriff auf Lufthansa

Die Strecken sind zwar noch eine Idee aus der Zeit, als Großaktionär Etihad Wachstum um jeden Preis anordnete. Aber trotz aller Zweifel der Luftfahrtprofis – bevor unter Thomas Winkelmann, dem neuen Chef, nicht das Gegenteil beschlossen wird, plant man in Berlin, häufiger nach L. A. oder Miami zu starten. Als könne die alte Idee, unter den Großen mitzufliegen, doch noch wahr werden.

Denn das ist ja immer mitgeschwungen bei den alten Plänen: dass man die Lufthansa angreifen will. Das Absurde ist nur: Der Konkurrent ist seitdem zwar unter Druck geraten – aber nicht wegen Air Berlin, sondern weil Ryanair in Europa und Emirates auf den lu­kra­tiven Asienrouten der Lufthansa Passagiere abgeluchst haben. Dafür könnte sie sich jetzt aber an der Air-Berlin-Misere gesundstoßen.

"Ein Spitzendeal"

Selten ist ein Konzernchef in so schwieriger Lage gestartet und bekam dann so viele Gelegenheiten auf dem Silbertablett serviert wie Carsten Spohr, der seit drei Jahren amtierende Vorstandschef der Deutschen Lufthansa. Er hat sich im Ringen um Kostensenkungen mit den Gewerkschaften verkämpft. Er traf eine Entscheidung mit dem Rücken zur Wand, als er durchsetzte, einen Großteil des Flugbetriebs auf Flugzeuge der Billigtochter Eurowings zu verlagern. Er schaffte damit Struk­turen, die einen Befreiungsschlag bedeuten sollen, aber die bislang kaum zu beherrschen sind. Ihre Verheißungen haben sie auch nie erfüllt.

Bei den Erlösen im Passagierverkehr musste Spohr Abstriche machen, um Billigkonkurrenten Paroli zu bieten – die er aber doch nie einholen kann, angesichts der Kosten im Konzern. Und um sich die Golf-Airlines vom Leib zu halten, lobbyiert er in Berlin und Brüssel wegen Wettbewerbsverzerrungen durch die staatlich subventionierte Nahostkonkurrenz, dennoch nagte sie weiter am Geschäft. Seine Gewinnprognose musste Spohr 2016 kassieren, Aktionäre ergriffen die Flucht, Hedgefonds eröffneten die Hatz. Immer noch droht die Gefahr, dass der ehrwürdige Konzern nach fast 30 Jahren aus dem Dax fällt. Manch Analyst handelt den umsatzstärksten Flugkonzern Europas als Übernahmekandidat.

Champion der Stunde

Und jetzt – sieht Spohr trotzdem aus wie der Champion der Stunde. Wettbewerber, Unterlegene, Kritiker, Experten ebenso wie Freunde, Förderer und Wegbegleiter aus den eigenen Reihen (die zuweilen die schlimmsten Rivalen sind) zollen dem 50 Jahre alten Flugkapitän Respekt für die Übernahme der Air-Berlin-Flugzeuge. „Das ist ein Spitzendeal für die Lufthansa“, flüstern sie selbst in Air Berlins Chefetage. „Das hat er sehr genial gemacht“, gurren Sparringspartner im Lufthansa-Konzern. „Das ist vielleicht das stärkste Momentum der Lufthansa der vergangenen zehn Jahre“, sagt einer aus der Branche.

Spohr ist womöglich dabei, den Deal seines Lebens durchzuziehen oder, korrekter ausgedrückt, couragiert die Gelegenheiten zu nutzen, die ihm andere aufdrängen. Aus den Turbulenzen ist die Lufthansa damit zwar nicht. Aber immerhin, die Neuordnung eröffnet der Traditionsairline einen unverhofften Ausweg. „Die Hausaufgaben wird Spohr noch machen müssen“, heißt es im Konzern.

Vom Angreifer zum Verbündeten

Die Billigtochter Eurowings kann endlich ihr Versprechen einlösen: ein Anbieter zu werden, der Ryan­air und Easyjet etwas entgegensetzt. Das ist auch deswegen wichtig, weil beide Billigairlines nur auf den Zusammenbruch von Air Berlin gewartet haben, um im deutschen Markt einzufallen. Den ­Spohr jetzt gleich doppelt abschotten kann: Einmal indem er seine zusätzlich geleasten Flugzeuge über Strecken schickt, auf die auch die Wettbewerber schielen. Der erste Knall, Anfang Februar verkündet: Eurowings soll ab 2018 Frankfurt anfliegen – das Lufthansa-Drehkreuz, das Billigflieger wegen der hohen Gebühren bislang meist ausgelassen haben. Der zweite Vorteil für die Lufthansa: Die künftige Rumpf-Air-Berlin wird kaum mehr gegen Lufthansa fliegen und preiskämpfen. Schließlich landet Winkelmann auf dem Air-Berlin-Chefsessel nach einer langen Lufthansa-Karriere, er ist ein Vertrauter Spohrs und hat ein Rückkehrrecht in den Kranichkonzern. Trotz dieser Tatsache und trotz Gezeters von Ryan­air hat das Bundeskartellamt die Koopera­tion durchgewinkt.

Ein anderer Vorteil ist fast noch wichtiger: Etihad, weiterhin Großaktionär bei Air Berlin, wird vom Angreifer der Lufthansa zum Verbündeten, der vorerst auf die Spohr-Truppe angewiesen ist. Der Lufthansa-Boss hat zahlreiche Gemeinschaftsflüge mit den Arabern aufgelegt, die er noch vor Kurzem als Hauptgegner geschmäht hat. Anfang Februar jettete Spohr in einer Etihad-Maschine nach Abu ­Dhabi – schüttelte dem scheidenden Etihad-Chef vor der Kamera die Hand und vereinbarte mit dem Erzrivalen eine enge Partnerschaft, die Lufthansa bei den unter Konkurrenzdruck ächzenden Töchtern für Bordverpflegung und Flugzeugwartung künftig jedes Jahr Hunderte Millionen Euro in die Kasse spült. „Und das ist erst der Anfang“, erklärte Spohr.

Lufthansa diktiert

Als die Scheichs offenbar auch die Möglichkeit ins Spiel brachten, mit einer strategischen Beteiligung an der Lufthansa – zum Beispiel eines Staatsfonds – die Kooperation abzusichern, blieb Spohr zunächst zurückhaltend. Er kann aber später darauf zurückkommen, falls es für den Dax-Erhalt oder zur Abwehr feindlicher Aktionäre nötig sein sollte. Andere Formen der Kapitalverknüpfung wären auch denkbar. „Ein Joint Venture könnte ein möglicher nächster Schritt sein“, sagte Spohr.

Geschickt hat Spohr den Etihad-Eignern geholfen, das Desaster ihrer Air-Berlin-Beteiligung gesichtswahrend zu lösen. Dafür diktierte er in Abu Dhabi seine Bedingungen für eine Partnerschaft im Langstreckengeschäft – dem Kerngeschäft der Lufthansa. Die Araber hätten ihm womöglich noch viel mehr zu Füßen gelegt, wenn Spohr gewollt hätte. Ihr anderes Großdesaster in Europa etwa: Alitalia. Auf längere Sicht auch die ganze Air Berlin – doch so rasch hätte Etihad kaum die bis zum Dach belastete Beteiligung entschulden können.

Unscheinbar: die Konzernzentrale von Air Berlin nahe des Flughafens Tegel
Unscheinbar: die Konzernzentrale von Air Berlin nahe des Flughafens Tegel
© Kai Müller

Aufstieg der Golf-Airlines

Und für die Deutschen, die gerade nicht nur die 38 Air-Berlin-Maschinen in ihr Netz eingliedern, sondern auch die Komplettübernahme von Brussels Airlines umsetzen und Eurowings etablieren müssen, wäre ihr eigener Umbau noch komplizierter geworden – ganz zu schweigen davon, dass die Kartellwächter bei derlei nicht völlig teilnahmslos bleiben können. Im Lufthansa-Vorstand gab es laut Vertrauten sogar Skeptiker gegenüber dem Deal, den Spohr geschlossen hat. Doch am Ende hat er sich durchgesetzt.

Wenn sich jetzt die Lufthansa und Etihad enger aneinanderbinden, wächst zusammen, was von Anfang an hätte zusammengehören können. Vor eineinhalb Jahrzehnten stand die Lufthansa an der Wiege Etihads. Eifersüchtig beobachtete die Herrscherfamilie in Abu Dhabi damals den Aufstieg von Emirates, der Airline aus dem benachbarten Dubai. Die Araber suchten Rat bei der Lufthansa-Consulting-Tochter und zeigten auch Interesse an einer Partnerschaft. Doch die Deutschen zogen sich bald brüsk zurück, wie Beteiligte berichten. Beim unheimlichen Aufstieg der Golf-Airlines standen sie dann schlotternd am Rande.

Generation Golf-Carrier

Innerhalb von zehn Jahren sind Emirates, Etihad und Qatar Airways tief in den Markt eingedrungen, auf dem sich die ehemaligen Platzhirsche aus Europa eigentlich ausruhen wollten, nachdem ihnen Ryanair & Co. die Kurzstrecken madig gemacht haben: die Langstrecken – vor allem Richtung Asien, vor allem für zahlungsbereite Geschäftsreisende. Weit über 100 Millionen Passagiere schaufeln die Golf-Carrier jedes Jahr über ihre Umsteigeflughäfen in Doha, Dubai und Abu Dhabi in die Welt – jedes Jahr ein paar Millionen mehr. Bei Boeing und Airbus sind sie zu den beliebtesten Kunden geworden, weil sie auch mal 100 Flugzeuge auf einen Schlag bestellen. Geld und Sprit gab es am Golf ja ohne Ende, lästige Beschränkungen­ an den Flughäfen oder streikende ­Arbeitnehmervertreter nie.

Doch die Offensive vom Golf ist an Grenzen geraten, seit die Petro­dollar nicht mehr sprudeln. Plötzlich haben die neuen Anbieter mit Gewinnrückgängen und Sparauflagen zu kämpfen. Am schlimmsten traf es die Airline mit der riskantesten Strategie, nämlich Etihad, die ohne Rücksicht auf Verluste in Europa in wirtschaftlich unsolide Flugbetriebe eingestiegen ist, um sich Zulieferverkehr für ihre Langstrecken­maschinen zu sichern – Air Berlin und Alitalia waren nur die größten Beteiligungen. Diese Strategie wird jetzt mit ihrem größten Vorkämpfer, dem scheidenden Chef James Hogan, verabschiedet.

Alte-Welt-Flieger abgestraft

Gleichzeitig haben Lufthansa & Co. festgestellt, dass ihre Abwehr gegenüber der Golf-Invasion gescheitert ist. Sie hatten sich auf politische Hilfe der EU-Regierungen verlassen, bei denen sie stetig klagten, wie subventioniert die arabische Konkurrenz umherflöge. Derweil aber stimmten die Kunden der Alte-Welt-Flieger mit dem Flugschein ab. Die Golf-Anbieter haben ihnen oft mehr Komfort geboten, bessere Verbindungen, attraktivere Preise. Vergangenes Jahr dann konnte Qatar Airways ihre kurz zuvor erworbene Beteiligung an der British-Airways-Mutter IAG auf über 15 Prozent aufstocken, gleichzeitig schlossen die Briten eine enge Partnerschaft. Mit den Katarern hatte zuvor laut Beteiligten bereits die Lufthansa verhandelt. Das Angebot aus Abu Dhabi erlaubt es ihr nun, still und leise ihren Strategiefehler zu korrigieren.

Denn auf lange Sicht können die Verbindungen via Nahost für die Ex-Platzhirsche überlebenswichtig sein, wenn sie sich nicht vom Marktwachstum abkoppeln wollen. Um mehr als ein Drittel wird laut dem Branchenverband IATA die Zahl der Abflüge von Europa bis 2035 wachsen, von 930 Millionen auf 1,5 Milliarden. Große Wachstumsmöglichkeiten haben aber Europas Airlines an ihren Heimatbasen London, Paris und Frankfurt/München nicht. Längst sperren sich genervte Anwohner gegen neue Pisten, Nachtflugverbote werden strenger. Wenn Lufthansa & Co. Richtung Asien wachsen wollen, müssen sie also auch Tickets mit Umstieg am Golf verkaufen. Und dieses Geschäft hat sich jetzt die Lufthansa gesichert.

Air Berlin hat verloren

Bleiben Ryanair und Konsorten als Unsicherheitsfaktor. Doch auch für die Angreifer aus Europas Low-Cost-Segment wird das Wachstum nicht einfacher. Die Londoner Easyjet hat mit den möglichen Brexit-Folgen, Währungsverlusten und Gewinnrückgängen genug Probleme. Ryanair kann sich ungestümer bewegen, die Dubliner sind aber in der Wirklichkeit immer viel vorsichtiger als in ihren Ankündigungen. „Ryanair kennt den deutschen Markt sehr genau“, sagt Andrew Charlton, Chef der internationalen Airline-Beratung Aviation Advocacy. „Die schauen sich sehr genau an, was aus dem Abschied von Hogans Strategie folgt.“ Von nun an, das haben sie in Dublin verstanden, ist die Lufthansa der Gegner. Von Air Berlin spricht niemand mehr.

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