Die Abwicklung der ehemals zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft Air Berlin zieht sich weiter hin: „Dieses Verfahren ist bislang weder beendet, noch auch nur im Ansatz abschlussreif“, sagt der zuständige Insolvenzverwalter Lucas Flöther im exklusiven Capital-Interview. Erstmals zieht der bekannte Sanierungsexperte eine Zwischenbilanz seiner bisherigen Arbeit: „Alles in allem konnten wir seit Verfahrenseröffnung bereits rund 350 Mio. Euro zur Masse ziehen.“
Vor genau fünf Jahren, am 15. August 2017, hat Air Berlin rund 40 Jahre nach der Gründung Insolvenz angemeldet. Ein maßloser Expansionsdrang mit Übernahmen von Wettbewerbern wie LTU und DBA samt Börsengang in London hatte das Management überfordert. Die Gesellschaft war überschuldet, der damalige Großaktionär Etihad Airways drehte den Geldhahn zu. Die Bundesregierung stützte die Fluggesellschaft zunächst mit einem staatlichen Hilfskredit in Höhe von 150 Mio. Euro, sodass der Flugbetrieb zwar noch einige Wochen weiterlief – die Rettungsversuche letztlich aber scheiterten. Am 27. Oktober 2017 fand der letzte Linienflug von München nach Berlin statt. Rund 8000 Mitarbeiter verloren ihren Job.
Mit 1,3 Millionen Gläubigern und Forderungen von mehreren Milliarden Euro gilt das Insolvenzverfahren als eines der größten und kompliziertesten in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Insolvenzverwalter Flöther hatte von Anfang an damit gerechnet, dass er rund zehn Jahre für die Abwicklung brauchen werde. Zeitweise hat er mit über 100 Mitarbeitern nach möglichen Werten, Forderungen, Anfechtungs- und Haftungsansprüchen geforscht. Dieses Verfahren sei „von besonders vielen Überraschungen geprägt“, sagt Flöther heute.
Den größten Rückschlag musste der Insolvenzverwalter einstecken, als der Schadensersatzprozess gegen den ehemaligen Großaktionär Etihad Airways den deutschen Gerichten entzogen wurde. Anfangs hatte sich Flöther von der Klage Rückforderungen von bis zu drei Mrd. Euro versprochen. Die wird er kaum noch eintreiben können. „Wir verzichten nicht auf den Anspruch, aber verfolgen ihn erstmal nicht weiter“, so Flöther.
Dafür habe er an zahlreichen anderen Stellen Geld zusammengekratzt: „Von der Kaution, die für den Betrieb am Flughafen Reykjavik hinterlegt war, bis zur Rückforderung von Beträgen, die an Partner ausgezahlt worden waren, obwohl das Unternehmen schon eindeutig in Schieflage war.“ Die insgesamt rund 350 Mio. Euro reichen allerdings bislang nicht einmal für alle bevorrechtigten Gläubiger wie ehemalige Angestellte oder Anleihe-Besitzer. Auch die geprellten Passagiere, die auf bezahlten Tickets sitzengeblieben sind, haben bislang kein Geld zurückgekriegt und dürften voraussichtlich auch nach Abschluss des Verfahrens leer ausgehen.
Für viel Aufsehen hat in diesem Fall auch das Honorar für den Insolvenzverwalter gesorgt. Flöther hatte ursprünglich einen Vergütungsantrag in Höhe von 26 Mio. Euro gestellt und das mit der hohen Zahl an Gläubigern begründet. Diese im Gesetz vorgesehene Berechnung hat der Bundesgerichtshof jedoch kürzlich in einer Grundsatzentscheidung kassiert. Flöther hat mittlerweile einen neuen Antrag eingereicht, über den bislang noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. „Der bewegt sich in ähnlicher Größenordnung wie zuvor“, sagt Flöther.
Weitere Aussagen zum Verfahren, zu weiteren Überraschungen, zu laufenden Klagen gegen den ehemaligen Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann und die Tochter der Deutschen Börse, Clearstream, lesen Sie hier im ausführlichen Capital-Interview auf Capital+.